Fantastische Reisen in die Zukunft: 5. "Wer kann das Rätsel lösen?"

5. Wer kann das Rätsel lösen?

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(von Joachim Größer)

 

Die Reise in die Gegenwart war wie immer. Wie immer war auch, dass die elektronische Uhr dann 4 Minuten vor 10 Uhr anzeigte. Auf der Heimfahrt trödelten die Brüder und tauschten ihre Erlebnisse aus. Anton wollte dem Martin Wissenswertes über die Weltraumerfolge der Menschen des 4. Jahrtausends erzählen, doch Martin bat ihn: „Warte mal Anton! Ich war im Jahr 4010, 5010 und sogar im Jahr 6010. Was denkst du, was ich …“

„Wo warst du?“, unterbrach ihn Anton und bremste sein Rad ab.

„Ich war im Jahr 6010 und da habe ich Seltsames gesehen.“

„Martin, schwindelst du mich an? Nun sag mal ehrlich, warst du wirklich im Jahre 6010?“

Und Martin erzählte jetzt, wie Kori ihn überredet hatte, ins Jahr 4010 zu gehen und wie Kori dann mit einem Male nicht mehr zu sehen war. Er berichtete, wie er ihm ins Jahr 5010 und dann ins 6010 gefolgt sei und wie sie diese schwarze Wand gesehen haben.

„Dann sind wir zur schwarzen Wand gegangen und Anton, stell die vor, du steckst deine Hand in dieses schwarze Nichts rein und die Hand ist einfach weg. Wir haben einen großen Stein in das Schwarze gerollt. Der war einfach weg. Dann haben wir unsere Finger und Hände in dem schwarzen Nichts gesucht. Stell dir vor, unsere Finger waren nicht für den anderen greifbar. Ist das nicht komisch?!“

„Das ist mehr als komisch, Martin.“ Anton schaute auf die Uhr. Sie waren erst 6 Minuten gefahren.

„Martin, los, wir drehen um. Das probieren wir noch einmal aus. Das ist doch irre! Einverstanden?!“

Natürlich war Martin einverstanden. Wenige Minuten später standen sie am Stein, dachten „Jahr 6010“ und sahen dann die alte Eiche auf dem Hügel stehen.

„Wo ist denn die schwarze Wand?“

Anton sah eine Wald-Landschaft und einen Himmel, der hinter dem Wald sehr, sehr dunkel war, aber keine schwarze Wand.

„Das ist ja noch komischer“, rief Martin bestürzt aus. „Ich schwöre dir, ich habe nicht gelogen, es war so! Komm, lass uns die schwarze Wand suchen. Sie muss hinter dem Wald sein. Diesen Wald gab es vorhin nicht, Anton.“

Und als Anton ihn ungläubig anschaute, betonte Martin: „Anton, du musst mir glauben! Ich flunkere nicht!“

Und schon wollte Martin losstürzen, um hinter dem Wald die schwarze Wand, dieses Nichts zu suchen.

„Warte Martin! Ich habe eine bessere Idee! Komm zur Eiche!“

So rannten die Jungs zur Eiche und Anton hob Martin hoch, damit er den untersten Ast fassen konnte. Martin zog sich am Ast hoch, und als er wohl zwei Meter im Geäst noch oben geklettert war, schrie er ganz aufgeregt: „Anton, ich sehe die schwarze Wand! Sie ist hinter dem Wald!“ Komm hoch!“

Mühsam fasste Anton den untersten Ast und dann ging es geschwind im Geäst nach oben.

„Da, Anton! Ich habe die Wahrheit gesagt!“

Anton sah diese schwarze Wand, dieses Nichts, wie es Martin nannte.

„Wollen wir schnell dahin rennen?“, fragte Martin.

Zögerlich antwortete Anton: „Aber mit Vorsicht! Ich habe kein gutes Gefühl dabei!“

Und vorsichtig waren die beiden. Kein Weg, kein Pfad führte durch den Wald. Es war ein lichter Laubwald. Buchen, Hainbuchen, Ebereschen und Eichen dominierten den Bestand. Es gab ältere und jüngere Bäume, aber keinen Nachweis für die Tätigkeit eines Menschen. Die Jungs sahen einige abgestorbene Bäume, einige lagen auf dem Boden und vermoderten. Moose und Flechten wuchsen auf den Stämmen – es war ein Wald, wie man ihn auch im Jahre 2010 finden könnte, wenn der Mensch diesen Wald nicht genutzt hätte.

Sie waren wohl einhundert Meter durch den Wald gegangen, als abrupt dieses schwarze Nichts vor ihnen auftauchte. Martin rannte sofort zur schwarzen Wand und steckte den ganzen Arm rein.

„Siehst du, er ist weg. Komm mal her Anton! Suche im Schwarzen meine Hand! Du wirst sie nicht finden!“

Und Anton tat, was Martin ihm geheißen hatte. Und Martin strahlte, als Anton verwundert ausrief: „Das gibt es doch nicht! Das glaubt uns doch keiner!“

„Denkst du, Mama und Papa glauben uns, wenn wir sagen, dass wir im Jahr 6010 waren?!“ Martin griente.

„Los zurück, Martin! Wir gehen in unsere Zeit. Das ist doch alles zu komisch!“ Anton ging durch den Wald zurück, Martin ihm hinterher.

„Anton, ich habe doch mit Kori einen großen Stein ins Schwarze gerollt. Wollen wir den mal suchen. Mich würde interessieren, ob der da ist, oder ob ihn die schwarze Wand verschluckt hat.“

„Weißt du denn noch die Stelle; Martin?“

„Ja, so ungefähr. Wenn ich auf dem Hügel bin, kann ich mich orientieren.“

Zurück auf dem Hügel, meinte Martin, die Stelle ausgemacht zu haben, an der er den großen Stein gefunden hatte.

„Hier Anton, hier muss es gewesen sein!“ Martin rannte zur angegebenen Stelle und Anton bemerkte: „Ja, du siehst noch, wo ihr den Stein gerollt habt. Hier endet auf dem Boden die Spur. Und wo ist nun der Stein?“

Der Stein war verschwunden! „Das ist irre!“, kommentierte Anton das Untersuchungsergebnis. „Ihr habt einen Stein ins Nichts gerollt und dieses Nichts hat den Stein verschlungen.“

„Heißt das, wenn Kori oder ich in das schwarze Nichts gegangen wären, dann wären wir auch verschwunden, Anton?“

Martin starrte seinen großen Bruder an. Der nickte nachdenklich mit dem Kopf: „Ich glaube, ihr wäret weg, einfach weg gewesen!“

„Dann habe ich ja richtig gedacht. Das habe ich nämlich dem Kori auch gesagt. Aber der hatte mit einem Male keine Lust mehr auf Abenteuer. Und ich hatte schon Angst, dass er ins schwarze Nichts gehen wollte.“

Die Brüder gingen den Hügel hinauf. Oben am Stein, meinte Martin: „Wollen wir mal schnell ins Jahr 7010 gehen, Anton? Ob es da diese schwarze Wand auch gibt?“

Anton überlegte kurz. „Nee, Martin, das machen wir nicht. Stell dir vor, im Jahr 7010 regiert das schwarze Nichts. Wir ziehen die magischen Zeichen nach und landen im Jahr 7010, im schwarzen Nichts! Wir sind Teil des Nichts! Uns gibt es nicht mehr! Wie kommen wir dann ins Jahr 2010 zurück?“

„Du hast recht! Nur - hat der Priester Inoui nicht immer gesagt, dass uns nichts passieren kann?!“

„Hat er, aber willst du dein Leben darauf verwetten? Ich nicht! Ich geh zurück in die Gegenwart!“

Anton und Martin verzichteten darauf, den Sonntag zu nutzen, um in die Zukunft zu reisen. Aber immer dann, wenn sie alleine waren, sprachen sie über ihre Erlebnisse in der Zukunft.

Wie oft hatte Martin gefragt: „Meinst du wirklich, es gibt ein Nichts in der Zukunft?“

Und Anton entgegnete dann: „Vielleicht ja – vielleicht nein. Das müssten die Wissenschaftler erforschen. Aber im Universum gibt es ja auch schwarze Löcher und von denen wissen die Wissenschaftler auch nur, dass es sie gibt. Alles andere sind nur Annahmen und Spekulationen. So jedenfalls habe ich das mal gelesen.“

Aber neugierig waren die beiden Jungs, ob Kalidas Eltern von ihnen wissen. Und beide fragten sich auch, ob die Eltern am Stein stehen und auf die Jungs aus dem Jahre 2010 warten werden?

Und so radelten sie am nächsten Sonnabend erwartungsvoll zu dem magischen Stein. Sie waren zu zeitig am Stein, und da ein Unwetter sich zusammenbraute, meinte Martin, man könne doch trocken bleiben, wenn man ins Jahr 3010 starten würde.

„Martin, wir haben noch viel Zeit. Wollen wir einen Abstecher in die Vergangenheit machen? Nur einen kurzen? Vielleicht zu den Rittern ins Jahr 1010?“

„Los, machen wir!“ Martin zog schon die magischen Zeichen nach und war weg.

Im nächsten Augenblick trat auch Anton die Zeitreise an und stand auf dem Hügel neben dem Stein – im Jahre 1010. Anton sah zwar wieder eine dicke Eiche, nur sein Bruder Martin war nicht auszumachen.

„Was ist geschehen? Warum ist Martin nicht im Jahr 1010 angekommen?“ Dem Anton klopfte das Herz rasend laut, er hatte mal wieder Angst um seinen kleinen Bruder.

Schon wollte er die magischen Zeichen erneut und zwar vorwärts eingeben, um in die Gegenwart zurückzugelangen, doch da stand schon Martin neben ihm.

„Mannomann, war das ein Schreck! Ich habe doch die Zeichen wie immer nachgezogen und war wahrscheinlich im Jahr 3010 gelandet. Sind wir jetzt richtig im Jahr 1010, Anton?“

„Ich glaub schon, nur woran können wir das jetzt erkennen? Die Eiche? Ist die nicht so dick wie unsere?“

Martin schaute sich um und flüsterte dann dem Anton zu: „Vielleicht fragen wir die beiden Männer, die da durchs Gebüsch schleichen?“

„Wo?“

„Na da, hinter der Rosenhecke habe ich sie gesehen. Sie beobachten uns – garantiert!“

Anton schaute in die angegebene Richtung und dann machte er hinter der Hecke auch die beiden Gestalten aus. Anton ging auf die Hecke zu und rief den beiden Männern zu: „He, he!“

Was Besseres fiel ihm nicht ein. Aber dieses „He, he!“ erschreckte die beiden Männer so, dass sie davonliefen. Allerdings drehten sie ganz schnell um und rannten, ihre Wurfspieße schwenkend, auf Anton zu. Hinter den beiden jagte jetzt nämlich ein Reiter den Hügel hinauf. Das Pferd schnaufte, der Reiter schrie: „Ho! Ho!“

Dann zügelte der Mann seinen Schimmel und er rief in einer Sprache, die weder Anton noch Martin als Deutsch erkannten.

Anton war zurückgewichen, immer die Männer beobachtend. Jetzt stand er vor Martin und rief ihm zu: „Wenn ich ‚Los!‘ rufe, dann ziehst du die magischen Zeichen nach und verschwindest. Komme aber sofort wieder zurück! Verstanden?“

„Ja, warum soll ich aber zurückkommen?“

„Weil …“

Anton brachte die Antwort nicht zu Ende. Der Reiter war abgestiegen, legte jetzt seine Armbrust an und zielte auf Anton. Auch die beiden Männer richteten augenblicklich die Spieße gegen die Jungs. Anton tat jetzt etwas, wofür er hinterher keine Erklärung hatte. Er ging einen Schritt auf die Männer zu und hielt den Männern die offenen Hände entgegen. So hatte Kalida den Roboter zum Stehen gebracht. Und hier schien es auch zu funktionieren. Anton schrie: „Los, Martin!“

Martin hatte nur auf dieses „Los!“ gewartet. Mit zittrigen Händen zog er hastig die magischen Zeichen nach. Anton drehte sich nicht um, aber er wusste, dass Martin verschwunden war. Die staunenden Gesichter der Männer verrieten ihm, dass der Trick funktioniert hatte. Und als die Männer jetzt erschrocken aufschrien und mit angstvoll aufgerissenen Augen davonliefen, wusste er, dass Martin wieder erschienen war.

Lachend kam Martin zu Anton gelaufen. „Mannomann, hast du die laufen gesehen!“

„Der Anführer hat sogar seine Armbrust weggeworfen. Schau mal Martin, was für ein einfaches Gerät das damals war. Also, ich garantiere dir jetzt – wir waren in der Vergangenheit, im Jahre 1010.“

„Und wir haben sogar ein Pferd erobert, Anton. Guck mal, der Schimmel steht immer noch an derselben Stelle. Wollen wir ihn wegjagen?“

„Warum? Begeben wir uns in die Zukunft. Die ist garantiert friedlicher, wenn auch ein Kori für genug Ärger sorgen kann.“

„Meinst du, dass er wieder mitkommen darf?“ Martin schaute seinen älteren Bruder an.

„Wenn Kalida ihren Eltern alles erzählt hat, dann ist er bestimmt mit dabei. Aber ich bin neugierig, ob wir Kalidas Eltern kennenlernen werden. Und noch neugieriger bin ich darauf, ob Kalidas Vater, er ist doch Physiker, eine Erklärung für all das Magische und Unerklärliche hat.

„Also los, ab in die Zukunft!“

„Ich geh gleich ins Jahr 3010, Anton. In der Gegenwart donnert es. Wir werden heute noch ganz schön nass werden.“

„Gut, zieh du zuerst die Zeichen nach, Martin!“

Martin verschwand. Anton schaute sich noch einmal um und da sah er doch, wie sich einer der Männer hinter der Hecke aufrichtete und seinen Spieß nach ihm warf. Anton warf sich hin und kroch die zwei Meter zum Stein. Der Spieß flog an ihm vorbei. Im Liegen zog Anton mit zittrigen Fingern die magischen Zeichen nach und dachte: „Jahr 3010! Schnell!“

Martin begrüßte ihn: „He Anton, was ist mit dir los? Du bist kreidebleich im Gesicht!“

„Ich möchte dich mal sehen, wenn einer dieser Männer seinen Sauspieß nach dir wirft. Zum Glück habe ich ihn noch rechtzeitig entdeckt und konnte dem Spieß ausweichen.“

„Toll. Das hätte ich sehen mögen!“

„Geh zurück! Du triffst garantiert auf einen dieser Männer. Nun mach schon, von Kalida ist noch nichts zu sehen!“, fauchte verärgert Anton.

„Ich soll zurück? Du spinnst doch! Und außerdem kommt da eine Kugel auf dem schwarzen Band angesaust. Das ist garantiert Kalida.“

Martin war heilfroh, dass er die Freunde aus dem Jahre 3010 vermelden konnte.

Was Anton zuerst auffiel, war, dass die Kugel viel größer war. Es entstiegen ihr fünf Personen. Hätte Anton nicht Kalida und Kori sofort erkannt, er wäre mit Martin schnell zurück in die Gegenwart geflüchtet. Der Schreck saß ihm noch mächtig in den Gliedern.

Aber so begrüßte er einen strahlenden und fröhlichen Kori, der ihm als Erstes mitteilte, dass ihm seine Eltern seine Lügen verziehen hätten. Auch Kalida wirkte gelöst und entspannt. Hinter den beiden Kindern kamen drei Erwachsene, wobei Anton die beiden jüngeren als Kalidas und Koris Eltern ansah. Der dritte Erwachsene war bedeutend älter und hatte schon leichte Mühe, den sanften Anstieg zum Hügel zu bewältigen.

Als die drei Erwachsenen auf dem Hügel waren, stellte Kalida Anton und Martin vor und dann ihre Eltern und ihren Uropa, den alten Mann.

Kalidas Vater ging sofort auf Anton zu und sprach ihn an: „Du also bist mit deinem Bruder aus dem Jahr 2010 zu uns gekommen. Kannst du mir das hier und sofort beweisen?“

„Kann ich! Im Jahr 2010 ist jetzt ein mächtiges Gewitter und vorhin waren wir im Jahr 1010 und da haben wir drei Jägersleute erschreckt. Sie müssten noch auf dem Hügel sein. Kommen Sie mit? Ich zeige es Ihnen!“

„Anton, das Wort ‚Sie‘ gibt es schon lange nicht mehr in unserer Sprache. Erstaunlich, dass die Translatoren das Wort immer noch übersetzen. In der Weltsprache reden wir uns nur noch mit dem Vornamen und mit ‚Du‘ an. Ich heiße Kiron, mein Großvater heißt auch Kiron und meine Frau heißt Kilad. So, dies nur zur Verständigung. Und nun starten wir! Großvater, willst du mit ins Jahr 2010? Es soll dort regnen!“

„Aber ja, ich kann mir doch solch eine Gelegenheit nicht entgehen lassen. Was muss ich tun?“

Und Anton erklärte die Benutzung des magischen Steines.

„Und das ist alles?“, fragte verwundert Kalidas Vater.

„Ja, ich ziehe die magischen Zeichen nach und denke: ‚Jahr 2010‘. Und schwups bin ich in der Gegenwart. Und jetzt starte ich!“

Ein gewaltiger Donnerschlag erschreckte Anton gerade in dem Moment, als er in der Gegenwart ankam. Als dann Vater und Urgroßvater Kiron neben ihm erschienen, begann es heftig zu regnen.

„Oh, ist der Regen nass!“, kommentierte der Urgroßvater den Gewitterguss. Und weil Anton verdutzt über diese Aussage war, erklärte ihm Kalidas Vater lächelnd, dass es in ihrer Welt nur noch des Nachts regnet. Solch ein Himmelsschauspiel, wie ein mächtiges Gewitter, sei im Jahre 3010 völlig fremd geworden. Ihr Regen fällt sacht und gezielt zur Erde.

„So, jetzt will ich noch ins Jahr 1010 gehen. Will mir die Menschen betrachten und mit ihnen sprechen!“

„Wir müssen aber vorsichtig sein. Sie sind gewalttätig!“ Anton dachte mit Schrecken an dem Spieß, der nach ihm geworfen wurde.

„Ach, keine Angst. Mein Anzug hält jedes Feuer aus, mein Helm übersetzt mir alle Sprachen. Mir kann nichts geschehen. Du musst dich aber vorsehen, Junge. Hätten dir doch sofort einen Anzug geben müssen. Also, sei vorsichtig!“

Kalidas Urgroßvater zog als Erster die magischen Zeichen nach. Als Anton als Letzter im Jahr 1010 ankam, staunte er nicht schlecht. Urgroßvater Kiron stand vor den drei Männern, die vor ihm auf dem Boden lagen.

Anton hörte den Urgroßvater sagen: „Nein so etwas! Die Männer glauben, ich wäre ein Gott. Jetzt beten sie mich an.“

Und wirklich: Die Männer lagen auf dem Bauch und hoben beide Hände gen Himmel!

Kalidas Vater versuchte, ein Gespräch mit den drei Männern zu beginnen, doch außer „O Herr, willkommen auf Erden! Wir sind deine Diener!“ konnte er nichts aus den Männern herausbringen.

So rief Vater Kiron seinem Großvater zu: „Lass uns zurückkehren! Ich möchte mir noch das schwarze Nichts ansehen, von dem Kori uns erzählt hat. Komm, Großvater!“

Die Drei machten eine Zwischenstation im Jahre 3010, um dann sogleich ins Jahr 6010 zu starten. Aber jetzt wollten alle mit, auch Kori, Kalida und ihre Mutter.

„So etwas muss man doch gesehen haben!“, meinte Kalidas Mutter und ließ sich von Martin die Benutzung der magischen Zeichen erklären.

Anton war der Siebente, der Letzte, der im Jahr 6010 ankam. Alles sah so aus, wie er es vor einer Woche mit Martin gesehen hatte. Auch jetzt war von der schwarzen Wand nichts zu sehen.

Martin erklärte, dass sie das Schwarze von der Eiche aus gesehen hätten. Und sofort liefen alle zur alten Eiche. Koris Vater, er maß bestimmt zwei Meter und zwanzig Zentimeter, griff einen starken Ast und zog sich ohne große Kraftanstrengung hoch. Schnell war er etliche Meter im Geäst hinaufgeklettert und rief nun hinunter: „Ja, ich sehe die schwarze Wand! Sie ist noch weiter entfernt, aber von hier oben aus gut sichtbar.“

Und schon stand er wieder neben den anderen. „Also - ich muss dorthin! Bleibt ihr hier?“

Aber keiner wollte zurückbleiben. Auch Großvater Kiron bestand darauf, die schwarze Wand zu begutachten.

„Großvater, es kann anstrengend werden“, meinte sein Enkel Kiron.

„Ach mein Junge, ich habe doch vorgesorgt!“ Und Großvater Kiron zog aus der Bauchtasche seines Anzuges ein blinkendes Bündel, rollte es ab und stellte sich auf ein glitzerndes Band.

„Was ist denn nun? Wollt ihr nicht?!“ Der alte Kiron feixte übers ganze Gesicht.

„Na dann los!“ Kalidas Vater gab die Richtung vor. Anton, der neben ihm herlief, staunte nicht schlecht über dieses kleine glitzernde Band, auf dem Großvater Kiron stand. Dieses Band bewegte sich in Schrittgeschwindigkeit. Kalidas Vater erklärte dem Anton, dass dies ein Fortbewegungshilfsgerät sei und speziell für ältere Menschen gefertigt wird. Immerhin sei sein Großvater nun schon 123 Jahre und feiere in einem Monat seinen 124. Geburtstag. Als Anton dies hörte, starrte er den alten Kiron an, sodass der sich befleißigt sah, zu erklären, dass er schon ganz schön klapprig geworden sei. Noch vor fünf Jahren hätte er dieses Hilfsmittel, dieses Bewegungsband nicht gebraucht.

Martin ging mit Kori und seiner Mutter hinterher. Sie fragte die ganze Zeit Martin aus. Da sie ja Wettermacherin ist, erkundigte sie sich nach dem Wetter in der Vergangenheit. Sie wollte von Martin wissen, wie man im Jahr 2010 das Wetter beeinflussen könne. Und als Martin darauf keine Antwort geben konnte, wollte sie dann vor allem vieles aus dem Alltag der Menschen erfahren.

So marschierte die kleine Gruppe mitten durch den lichten Laubwald. Interessiert beobachteten alle Erwachsenen die Pflanzenwelt. Großvater Kiron hielt des Öfteren an und betrachtete einen Baum oder einen Strauch genauer. Dann endlich standen sie vor der schwarzen Wand. Jetzt zeigten Kori und Martin, welche Experimente sie mit dem schwarzen Nichts gemacht hatten. Und die Erwachsenen taten es ihnen nach. Auch Anton griff ins Schwarze und Kalida versuchte, Antons Hand zu erfassen. Das Schwarze war wirklich nur ein Nichts.

Auf dem Rückweg zum magischen Stein waren Vater und Urgroßvater Kiron nicht ansprechbar. Anton versuchte, etwas von ihrem Gespräch zu erhaschen – aber er gab es bald auf. Ihre Sprache, auch wenn sie ins Deutsche übersetzt wurde, war für ihn nicht verständlich. Es wimmelte nur so von Fachausdrücken, die er noch nie gehört hatte. So ging er zu Kalida und die freute sich über Antons Gesellschaft.

„Ich soll euch fragen, was ihr euch hinterher ansehen möchtet,“ sagte sie zu Anton.

Und der antwortete: „Ich weiß nicht. Wenn ich an eure Technik denke, so verstehe ich sie sowieso nicht. Am liebsten würde ich mir ansehen, wie ihr im Jahr 3010 lebt, womit ihr euch beschäftigt, was ihr lest oder wie eure Filme sind. Weißt du, Kalida, was ich meine?“

Kalida nickte. „Ja, meine Mutter meinte schon, dass das euer Wunsch sein könnte. Sie kann sich nämlich sehr gut in andere Menschen hineinversetzen. Dann zeigen wir euch, wie man in unserer Stadt lebt. Einverstanden?“

Zurück im Jahre 3010 fanden alle Menschen in der geräumigen Kugel Platz. Ein Platz blieb sogar leer. Dort lagen die Anzüge und Helme für Anton und Martin und für Martin Kleidung aus dem Jahr 3010.

Kori gab sie freundlich lächelnd dem Martin. „Zieh sie an, Martin. Ich habe die kleinsten Sachen genommen, die ich noch hatte. Ich hoffe, sie werden dir passen.“

Und jetzt war das eingetreten, wovor Martin die ganze Zeit „Schiss“ hatte: Er sollte vor allen die Kleidung wechseln. Nur war er mit diesem Problem nicht allein, denn Kalida griff hinter sich und reichte dem Anton die aufgehobenen Kleidungsstücke. Also zog sich Anton aus, behielt aber diesmal die Unterwäsche an. Erleichtert sah das Martin und tat es seinem älteren Bruder nach. Zufrieden schaute Kalida zu Anton und auch Kori meinte über Martins Outfit: „Bist ja doch nicht ganz so klein, Martin. Passt genau!“

Kalidas Mutter reichte den Brüdern jetzt ein dünnes Band, welches sie als Stirnband tragen sollten. „Bindet es um, dann können wir uns auch ohne Helme verständigen, und wenn wir unter Menschen sind, versteht ihr auch die anderen.“

Und als Anton das Band genauer untersuchte, bemerkte Kori stolz: „Der Übersetzer ist dort im Stirnband eingearbeitet. Das hat mein Papa für euch hergestellt.“

So ausgerüstet, wollten die Brüder eine Mega-City im Jahre 3010 kennenlernen. Sie wollten nicht nur hindurchfliegen oder von Robotern bedient werden, nein – Anton und Martin wollten das Leben in einer 50-Millionen-Stadt erleben.

Der Parkplatz oder das Parkgebäude war ein schlanker Turm, an dem die Kugel vollautomatisch andockte. Hunderte solcher Kugeln hingen am Turm. Von Weitem sah es aus, als ob an einem Halm viele kleine Schnecken hingen. Mit einem Fahrstuhl ging es zur Straße und das war wirklich eine Straße, so wie sie Anton und Martin kannten. Das war ein Gewimmel! Menschen hasteten oder schlenderten gemächlich vorbei. Überall gab es kleine oder große Läden, die zum Einkaufen einluden. Und da es kein Geld mehr gab, wurde nicht verkauft sondern gegeben. Als Martin in einem Fenster Nachbildungen historischer Fahrzeuge entdeckte, blieb er am Fenster stehen. Kilad, Koris Mutter nickte ihrem Sohn zu und der forderte Martin auf, sich ein solches Spielzeug im Historien-Laden auszusuchen. Auch Anton war neugierig auf diesen Laden. Der Vater Kiron und der Urgroßvater schienen all dies nicht wahrzunehmen. Seit sie die schwarze Wand, dieses schwarze Nichts gesehen und erlebt hatten, seit dieser Zeit diskutierten sie. Für Kori und Kalida schien das völlig normal zu sein. Nur jetzt, da man mit den Gästen aus dem Jahre 2010 durch eine der großen Mega-Citys schlenderte, war dies wohl nicht geeignet, um den Gästen das Leben im 4. Jahrtausend nahe zu bringen. So war es auch nicht verwunderlich, dass Kalidas Mutter die beiden Männer in ein Restaurant verbannte. „Wartet dort auf uns!“, sagte sie zu den beiden. Doch keiner, der die Szene erlebte, glaubte, dass die beiden Kirons das verstanden hatten.

Kori ging als Erster in den Laden und alle folgten ihm. In diesem Laden gingen den beiden Jungs die Augen über. Was man nicht alles haben konnte?! Für Martin war die Auswahl bereits getroffen. Bereits draußen am Fenster hatte er sich für den roten Ferrari entschieden. Und als jetzt die Verkäuferin, es war wirklich ein Mensch und kein Roboter, ihm das Auto erklärte, da staunte nicht nur Martin.

„Menschenskind Martin, ein Ferrari mit Benzinmotor, sagenhafte 200 km/h! Mannomann, den nimm!“

Und die Verkäuferin lächelte dem Martin zu und Martin strahlte zurück. Kori zückte dafür ein Kärtchen, das er der Verkäuferin reichte.

Anton, der das gesehen hatte, fragte jetzt Kalida: „Also wird bei euch doch auch bezahlt? Oder?“

„Nein, es wird nur registriert. So unterbindet man, dass Menschen habgierig werden könnten, die dann Sachen zu Hause horten, die sie gar nicht brauchen. Man hat dies eingeführt, damit die Krankheit dieser Menschen besser erkannt wird.“

„Eine Krankheit?“ Verwundert schaute Anton zu Kalida.

„Ja, eine psychische Störung. So sagen die Mediziner dazu.“

Und Anton dachte, dass dann wohl im Jahre 2010 sehr viele Menschen unter dieser psychischen Störung leiden.

Auch Anton sollte sich einen Gegenstand aus dem ungeheuren Angebot aussuchen. Doch die Vielfalt war erdrückend. Vieles betrachtete er, doch entscheiden konnte er sich nicht. Es gab „echte“ Jagdwaffen der Indianer, Kleidung der Mongolen, wie sie vor 2000 Jahren getragen wurden, Flugzeuge aller Art und Größe, selbst Kühlschränke und Möbeleinrichtungen konnten hier erworben werden.

„Wozu braucht ihr das alles?“, fragte Anton verwundert.

„Das ist zurzeit ein Modetrend. Es werden Räume so eingerichtet, wie sie vor 500 oder 1000 Jahren aussahen. Manche wechseln auch die Ausstattung. Dann gibt es Räume wie in China zur Kaiserzeit und im nächsten Monat lebt man in einem Raum, wie ihn die Menschen vor 700 Jahren benutzt haben. Es ist halt modern, Anton.“

Kalidas Mutter hatte sich die ganze Zeit zurückgehalten. Jetzt ging sie zu den Kindern, bewunderte Martins Auto und fragte Anton, was er sich mitnehmen möchte. Doch der zuckte nur verlegen mit den Schultern.

„Anton, ich habe was für dich!“, rief Kalida und sprach mit der Verkäuferin. Wenige Augenblicke später kam sie mit einem kleinen Kästchen zurück und überreichte dieses freudestrahlend dem Anton. „Für dich! Es ist ein Chronometer, wie man es vor etwa 500 Jahren benutzt hat. Egal wo du dich befindest, dieser Zeitmesser sagt dir alle Zeiten der Welt auf die Sekunde genau an. Und das Gerät funktioniert auch auf dem Mond. Wenn du also dort bist, und du willst die Mondzeit und gleichzeitig die Erdzeit deiner Stadt wissen, das Gerät sagt dir alles. Nur auf dem Mars, da ist die Zeitenangabe sehr ungenau. Dann musst du …“

Anton unterbrach lächelnd den Redefluss seiner Freundin. „Kalida, ich lebe im Jahr 2010. Ich komme nicht auf den Mond und erst recht nicht auf den Mars.“

„Entschuldige, Anton, aber vielleicht gefällt er dir doch, der Chronometer.“

„Klar, ist ein tolles Gerät! Danke, Kalida!“ Anton heftete sich den Zeitmesser an sein Obergewand. „Richtig so angebracht?“, fragte er.

Kalida nickte und reichte der Verkäuferin ihr Kärtchen hin.

Vor dem Geschäft meinte Kilad: „Jetzt müssen wir zu Vater und Großvater. Ich hoffe, sie sitzen noch im Restaurant.“

Aber in dem Restaurant, in dem sie sitzen sollten, saßen sie nicht.

„Wir lassen suchen!“, meinte daraufhin Kilad und begab sich zu einer kleinen Säule an der Ecke der Straße.

„Wie will man in einer 50-Millionen-Stadt zwei Männer finden?“, fragte Anton Kalida.

„Komm zu meiner Mutter. Dort hörst du es.“ Und die beiden rannten zur Ecke. Dort sprach Kilad in die Säule: „Ich suchte Kiron, den Älteren und Kiron, den Jüngeren. Ihre ID-Nummer ist …“

Kilad sagte zwei sechsstellige Zahlen in die Säule und im nächsten Augenblick hörte Anton: „Die gesuchten Personen sitzen im Restaurant ‚Blumenhügel‘. Die Wegbeschreibung lautet …“

Etwas verärgert sagte Kilad: „Nein diese Männer! Wir nehmen ein Band!“

Und sie winkte dem Kori und dem Martin, und als die beiden bei ihr waren, gingen alle zu einem glitzernden Band, man stellte sich darauf und das Band transportierte die Menschen zum Ziel und das war recht weit entfernt.

Am Rande der Siedlung, auf einem Hügel, der über und über mit Blumen bepflanzt war, stand ein niedriges Gebäude. Menschen saßen auf der Terrasse und Roboter-Kellner bewegten sich flink zwischen den Tischen. An einem der Tische saßen Vater Kiron und sein Großvater und debattierten laut. Die Tischplatte war ein großer Bildschirm, auf dem man viele Gleichungen und ein unübersichtliches Zahlengewirr erkennen konnte. Hinter den beiden standen mehrere Männer und Frauen und diskutierten mit. Der Bildschirm wurde gelöscht und sofort wieder mit neuen Zahlen beschrieben.

Dreimal musste sich Kilad bemerkbar machen, bevor ihr Ehemann mitbekam, dass er angesprochen wurde.

Als Erklärung sagte er: „Wir finden keine Erklärung für das Unfassbare, was wir kennengelernt haben. Hätte ich es nicht selbst erlebt, ich würde es keinem glauben. Es ist wie eine virtuelle Welt – und doch real. Wir haben verschiedene Hypothesen, aber …“

„Kiron“, unterbrach ihn seine Frau, „vergiss nicht, wir haben Gäste aus dem 3. Jahrtausend. Wir müssen sie zum Stein bringen!“

„Ach ja – der Stein! Er muss eine besondere Rolle in diesem System haben. So etwas Ähnliches habe ich …“

„Kiron!“, fauchte jetzt seine Frau. „Kiron, du stehst jetzt auf, du nimmst den Großvater an die Hand und dann folgst du uns!“

Und folgsam stand Kiron, der Jüngere auf, nahm seinen Großvater an die Hand und zog ihn zu dem glitzernden Band. Hatte jetzt Anton angenommen, dass die Diskussion zwischen den beiden Männern beendet wäre, so wurde er eines Besseren belehrt. Kiron und Kiron diskutierten, unterstrichen die Bedeutung ihrer Worte mit heftigen Armbewegungen und merkten gar nicht, dass Kilad sie am Ziel angekommen leicht schubsend in die Kugel hievte.

„Geschafft!“, seufzte sie erleichtert. Sich an Anton wendend, sagte sie mit einem Schmunzeln erklärend: „So etwas ist normal bei den Kirons. Das hört erst auf, wenn man die Lösung des Problems hat. Und das kann bei diesem Problem dauern!“

Martin war fast die gesamte Zeit mit seinem Ferrari-Auto beschäftigt. Das heißt, er betrachtete es liebevoll, strich über den Lack und malte sich aus, wie das Auto auf der Asphaltstraße davonsausen wird.

Anton und Kalida verabredeten, dass Kalida in einer Woche mit ins Jahr 2010 „reisen“ soll. Auch Kori holte sich für die Reise ins Jahr 2010 die Erlaubnis seiner Mutter. Doch alles sollte anders kommen …

 

Hier nun das letzte Kapitel!