Geschichten für Kinder

Hannes

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von Joachim Größer (2008)

 

Martin rieb sich die Augen. „War das ein verrückter Traum“, murmelte er und ging ins Bad. Aber auch beim Waschen und Zähneputzen ging ihm dieser verrückte Traum nicht aus dem Sinn.

Heute, am Sonnabend, saß die ganze Familie gemeinsam am Frühstückstisch.

„Mama“, fragte Martin, „können Träume wahr werden?“

„Nun, ja“, antwortete ihm seine Mutter, „wenn man einen Traum hat und auf die Erfüllung dieses Traumes hinarbeitet, dann wird ein Traum wahr.“

„Nee Mama, so meine ich das nicht. Ich hatte heute einen ganz verrückten Traum. Ich hatte ein Auto, das mit mir sprechen konnte, meine Gedanken verstand und mich überall dorthin brachte, wohin ich wollte. Kann so etwas Verrücktes wahr werden?“

„Bestimmt nicht!“ Martins Vater mischte sich ins Gespräch. Du hast gestern doch den Film vom `Käfer Hörbie´ gesehen. Und weil dir so ein Auto gefallen hat, hast du davon geträumt.“

Die Antwort seines Vaters leuchtete Martin zwar ein, insgeheim wünschte er sich aber, dass doch solch verrückte Träume wahr werden. Und das sagte er dann auch laut – mit dem Ergebnis, dass sein älterer Bruder Anton ihn für verrückt erklärte. Dies wiederum brachte Anton Martins ausgestreckte Zunge ein. Ärgerlich über sich selbst, über seinen verrückten Traum und über seinen Bruder verließ Martin den Frühstückstisch.

Im Laufe des Tages hätte er diesen Traum vom „Käfer Hörbie“ fast vergessen, wäre da nicht dieses vierblättrige Kleeblatt gewesen, welches er am frühen Nachmittag unweit der Terrasse gefunden hatte. Seine Oma sagte ihm einmal, dass solch ein Kleeblatt Glück brächte - man müsse nur fest daran glauben. „Vielleicht“, murmelte Martin vor sich hin, „kann es auch verrückte Träume erfüllen. Ich glaube das jedenfalls!“ Und er pflückte das Kleeblatt behutsam, ordnete die vier Blätter und sprach dann: „Bitte, bitte, erfülle meinen Traum. Lass den `Käfer Hörbie´ erscheinen!“

Während Martin diese Bitte aussprach, hatte er die Augen geschlossen. Als er sie jetzt öffnete, hoffte er, der „Käfer Hörbie“ würde vor ihm stehen. Aber – weit und breit kein legendärer „Hörbie“. „Ach“, knurrte Martin, „stimmt doch alles nicht! Kein Kleeblatt bringt Glück!“

Enttäuscht machte er sich auf dem Weg zu seinem Freund Lukas. Auf halber Strecke hupte es hinter ihm. Martin drehte sich um und staunte – dort mitten auf der leeren Dorfstraße stand das Auto „Hörbie“! Es sah aus wie der „Käfer Hörbie“ und war es trotzdem nicht. Alles an diesem Auto war kleiner – es war ein Auto für Kinder. Martin konnte es nicht glauben. Er dachte, dass er am helllichten Tage träumen würde. Und um sicher zu gehen, dass er wirklich nicht träumen würde, kniff er sich ganz doll in den Arm. „Aua!“, rief er. Und noch lauter schrie er: „Es ist kein Traum! Es ist wahr!“

Er ging zum Auto und blickte durch das Fenster. Im Auto saß keiner. „Kann ich mit dir fahren?“, fragte Martin. Das Auto antwortete ihm, indem sich die Tür zum Fahrersitz öffnete. Martin setzte sich vorsichtig hinein. Alles war so groß, als wäre es für ihn, dem 8-jährigen Martin gemacht. „Du bist `Hörbie´“, sagte Martin und strich über das Armaturenbrett. Die Sonnenblende klappte herunter und mit großer Schrift stand dort zu lesen: Hannes. „Du heißt also Hannes, richtig?“, fragte Martin und als Antwort klappte die Sonnenblende sich wieder zurück. Martin fasste das Lenkrad an und dachte laut: „Ob es auch einen richtigen Motor hat?“ Die Antwort kam mit dem Starten des Motors.

„Fahr mich bitte zu meinem Freund Lukas“, sagte Martin und „Hannes“ fuhr an. An der Einmündung blieb das Auto stehen. „Warum fährst du nicht weiter?“, fragte Martin. Und „Hannes“ antwortete, indem er die Warnblinker setzte.  „Was heißt das nun?“ Aber eine Antwort bekam Martin diesmal nicht. „Hannes“ stand an der Einmündung und fuhr einfach nicht weiter.

Vielleicht weiß „Hannes“ den Weg nicht, dachte Martin. Und so sagte er: „Fahre gerade aus und die nächste Einmündung nach rechts.“ Und „Hannes“ fuhr los.

„Hier bitte anhalten“, sagte Martin, „ich gehe schnell ins Haus und du kannst dich schon wenden.“ Martin hatte zwar Zweifel, ob sein „Hannes“ diesen Auftrag richtig verstanden hatte, aber als er sich an der Hausecke nochmals umdrehte, sah er, wie sich das kleine Auto vorschriftsmäßig auf der schmalen Straße zur entgegengesetzten Fahrtrichtung stellte.

Lukas hatte im Moment nichts Besseres vor und so kam er zum Spielen nach unten. Wie überrascht war er aber, als Martin ihn zu einer Autofahrt einlud.

„Ein richtiges Auto?“, fragte Lukas und als Autonarr, er konnte schon mit drei Jahren sämtliche Autotypen unterscheiden, stürzte er zur Straße.

„He“, rief er, „du meinst doch nicht etwa das Spielzeugauto!“

„Das ist kein Spielzeugauto! Das ist mein Auto und heißt `Hannes´!“, antwortete Martin verärgert.

„Wie wird es angetrieben?“, spottete Lukas. „Ist es zum Treten oder zum Laufen?“

Jetzt wurde Martin richtig wütend: „Ich wollte dich zu einer Fahrt einladen und du spottest nur. Dann fahr ich eben zu Janis. Der spottet bestimmt nicht!“

Martin sagte: „Öffne bitte die Tür, Hannes.“ Und Lukas bekam riesengroße Augen, als er sah, dass nur durch die Sprache gesteuert sich die Autotür von alleine öffnete. Als „Hannes“ dann mit lautem Motorengeräusch losfuhr, gab es für Lukas kein Halten mehr. „Ich Idiot!“, schrie er, um dann, so schnell er konnte, hinter „Hannes“ herzulaufen. „Martin warte!“, schrie er. „Warte!“

Martin sah im Rückspiegel seinen Freund rennen. „Fahre bis zur nächsten Einmündung! Lukas soll zur Strafe noch etwas laufen!“, befahl er und „Hannes“ führte folgsam den Befehl aus.

„Entschuldige!“, stöhnte Lukas schwer atmend. „Ich wollte dich doch nicht kränken.“

„Entschuldigung angenommen“, erwiderte Martin lächelnd. „Steige in mein `Tretauto´ ein.“ Folgsam öffnete das kleine Auto die Tür zum Beifahrersitz und Lukas nahm staunend Platz. Alles war so, wie in einem richtigen großen Auto. Obwohl es von außen so klein aussah, hatte Martins „Hannes“ Platz für vier Kinder. Das Armaturenbrett glänzte im matten Schwarz. Die Armaturen strahlten im Alu-Look und selbst Radio und Navigationsgerät waren vorhanden. „Hannes“ war längst weitergefahren. Lukas sah nur und staunte. Besonders fand er es toll, dass Martin nicht lenken brauchte. Und das sagte er auch: „Tolle Technik ist das, Martin! Das Auto wird ja durch Bord-Computer gesteuert. Sensoren übertragen die Umgebung der Straße und der Computer berechnet blitzschnell die Fahrtroute. Kann es auch Verkehrsschilder erkennen?“

„Das wirst du gleich feststellen“, erhielt er zur Antwort. „Mein `Hannes´ kann alles!“

Und natürlich konnte Martins kleines Auto das Stop-Schild erkennen und hielt an. Lukas staunte. Immer und immer wieder strich er mit den Händen fast liebkosend über das Armaturenbrett und murmelte: „Ein feines Auto, ein tolles Auto bist du!“

Die Fahrt endete, für Lukas viel zu kurz, wenige 100 Meter weiter auf dem Hof. Ein Mann, Mitte dreißig, kam mit schnellen Schritten aus dem Gasthaus. Eigenartig war, dass er sein Jackett nicht trug, sondern damit einen größeren Gegenstand umhüllte. Er stürzte zu einem schwarzen BMW und fuhr mit quietschenden Rädern vom Hof. Fast hätte er „Hannes“ gerammt. Doch das kleine Auto reagierte blitzschnell und fuhr zur Seite. „So ein Idiot!“, schimpfte Lukas. „Der hätte uns glattweg umgefahren!“

Den Janis brauchten die Freunde nicht rufen, denn der kam schreiend aus dem Haus gerannt. „Da fährt er! Das ist der Dieb!“, schrie er und zeigte in Richtung Hauptstraße.

„Los, einsteigen!“, rief jetzt Martin und „Hannes“ öffnete die hintere Autotür. Janis erkannte seine Freunde und zögerte nicht. „Ist das ein Auto?“, fragte er zuerst verwundert. Dann, die Antwort nicht abwartend, rief er: „In diese Richtung ist der Dieb davongefahren! Er hat den Computer geklaut! Können wir ihm folgen?!“

„Hannes“ brauchte keinen Befehl von Martin. Er fuhr zuerst sehr vorsichtig vom Hof, dann auf der Straße erhöhte er das Tempo.

„Wau!“, schrie jetzt Janis vor Begeisterung. „Wo habt ihr dieses Auto her?“

Aber eine Antwort bekam er nicht. Dagegen wollte Martin wissen, ob der Computer gestohlen wurde, auf dem all die wunderbaren Spiele installiert waren. Und natürlich war es dieser!

„Bitte `Hannes´, fahr schneller!“, bat Martin. „Du musst ihn unbedingt einholen!“ Und „Hannes“ erhöhte das Tempo, um aber sofort wieder zum Halten aufgefordert zu werden. Der Grund war Leon, Janis Hund. Der war so schnell er konnte hinter dem Auto hergejagt. Nun stand er hechelnd neben dem Auto und schaute mit seinem treuen Hundeblick zu seinem Herrchen.

„Können wir Leon mitnehmen?“, fragte Janis.

„Klar, kann er mit! Wir haben doch vier Plätze im Auto“, antwortete Martin. „Vielleicht kann er uns helfen, den Dieb zu fangen!“

Während sonst immer „Hannes“ die Tür selbständig öffnete, verweigerte er jetzt diesen Dienst. So öffnete Janis die Tür und Leon sprang bellend ins Auto. Mit lautem Zuknallen der Tür reagierte das kleine Auto scheinbar verärgert. Leon bellte wieder und „Hannes“ antwortete mit sehr lautem Hupen.

„Du magst wohl keine Hunde?“, fragte Martin seinen „Hannes“. Das Auto hupte mehrmals, was wohl soviel wie „Ja“ bedeutete.

„Leon ist ein guter Hund“, verteidigte jetzt Janis seinen Leon. „Und er kann ausgezeichnet riechen und Diebe mag er sowieso nicht!“

„Hannes“ akzeptierte wohl diese Antwort, denn er fuhr los. Inzwischen war aber der schwarze BMW längst „über alle Berge“.

„Wie sollen wir den Dieb nur finden?“, jammerte Janis.

„Also, ich habe mir die halbe Autonummer gemerkt“, meinte Lukas. „Zuerst kam ein H und hinten war eine 8 – mehr weiß ich leider nicht.“

„Und ich weiß nur, dass der Mann schwarze Haare hatte, einen dunkelblauen Anzug trug und bestimmt zwei Meter groß war.“

„Nee, Martin“, erwiderte Lukas, „der war höchsten 1,80 Meter, nicht größer!“

Während die Jungs über das Aussehen des Diebes stritten, begann das Navigationsgerät im Armaturenbrett zu blinken. Nur Leon bemerkte das und bellte. „Ruhig, Leon“, beschwichtete Janis und streichelte seinen Hund. Leon hörte auf zu bellen und „Hannes“ begann zu piepen. Lukas schaute zuerst auf das Navigationsgerät. Er sah eine Straßenkarte und ein schwarzer Stern blinkte immerzu.

„Jungs!“, rief Lukas, „Schaut mal zum Navigationsgerät. Dieses Zeichen muss der schwarze BMW sein!“ Lukas war außer sich vor Begeisterung: „Das Auto hat die Nummer vom BMW gespeichert und hat garantiert über Satelliten den Standort des schwarzen BMW`s  geortet. Mannomann! Das ist eine Technik!“

„Wie soll denn das gehen!?“ Lukas meldete Zweifel an. „Der BMW hat doch keinen Sender!“

„Mein `Hannes´ kann das!“, sagte Martin und beendete damit die Diskussion. Die Drei starrten jetzt gebannt auf das Navigationsgerät. Das kleine schwarze Sternchen bewegte sich mit großer Geschwindigkeit. Jetzt stand das Zeichen still, langsam ging es rückwärts, um in die nächste Straße rechts abzubiegen.

„Ich weiß, wo der Dieb hinwill!“, schrie Janis. „Wenn der jetzt immer geradeaus fährt, kommt er zur alten, stillgelegten Fabrik. Bestimmt will er dort den Computer verstecken!“

„Ich kenne eine Abkürzung!“, rief Martin und dirigierte seinen „Hannes“ jetzt mit Befehlen. Sie fuhren über einsame Landstraßen und „Hannes“ erhöhte die Geschwindigkeit. Der Tachometer zeigte mehr als 50 km/h an. „Kannst du noch schneller fahren?“, fragte Lukas und „Hannes“ erhöhte auf  60 – schneller fuhr er nicht.

Da es Sonnabendnachmittag war und im Fernsehen ein sehr wichtiges Fußball-Länderspiel übertragen wurde, waren die Straßen zum Glück wie leergefegt. Aber die wenigen Autofahrer, die ihnen entgegenkamen oder überholten, staunten nicht schlecht über das kleine Auto. Sie hupten oder winkten den Kindern zu. Doch die starrten auf das Navigationsgerät, um ja nicht den Dieb zu verlieren. „Hannes“ fuhr sicher und allein zur alten Fabrik.

Als sie zu dem Fabriktor kamen, sahen sie den schwarzen BMW auf dem Innenhof stehen.

„Jetzt müssten wir die Polizei rufen!“ Janis schaute sich um. Aber natürlich war hier keine Telefonzelle vorhanden. Dafür begann „Hannes“ wieder zu piepsen. Jetzt leuchtete das Radio hell und die Zahlen 110 blinkten im Display. „Sie haben den Notruf 110 gewählt! Bitte sprechen Sie!“

Die Jungs waren verdattert. Zuerst hatte sich Lukas gefangen. „Wir jagen einen Dieb!“, rief er. „Er hat meinen Computer geklaut!“ Das war Janis und Martin ergänzte. „Das ist ein Computer mit vielen dollen Spielen drauf!“

„Ganz ruhig, Jungs“, antwortete ihnen eine Frau. „Am besten ist, wenn nur einer spricht. Sagt zuerst, wo ihr jetzt seid und wo der Dieb sein könnte.“

„Los Janis, sprich du“, sagte Martin, „es ist dein Computer!“

Janis holte tief Luft und plapperte dann los. „Wir sind an der alten, stillgelegten Fabrik. Wir stehen am Tor. Der Dieb hat den schwarzen BMW auf dem Hof der Fabrik abgestellt und ist nicht zu sehen.“

„Gut hast du erzählt“, antwortete die Frau, „jetzt sage mir noch, was ist gestohlen worden?“

„Der Dieb hat meinen Computer gestohlen.“ Janis war erleichtert. Jetzt war alles gesagt.

„Zwei Polizeiautos sind zu euch auf dem Weg. Ihr bleibt dort, wo ihr seid. Die Beamten werden in 10 Minuten bei euch sein. Habt ihr alles verstanden?“

„Ja, haben wir!“, antwortete Janis.

So saßen die drei Jungs nun mit ihrem Hund im kleinen Auto und warteten. Da beim Warten einem eine Minute wie zehn vorkommt, stiegen die Jungs vor Ungeduld aus dem Auto. Sie gingen zum Tor und bemerkten, dass es nur angelehnt war.

„Wollen wir nicht nachsehen, wo die Diebe sind?“, fragte Lukas.

„Mein Leon könnte sie aufspüren. Er hat eine besonders gute Witterung“, ergänzte Janis Lukas Vorschlag.

„Aber wir sollen doch hier warten“, entgegnete Martin. „Das hat doch die Frau gesagt. Und mein ´Hannes´ wäre dann auch allein.“

„Das Auto fährt nicht alleine weg und die Polizei findet auch ohne uns zum schwarzen BMW. Los Martin, komm mit!“ Lukas war entschlossen, den Dieb aufzuspüren. Er öffnete das Tor. Lautes Quietschen zeigte an, dass dieser Vorgang nicht häufig geschah. Ein schmaler Spalt genügte, um Lukas hindurchschlüpfen zu lassen. Janis folgte ihm und Leon war nun auch nicht zu halten.

Martin wollte zwar seine Freunde nicht im Stich lassen, aber „Hannes“ auch nicht. Verärgert rief er deshalb: „Na, dann haut doch ab!“

„Hannes“, Martins kleines Auto, musste dies wohl auf sich bezogen haben, denn er startete den Motor und fuhr davon. Martin rannte ihm nach, aber „Hannes“ hörte nicht auf sein Rufen und war bald hinter der Strießenbiegung verschwunden.

Wütend auf seine Freunde und wütend auf „Hannes“ rannte Martin zurück zum Tor. Er entschloss sich nach kurzem Zögern, seinen Freunden zu folgen.

Lukas und Janis standen am schwarzen BMW und schauten durch die Fenster ins Innere des Wagens. „Entdeckst du irgendwo meinen Computer?“, fragte Janis. „Nee, vielleicht ist er im Kofferraum!“ Lukas ging zum Heck des Autos und öffnete den Kofferraum. „Nichts ist drin“, kommentierte er das Ergebnis der Suche. Martin, inzwischen bei seinen Freunden angekommen, meinte, dass der Dieb seine Beute bestimmt in der alten Fabrik versteckt habe.

„Du hast recht, Martin“, sagte Janis. „Leon, jetzt bist du dran! Zeige, dass du eine besonders gute Hundenase hast!“

Janis öffnete die Tür der Fahrerseite und Leon schnüffelte am Autositz.

„Such! Such!“, befahl Janis und Leon rannte los - die Jungs hinterher. Es ging um mehrere Ecken, dann verharrte Leon und bellte. „Ruhig!“, befahl Janis und hielt erschrocken seinem Hund das Maul zu. Lukas hatte sich zu einem Kellerfenster geschlichen. Er glaubte, Stimmen gehört zu haben. Vorsichtig äugte er durch das matte und verdreckte Glas und sah in einem nur schwach erhellten Raum den Mann mit dem dunkelblauen Anzug. Heftig redete er auf seinem Gegenüber ein. Der fuchtelte wild mit seinen Armen umher und zeigte immer wieder in den hinteren Teil des Raumes, den Lukas nicht sehen konnte. Martin hatte ein anderes Fenster besetzt und Lukas sah durch das dritte. Auch Leon interessierte sich für das Geschehen im Keller. Als er den Mann im dunkelblauen Anzug sah, bellte er so laut und heftig, dass die beiden Streithähne erschrocken zum Fenster starrten. Dort sahen sie nur einen wolfsgroßen Hund, der sie ankläffte. Die drei Jungs waren hastig zurückgewichen und beratschlagten, was sie tun sollten. Doch die Entscheidung wurde ihnen abgenommen. Leon sah, wie die beiden Männer zu einer Tür liefen. Auch Leon rannte los und stellte sich vor die Ausgangstür. Als einer der Männer, es war der Dieb, die Tür vorsichtig öffnete, war Leon nicht mehr zu halten. Er bellte jetzt nicht mehr, sondern knurrte bedrohlich, fletschte die Zähne und stand sprungbereit. Je weiter der Mann die Tür öffnete, umso lauter wurde Leons Knurren. Die Jungs standen jetzt hinter Leon. Sie sahen, wie der Mann einen kräftigen Stock zugereicht bekam. Jetzt schrie Janis aufgeregt: „Fass!“

Und der Hund zeigte, dass die Ausbildung, die Janis mit ihm durchgeführt hatte, nicht schlecht war. Leon sprang zur Tür. Der Dieb ließ vor Schreck den Knüppel fallen und zog hastig die Tür ins Schloss. Stolz präsentierte nun Leon den Knüppel, legte ihn vor Janis ab und wollte als Sieger belobigt werden. „Gut gemacht, mein Leon!“ Janis kraulte ihm den Hals. „Gut gemacht!“

Martin hatte eine Eisenstange entdeckt. Die schleppte er an. „Helft mir mal!“, rief er. „Wir verkeilen damit die Tür!“ Und so taten es die Freunde. Um sicher zu gehen, warfen sie noch Kisten und Bretter vor die Tür, so dass ein schnelles Entkommen der Diebe durch diese Tür unmöglich wurde. „Wir müssen kontrollieren, ob es noch andere Fluchtmöglichkeiten gibt!“, meinte Lukas. „Und wir müssen der Polizei zeigen, wo die Diebe sind“, ergänzte Martin.

Luka übernahm jetzt als Ältester die Rolle des Bestimmers: „Martin, du rennst zum Tor und öffnest das für die Polizei. Janis, du bleibst mit Leon hier und behältst die Tür im Auge. Ich renne um das Gebäude herum und kontrollier, ob das die einzige Tür ist.“

Lukas entdeckte schnell, dass aus dem Keller dieses Gebäude die beiden Männer nur durch die verrammelte Tür entkommen konnte. Die Fenster waren so klein, dass sich höchstens ein Kind da hindurchzwängen könnte. Allerdings waren mehrere Fenster im oberen Geschoss vorhanden. Nur, ob der Dieb und sein Komplize aus zwei bis drei Meter auf den Betonboden springen würden, das bezweifelte Lukas.

Martin rannte so schnell er konnte zum Tor. Erleichtert hörte er schon die Polizeisirene. Dann verstummte diese und als Martin das Tor quietschend öffnete, sah er das erste Polizeiauto mit eingeschaltetem Blaulicht. Das zweite folgte ebenfalls mit hoher Geschwindigkeit.

Die Autos fuhren durch das Tor. Eine Tür wurde aufgestoßen und ein Mann rief: „Einsteigen!“

Martin kletterte schnell auf den hinteren Sitz. „Wo ist der Dieb?“, fragte der Beifahrer. Und Martin zeigte den Weg zum Gebäude. Dort erwartete sie Lukas, Janis und Leon, der die aussteigenden fremden Männer anbellte.

„Es sind zwei Männer“, erklärte Janis hastig. „Sie sind im Keller und das ist der einzige Ausgang.“

„Na, dann werden wir die beiden mal zünftig empfangen“, sagte feixend einer der Polizeibeamten. Er griff in den Wagen und holte ein Megaphon heraus. „Hier spricht die Polizei! Hier spricht die Polizei! Wir räumen jetzt die Tür frei! Sie kommen mit erhobenen Händen langsam heraus! Eine Flucht ist unmöglich!“ Er gab Martin, der neben ihm stand, das Megaphon: „Halte es bitte!“, sagte er und winkte dann seinen Kameraden. Die vier Polizeibeamten begannen, die Tür freizuräumen. Martin hatte ein Klatschen gehört. Er schaute in diese Richtung und sah, wie einer der beiden Männer humpelnd davonrennen wollte. Instinktiv nahm er das Megaphon zum Mund und schrie: „Stehen bleiben! Halt, stehen bleiben!“ Und da das Gerät noch eingeschaltet war, hörte der Mann die helle Kinderstimme. Er zuckte zusammen, erstarrte, um dann doch, so schnell er humpeln konnte, davonzueilen. Janis, der Leon die ganze Zeit am Halsband festgehalten hatte, befahl: „Fass!“ Und Leon rannte mit mächtigen Sätzen hinter dem Manne her. Zwei Polizisten und die Jungs folgten ihm. Aber Eile wäre nicht notwendig gewesen. Leon stand knurrend und zähnefletschend vor dem Mann, der mit erhobenen Armen die Polizei erwartete. Er rief den herbeieilenden Polizisten zu: „Ich nix machen! Ich nix verstehen!“

Er ließ sich die Handschellen anlegen und beteuerte immer wieder: „Ich nix machen! Ich nix verstehen!“ Dabei schielte er mit einem Auge immer wieder zu Leon, der aufmerksam der Festnahme zuschaute. Der zweite Polizist beugte sich zu dem Hund. „Kann ich ihn streicheln?“, fragte er. Janis nickte. „Er mag es besonders, wenn man ihm am Hals krault“, sagte er noch. Der Polizist tat dies und redete sehr ruhig auf Leon ein: „Du bist aber ein guter Hund. Schnell und aufmerksam! Du solltest zur Polizei gehen. Bei uns könnten wir dich gut gebrauchen!“ Und Leon hörte dem Fremden mit gespitzten Ohren zu und genoss das wunderbare Kraulen.

Der zweite Mann, es war der Dieb,  trug bereits Handschellen, als die Jungs wieder zu den Autos kamen. Der Leiter dieses Einsatzes rief lachend, als er den anderen Mann erkannte: „Hallo, `Mister Nix verstehen!´ Wir haben Sie wahrhaftig schon lange nicht mehr gesehen! Willkommen zu Hause, Herr Manfred Langfinger!“

Zu den Kindern gewandt, sagte er: „Das ist ein ganz alter Bekannter von uns. Er hat schon so oft im Gefängnis eingesessen, dass er schon selber nicht mehr weiß, wie oft das war. Er ist ein Hehler. Wollen wir uns doch mal anschauen, welche Schätze er diesmal angehäuft hat. Kommt mit Jungs!“

Und die Drei begaben sich hinter dem Polizeibeamten in den Keller. Dort staunten sie nicht schlecht. Hier standen Kisten und Kästen, Computer und Fernseher, Teppiche und Kronleuchter.  Selbst Kühlschränke, Waschmaschinen und sogar ein Tresor lagerten in einer Ecke. Und auf einem Tisch, der Mitten im Raum stand, befand sich ein Computer, der dem Janis sehr bekannt vorkam. Er beäugte ihn von allen Seiten, um dann laut auszurufen: „Das ist er! Das ist mein Computer!“ Und Martin und Lukas bestätigten Lukas Aussage. Ganz deutlich war der mächtige Kratzer an der einen Seite des Gehäuses zu sehen. „Können wir ihn gleich mitnehmen?“, fragte Janis. Der Polizist zögerte: „Na ja, eigentlich nicht. Das ganze Diebesgut muss doch erst von der Kriminaltechnik erfasst werden und dann, nach dem Gerichtsurteil, bekommt ihr euren Computer ausgehändigt.“

„Wie lange dauert denn das?“, fragte Janis verwundert.

„Das dauert schon einige Wochen, manchmal auch länger als ein halbes Jahr!“

„Oooch!“, meinte Martin. „So lange?! Auf den Computer sind doch die ganzen prima Spiele drauf!“

„Na, wenn das so ist“, sagte schmunzelnd der Polizeibeamte, „dann nehmt ihn mit und ich werde das im Protokoll vermerken. Einverstanden?“

Die Freunde strahlten vor Freude. Janis und Lukas nahmen den Computer und trugen ihn nach draußen. „Sagt mal, Jungs, wie seid ihr überhaupt hierher gekommen?“, fragte der freundliche Polizist. 

Was sollten die Jungs darauf antworten. Antworten sie „Mit einem Auto“, dann will garantiert der Polizist wissen, wo der Fahrer und das Auto sei. So entschloss sich Janis zu einer Notlüge: „Mein Hund hat doch eine ganz tolle Supernase. Wir haben die Abkürzungen über die Wiesen genommen.“ Da Janis eigentlich nie log und auch bei dieser Notlüge sich gar nicht wohl fühlte, wurde er knallrot im Gesicht. Auch Martin und Lukas fühlten sich ertappt, als der Polizist sie kritisch musterte. „So, so“, sagte er ernst, „über die Wiesen.“ Dann winkte er einen Beamten zu sich und gab ihm den Auftrag, die Kinder und den Computer nach Hause zu bringen.

Als die Drei auf den hinteren Sitzen im Polizeiauto Platz genommen hatte, flüsterte Janis seinen Freunden zu: „Ob er uns das glaubt?!“

„Bestimmt!“, antwortete ihm Lukas leise. „Sonst hätte er doch weitergefragt.“

„Ich bin mir nicht so sicher“, meinte Martin. „Er hat uns doch so komisch von der Seite angeguckt.“

„Meinst du, die wissen, dass wir mit `Hannes´ gefahren sind?“, fragte Lukas flüsternd und schielte zu den beiden Polizisten, die sich über die Festnahme unterhielten.

„Aber woher soll er von `Hannes´ wissen?“, mischte sich jetzt Janis ein und streichelte dabei seinen Leon, der am Boden lag.

„Du hast bestimmt recht“, erwiderte Martin etwas erleichtert.

 

Wieder zu Hause erzählten die drei Freunde nichts von ihrer Verbrecherjagd. Damit wollten sie Fragen, wie sie auch der Polizist gestellt hatte, vermeiden. Nach dem Abendbrot spielte Martins Bruder mit dem Vater eine Partie Schach. Martin sah sich noch im Fernsehen die Nachrichten auf dem Kinderkanal an. Plötzlich saß er kerzengerade im Sessel. Im Fernsehen zeigte man seinen „Hannes“. Und was sagte da der Reporter: „Dieses Auto hat der Bastler und Erfinder eigentlich nicht für Kinder gebaut. Nein, es ist ein Auto der Zukunft! In diesem kleinen Wagen steckt die modernste Technik. Dieses Auto kann einfach alles. Glaubt es mir! Es fährt selbständig, lenkt selbständig, erkennt alle Verkehrsschilder, benutzt die modernste Navigationstechnik und hat eine Sicherheitstechnik, die die Insassen rundum beschützt. Die Polizei und der TÜV haben dieses kleine Auto, das übrigens auf den Namen `Hannes´ hört, einen Monat unter härtesten Bedingungen getestet. Der Ingenieur vom TÜV sagte mir, dass dieses Auto die Zulassung für den Straßenverkehr erhält und dass jedes Kind damit sicher und gefahrlos fahren kann. Ach, da kommt ja der Erfinder dieses Wunderautos. Hallo! Hallo!“ Man sah einen Mann schnellen Schrittes davoneilen. Er wollte wohl nicht vor der Fernsehkamera sprechen. 

Die Mutter betrat das Wohnzimmer. „Es ist Zeit, Jungs. Ab ins Bett!“

Martin konnte entgegen seinen sonstigen Gewohnheiten schlecht einschlafen. Diese Auto ging ihm nicht aus dem Sinn. Ganz kurz hatte er im Fernsehen das Gesicht des Erfinders gesehen. Und irgendwie war es ihm bekannt vorgekommen – irgendwie! Wieso aber hat der Mann dann von Martins Traum gewusst und wieso hat er ihm dieses kleine Auto geschickt? Kann der Mann, der ein großer Erfinder sein soll, auch Gedanken lesen? Kann er Kindern Träume schicken und diese Träume in Erfüllung gehen lassen? Kann das ein Mensch? 

Und sich darüber Gedanken machend, schlief Martin ein.