Geschichten für Kinder

Mühlengeschichten I

=================

 

Der Mühlenkobold

------------------------

von Joachim Größer (2008)

 

Lange, sehr lange war es her, da pflügte einst der Bauer Georg in einem kleinen Orte, mitten im großen Odenwald, seinen Acker. „Nur Steine ernte ich! Nur Steine!“, schimpfte er, streckte sich und machte dabei seinen Buckel gerade. „Ja, wenn ich einmal Gold statt Steine lesen könnte“, brabbelte er vor sich hin. Und er bückte sich wieder und wieder und las die Steine, die er herausgepflügt hatte, auf.

Einen großen Steinhaufen hatte er in all den vielen Jahren schon mit den Steinen von seinem Acker geschaffen. Er warf wieder zwei große Steine auf den Haufen und plötzlich hörte er eine feine Stimme: „He, Bauer! Pass ein bissel besser auf! Du erschlägst mich noch mit deinen Steinen!“

Erschrocken fuhr der Bauer herum und schaute zum Steinhaufen. Er glaubte, zu träumen. Saß doch dort, oben auf dem Steinhaufen, ein kleines Männchen, angezogen in der Tracht der damaligen Zeit und lächelte dem Bauer zu.

„Ja, wer bist du denn?“, fragte der Bauer Georg das Männchen.

„Ich, ich bin Huck! So nennt man mich in meinen Kreisen.“

„In deinen Kreisen? Welches sind denn deine Kreise?“ Der Bauer beäugte das Männlein argwöhnisch.

„Bauer, bist du dumm! Siehst du das denn nicht? Ich gehöre doch zum Geschlecht der Kobolde! Schau, meine Kleidung, mein Hütchen, meine feinen Schuhe – alles gefertigt für Huck, dem Kobold!“

„Ein Kobold bist du?!“ Der Bauer Georg war mächtig erschrocken. Zaghaft fragte er: „Bist du ein guter Kobold oder ...?“

„Bauer, also in Koboldfragen bist du sehr gering gebildet. Ein Kobold ist immer ...“

Der Bauer starrte auf den Steinhaufen. Der Kobold war verschwunden. Dafür hörte er seinen Sohn Nikolaus, der ihm das Mittagessen aufs Feld brachte.

„Vater, was ist mit dir? Du siehst so blass aus!“

„Nichts, nichts mein Nikolaus“, erwiderte der Vater schnell. „Es ist nur die Sonne. Sie scheint heute wieder so kräftig.“

„Setzt dich in den Schatten unter den Baum. Ich will für dich schaffen.“ So sprach der Nikolaus und mit „Hüh“ und „Hot“ befahl er dem Braunen vor dem Pflug, mit ihm zu arbeiten.

Der Bauer ging zu dem einzelnen Baum, der am Wegesrand stand, und setzte sich in den Schatten.

„Einen guten Sohn hast du, Bauer“, hörte Georg das feine Stimmchen sagen. „Er ist fleißig und geschickt. Er gefällt mir, Bauer!“

Der Bauer nahm die Schüssel aus dem Korb, holte seinen Löffel aus dem Stiefel und brach ein Stück Brot vom Laib.

„Bauer!“ Wieder war der Kobold zu hören - nur zeigte er sich nicht. „Bauer, lass mich deine Suppe kosten. Habe schon lange nichts mehr in meinen Bauch bekommen. Und bitte, auch von dem Brote da lass mich naschen.“

„Nimm nur“, sagte der Bauer. Und er dachte bei sich: „Dieser kleine Mann kann doch nicht viel essen.“

Doch wie erstaunt war er, dass im Nu die große Suppenschüssel leer geputzt war und von dem Laib Brot war nur noch der kleine Happen, den er in der Hand hielt, übrig.

„Es hat geschmeckt, Bauer. Deine Frau kocht gut. Sag, wollen wir einen Vertrag machen?“

„Einen Vertrag?“, erwiderte der Bauer.

„Ja, ich sagte: einen Vertrag! Ich helfe dir und du hilfst mir. Na, wie wäre das?“

„Das klingt gut, Kobold Huck“, antwortete der Bauer. „Lass hören!“

„Ich bleibe für immer und ewig bei dir, du gibst mir Essen und Trinken und baust eine Mühle.“

„Eine Mühle, Kobold? Ich bin doch ein Bauer!“

„Der Vertrag gilt nur, wenn du eine Mühle baust. Sie wird für mich dann Heimat sein.“ Kobold Huck machte eine Pause. Noch immer sah der Bauer den Kobold nicht. Aber sein feines Stimmchen, das hörte er sehr genau. Auch hörte er, dass der Kobold Huck jetzt sagte: „Bauer, ich bin ein Mühlenkobold. Also kommt nur eine Mühle als meine Heimat in Frage. Hast du das verstanden, Bauer?“

„Ja doch, ja!“ Bauer Georg schüttelte den Kopf. „Kobold, wie soll ich eine Mühle bauen, wenn ich nicht die Taler zum Bauen habe?“

„Das lass mal meine Sorge sein“, erwiderte der Kobold und jetzt sah der Bauer den Kobold auch wieder. Er saß ihm gegenüber und lächelte. „Na, schlägst du ein, Bauer?!“ Der Kobold hielt ihm die Hand hin und der Bauer Georg zögerte nicht lang und schlug in die offene Hand ein.

„Huck, huck, huckepack,

hab die Mühle in dem Sack.

Hab die Mühle, groß und fein.

Bauer Georg, ich hau ein!“

Und der Kobold schlug mit der zweiten Hand auf die Hand des Bauern. Dem durchzuckte es, hielt aber die Hand des Kobolds weiter in seiner großen, schwieligen Bauernhand.

„Der Vertrag gilt, Bauer! Nein, bald sage ich Müller zu dir. Jetzt muss du mich entschuldigen. Wir sehen uns wieder, wenn das Mühlenrad rattert!“

Der Kobold ward wieder unsichtbar. Der Bauer schüttelte nur den Kopf über sich. „Ein Kobold war das. Ich habe einen Vertrag mit einem Kobold gemacht! Hoffentlich wird alles gut!“

„Es wird alles gut, Bauer. Sei nicht verzagt! Alles, was du beginnst, wird dir gelingen! Eines muss du beherzigen: Sprich mit niemandem über mich! Denn dann wird dir nichts mehr gelingen!“

Das waren die letzten Worte, die der Bauer hörte. Sein Sohn kam und setzte sich neben ihn. „Vater, jetzt siehst du ja noch schlechter aus. Geh heim! Ich schaffe für dich!“ Und der Bauer ging heim.

Der Kobold hielt sein Wort. Alles, was Bauer Georg begann, glückte ihm. Bald hatte er sich etliche Taler beiseite gelegt, als ein Grundstück am Mörlenbach zum Kauf angeboten wurde. Der Bauer kaufte es und baute eine Mühle. Da der Kobold Huck ihm nicht gesagt hatte, ob er eine Mahlmühle, Papiermühle oder Schneidemühle haben wollte, entschied sich der Bauer für die Schneidemühle. „Mahl- und Papiermühlen gibt es bereits“, sagte er zu seiner Frau. „Holz gibt der Odenwald und Bretter zum Bauen liefert dann unsere Schneidmühle.“

Die Mühle wurde eingeweiht. Der Mörlenbach drehte das große Rad und als das erste „Klack, klack, klack!“ zu hören war, zeigte sich der Kobold Huck dem Bauer Georg.

„Bauer! Bauer!“, schrie er. „Was hast du gemacht? Ich wollte eine Mühle, Bauer! Und was hast du gebaut?!“ Zornig blitzten des Kobolds Augen.

„Ich habe eine Mühle gebaut, Kobold Huck“, erwiderte der Bauer Georg ganz ruhig. „Eine Mühle! Du hast nicht gesagt, dass du eine Mahlmühle haben wolltest.“

Der Kobold Huck wurde ganz grün vor Ärger. Er konnte nichts machen, denn er hatte nur von einer Mühle gesprochen. So blieb ihm nichts anderes übrig, als dem Bauer Georg zu antworten: „So gilt der Vertrag, Bauer!“

„So gilt der Vertrag, Kobold Huck!“ Der Bauer Georg lächelte, als er weitersprach: „Kobold Huck, ich bin kein Bauer mehr! Nenn mich jetzt Schneidmüller. Schneidmüller!“

Und der Schneidmüller Georg dehnte das Wort „Schneidmüller“ so lang, dass es dem Kobold noch lange in den Ohren klingelte.

Der Schneidmüller hielt sein Versprechen. Täglich stand ein Essen, Bier oder Wein oder auch nur klares Brunnenwasser neben dem großen Wasserrad. Und täglich waren Schüsseln und Becher sauber im Mühlenbach gewaschen und wieder abgestellt.

Und so vergingen die Jahre. Als der Schneidmüller Georg die Mühle seinem Sohn übergab, verlangte er: „Täglich stell an diese Stelle ein Essen und ein Trinken. Beherzige es und alles, was du beginnst, wir dir gelingen!“

Und der Sohn Nikolaus beherzigte dies auch. So wurde es Tradition, die auch der Hans und seine Tochter Maria fortsetzten. Und es war so, wie der Kobold es dem Georg versprach: Alles, was begonnen wurde, gelang!

Gar nicht zufrieden war der Kobold Huck, als aus der Mühle eine Bäckerei wurde. Ihm fehlte das „Klack, klack, klack!“ des großen Wasserrades. Noch gab es den Mühlengraben, aber das schnelle Wasser floss jetzt am Mühlenrad vorbei. Und da Kobold Huck darüber sehr verärgert war, neckte und zeckte er die Bäckersleut, sodass denen das Unglück oft im Nacken saß. Und Huck? Er überlegte ernsthaft, auszuwandern. Es wurde im Laden der Bäckersleute viel von einem Land Amerika gesprochen. Dort könne jedermann sein Glück machen. So mancher, der heute noch Semmeln und Brot beim Bäcker kaufte, war am nächsten Tage fort. „Übern großen Teich!“, sagten dann die Leute.

Kobold Huck ging nicht übern großen Teich. Er begnügte sich mit warmen Semmeln und frischem Brot, das er den Bäckersleuten stibitzte, denn die gaben ihm kein Essen mehr.

Doch nach schlechten Zeiten kommen gute. So auch für Kobold Huck. Vernahm er doch eines Tages seltsame Laute. Ein Mann und eine Frau schwätzten, aber er verstand sie kaum. Er machte Riesenohre, um ja kein Wort zu verpassen, aber diese Sprache? Ja, es war deutsch, aber nicht, wie man im Odenwald schwätzt. Diese Menschen rollten das „R“ und Wörter hatten die beiden?! Er lauschte und lauschte und endlich verstand er: Das waren die neuen Besitzer. Er nannte sie Elisabeth und sie ihn Johann – und er war Müller. Kobold Huck hoffte, dass dieser Johann ein Mahlmüller und kein Schneidmüller, der Bretter aus dem Holz sägt, wäre. Diese Tage waren für den Kobold aufregend. Immer versuchte er, Gespräche zu erhaschen, um endlich Gewissheit zu erlangen. Dann hörte er eines Tages: „Sie kommen also aus dem Fränkischen, aus Nürnberg, und wollen eine Mahlmühle betreiben, Herr Johann?“

„Ja, das ist unsere Absicht, dazu eine Schänke. Auch habe ich Land gekauft, das bearbeitet werden muss.“

„Das ist löblich“, vernahm der Kobold, „sehr löblich!“

Und dem konnte sich der Kobold nur anschließen. Jetzt musste er diesem Johann nur noch beibringen, dass er, der Kobold Huck, Anspruch auf sein tägliches Essen und Trinken habe. Ein Kobold, noch dazu einem Mühlenkobold, der um ein tägliches, gutes Essen kämpft, macht alles möglich. So verfasste er auf altem Pergamentpapier ein Schreiben. Auf diesem Papier schrieb er Buchstaben in alter Schrift nieder, verschnörkelt und schön anzusehen:

 „Meinem Gönner zu Dankbarkeit verpflichtet, ermahne ich alle späteren Besitzer dieses Anwesens, nicht zu vergessen, ein gutes Essen und einen köstlichen Trunk täglich neben dem großen Wasserrad zu stellen, auf dass alles gelänge, was derjenige begänne!“

Dann unterschrieb er es mit dem Namen Georg Gölz und datierte es auf das Jahr 1834. Und damit sich dem Müller das Bild vom Mühlenrad und dem Essen gut einprägen sollte, malte der Kobold ein großes Mühlenrad, einen saftigen Gänsebraten und einen großen Weinbecher als Wappen für die „Alte Mühle“, denn so wurde sie von den Müllersleuten nun genannt.

Der Kobold versteckte das Schriftstück auf dem Dachboden. Da er wusste, dass die neuen Besitzer den Dachboden aufräumen wollten, war er sich sicher, dass sie sein Schriftstück auch finden würden. Und sie fanden es. „Schau Liesel“, sagte Johann und las seiner Frau das Schreiben vor. „Was meinst du, Hannes“, fragte die Elisabeth ihren Mann, ob was Wahres dran ist?“

„Probieren wir es, Liesel. Wenn’s uns hilft, im fremden Land heimisch zu werden und unsere Mühle Gewinn abwerfen wird? Probieren wir es!“

Die Liesbeth schlachtete zur Einweihung der „Alten Mühle“ die fetteste Gans und briet sie knusperbraun. Aber nicht die Gäste bekamen diesen Festschmaus, der blieb im warmen Ofen, bis der Tag sich neigte. Johann ging in den Keller und zapfte den besten Wein. Aber nicht nur einen Becher, nein einen großen Krug trug er zum großen Wasserrad. Dort erwartete ihn schon seine Liesel mit dem Gänsebraten. Sie stellten beides, den Braten und den Krug, neben dem großen Mühlrad ab. Sie gingen dann und schlossen die kleine Tür, um sie sogleich wieder vorsichtig zu öffnen. Dann lauschten sie und bald hörten sie ein Schmatzen und ein Glucksen. Ein Scheppern, so, wie wenn ein Knochen aufs Tablett fällt, unterbrach das Schmatzen. „Gut gebraten, Elisabeth“, hörten die beiden Müllersleute ein feines Stimmchen sagen. „Der Wein ist gut, zu gut, Müller!“ Ein Rülpser und noch einer. Liesel und Hannes äugten durch den schmalen Spalt und erschraken. Ein kleines Männchen saß am Mühlenrad gelehnt und aß ihren Gänsebraten und nach jedem zweiten Biss nahm es einen großen Schluck aus der Kanne. Keck hatte es sein Hütchen nach hinten geschoben und redete beim Essen: „Euch solch's gut gehen, Müllersleut! Es wird euch gelingen, was ihr euch vornehmt! Huck, es wird eine gute Zeit.“ Das Männlein strich sich über den dicken Bauch. „Ach, war das herrlich. Nach den vielen Jahren der Semmel und des trockenen Brotes war dies ein Besuch im Paradies! Was wird mir die Elisabeth wohl morgen kochen? Eine einfache Suppe würde mich freuen. Dazu frisches Brot und Johann könnte mir ein Bierchen, aber nur ein kleines, zapfen. Ach war das herrlich!“ Der Kobold Huck strich sich noch einmal über dem Bauch und schlief dann laut schnarchend ein. Dies war das erste und letzte Mal, dass die Müllersleut ihren Untermieter zu Gesicht bekamen. Er aber, der Huck, bekam täglich sein Essen und Trinken und den Müllersleut gelang, was sie begannen. Ihr Sohn Georg tat wie die alten Müllersleut. Die Mühle und die Gastwirtschaft brachten Gewinn und oftmals wurde umgebaut und gewerkelt. Das ärgerte zwar den Kobold, aber solange er seine tägliche Mahlzeit bekam, blieb er den Müllersleuten wohl gesonnen - auch als der Sohn des Georg, Johann mit seiner Frau Anna, die Wirtschaft übernahm. Bereits der alte Müller Georg hatte die Mühle aufgegeben und sein Sohn betrieb auch nur noch die Wirtsschänke. Aber diesmal überlegte Kobold Huck nicht, ob er auswandern oder bleiben sollte. Die Anna konnte nämlich bestens kochen, braten und backen. Und der Johann, der „verschrieb“ sich dem Äppelwoi. Das „Klack, klack, klack!“ fehlte dem Huck zwar sehr und ständig überlegte er, wie er sein geliebtes Mühlenrad wieder hören könnte. Das gelang ihm aber erst viel, viel später. Aber dies ist eine neue und zwar recht eigenartige Geschichte: Es ist die Geschichte, wie der Kobold Huck zu seinem Mühlrad kam.