Kriminalerzählung: 4. "Versteh mir einer die Frauen!"

„Versteh mir einer die Frauen!"

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von Joachim Größer (2013)

Dieser Fall, den der Oberkommissar Mayers immer als den Fall „Ring“ bezeichnete, war zwar in meiner Präsidentenamtszeit nicht mein größter Fall, aber sehr wohl einer der bedeutendsten. Wir haben es mit einer kleinen SOKO geschafft, eine international agierende Menschhändler-Bande hinter Gitter zu bringen. Das brachte mir die Anerkennung der Politik – der Innenminister meinte, mir persönlich gratulieren zu müssen. Na ja, nette Geste! Aber ich konnte diesen Erfolg auch erfolgreich „weitergeben“. Bei einem „Drei-Stunden-vier-Augen-Gespräch“ konnte ich diesen Mayers überzeugen, sich nochmals von einem der besten Chirurgen operieren zu lassen. Er wiederum entlockte mir die Zusage, nicht als „Sesselfurzer“ irgendwo im „Polizeigetriebe“ versauern zu müssen. Ich versprach ihm in die Hand, sollte die OP erfolgreich sein – und davon war ich felsenfest überzeugt – wird er Leiter einer ständigen SOKO. Ich hatte dieses Argument sofort parat, denn dieser Chirurg war mir seit meiner Schulzeit bekannt. Er ließ sich vom Polizeiarzt die alten Röntgenbilder schicken und meinte zuversichtlich zu mir: „Gustl, den Mann kriegst du ‚renoviert‘ wieder! Kein Problem!“

Und so konnte ich sogar mit medizinischen Fachausdrücken um mich werfen und den Mayers beeindrucken.

Allerdings muss ich ehrlich gestehen, um den Mayers zur OP zu zwingen, brauchte ich wenige Argumente. Dieser Mann ist zu sehr Polizist und dieser Fall „Ring“ bestätigte ihm, dass er nur bei der Polizei glücklich werden würde.

Solche Erfolge und solch nette Anrufe von einem Innenminister kann man auch zielgerichtet für einen außerordentlich erfolgreichen Ex-Polizisten benutzen. So wurde mir vom Herrn Minister versichert, dass die Wiederherstellung des Mayersschen Dienstverhältnisses schon seine Richtigkeit habe.

In vielem erinnert mich die Karriere des Mayers an meine eigene. Ich begann meine Polizistenkarriere als „Schutzmann“. Unter mir gab es keine weiteren Dienstgrade. Der Mayers hat 6 Semester Psychologie studiert – Beststudent! Alle Angebote, eine Karriere an der Uni zu starten, hat er abgelehnt. Er verließ die Universität, bewarb sich an der Polizeischule und lernte von der Pike auf das Handwerk eines guten Polizisten. Es soll ja immer noch Menschen geben, die nur in den höheren Polizeidienst wollen, weil sie das sogenannte Beamtentum lockt - versorgt bis zum Lebensende. Mayers ist ein anderer Typ. Er sucht die Herausforderung und hat er einen Fall, dann „beißt“ er sich fest. Sein „Bauchgefühl“ – wie er immer sagt – ist nichts anderes, als seine Fähigkeit, menschliches Verhalten zu analysieren, Ungereimheiten aufzudecken und nach den Gründen zu suchen. Ich kenne nicht viele Polizisten, die das können. Ich zweifle, ob ich das je in dieser „Mayersschen“ Perfektion konnte. Aber die junge Polizistin, diese blonde Frau, die das Opfer doubelte, die hat auch diesen Biss!

Also, wenn meine Menschenkenntnis mich nicht trügt, dann wird sich zwischen der blonden Polizistin und dem Mayers etwas entwickeln. Wenn - ja, wenn es denn die Mayerssche Ex auch zulässt. Wenn Blicke erzählen würden und Menschen die Sprache auch verstehen wollen, dann …

Na – lassen wir das! Meine Aufgabe ist es, ein Polizeipräsidium zu leiten. Den Tratsch überlasse ich gern den Kollegen. Wenn dann in der SOKO der neugebackene Hauptkommissar Mayers mit seiner Ex und Zukünftigen zusammenarbeitet, dann wird es interessant. Wie gesagt, den Tratsch überlasse ich gern den Kollegen - nur meine Frau muss ich auf dem Laufenden halten. Sie nimmt nämlich lebhaften Anteil an allen zwischenmenschlichen Beziehungen.

Verzeihen Sie liebe Leser diese Abschweifung, aber das haben wohl ältere Präsidenten so an sich.

Aber nun zum Ergebnis unserer Polizeiaktion: Da kann ich vermelden, dass alle sich vor dem Gericht wegen Entführung zu verantworten haben. Allerdings kommt einer ungeschoren davon: der Diplomat! Er musste innerhalb von 48 Stunden als unerwünschte Person das Land verlassen. Ich hoffe nur, dass seine Diplomatenkarriere damit abgeschlossen ist. Auf solche Diplomaten kann jedes Land verzichten.

Eine gründliche Hausdurchsuchung beim Fotografen brachte eine Liste der verschleppten Frauen ans Tageslicht. Sage und schreibe 63 Frauen hatte diese Bande innerhalb eines Jahrzehnts ins Ausland „verkauft“. Zwischen 20.000 und 100.000 € flossen jedes Mal in die Kasse der Bande, wobei der Fotograf das meiste abkassierte.

Interpol wurde eingeschaltet, die Adresse der „Käufer“ hatte dieser Fotograf auch fein säuberlich notiert. Er fühlte sich seiner Sache so sicher, dass er die einfachsten Vorsichtsmaßnahmen missachtete. Selbst nach der verunglückten Aktion, wobei der Mayers angeschossen wurde, bezeichnete er die Polizisten als „Stümper“. So lautete sein Eintrag hinter der abkassierten Summe: „86.000 € - Polizisten sind Stümper!“

Umso mehr können sich nun diese „Stümper“ über ihren Erfolg freuen. Nur – da gibt es noch einen Wermutstropfen …, und zwar einen riesengroßen. Als die 63 Frauen in den verschiedenen Ländern aufgespürt wurden und die dortige Polizei ihnen die sofortige Heimreise anbot, nahmen nur 26 Frauen das Angebot sofort an. Die anderen weigerten sich schlicht weg, ihren jetzigen Wohnort und das Ehe- oder auch Nichteheverhältnis aufzugeben.

Nur 26 Frauen wollten nach Hause! Vier wollten Kind oder Kinder nicht verlassen. Das verstehe ich ja noch! Aber, dass 33 ihren Zwangsehemann oder Liebhaber nicht verlassen wollten – das verstehe, wer will! 33 - dreiunddreißig!!!

Als mir von der Staatsanwaltschaft dies mitgeteilt wurde, war ich zuerst sprachlos. Der Mayers wird das von mir nie erfahren. Er lässt sich zum Krüppel schießen, um Menschen zu retten, und dann … Nee, das erfährt der Mayers nicht - nicht von mir!

Aber mit meiner Frau habe ich darüber gesprochen. Nach ihrer Antwort war ich noch sprachloser. Meinte sie doch, dass die Mädchen und jungen Frauen jetzt ein sorgenfreies Leben im Luxus führen könnten! Sie hätten sich doch verbessert!

Den Blick, den ich meiner Frau zuwarf, brachte sie wohl zur Vernunft. Sie küsste mich lächelnd und flüsterte mir ins Ohr: „Ich wäre natürlich wieder zu dir gekommen!“

Soll ich das glauben?! Versteh mir einer die Frauen!