Märchen vom Glück

Märchen vom Glück

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von Joachim Größer (2009)

 

Es war einmal vor langer Zeit, da lebten hinter den großen Wäldern in einem kleinen Dorf zwei Brüder mit ihrer Großmutter. Sie wuchsen heran und entwickelten sich prächtig. Jeden Abend erzählte ihnen die Großmutter Märchen aus längst vergangener Zeit. Und die Brüder nahmen die Märchen in sich auf und sie wollten so werden, wie die Helden in ihren Geschichten: mutig und klug, ehrlich und bescheiden. Sie gingen zur Schule und lernten das Einmaleins und das Buchstabieren. Dann kam die Zeit, wo sie einen Beruf ergreifen sollten. Aber in dem kleinen Dorf brauchte niemand einen Lehrjungen. So beschlossen die Brüder, in die weite Welt hinauszuwandern, um dort ihr Glück zu machen.

„Geht nur“, sagte die Großmutter mit Tränen in den Augen. „Geht und fasst das Glück mit beiden Händen!“

Und die Brüder umarmten die Großmutter und zogen hinaus in die weite Welt. Sie durchwanderten dunkle Wälder und stiegen auf hohe Berge, durchquerten reißende Flüsse und liefen über liebliche Wiesen voller Blumen. Nach vielen Tagen wanderten sie auf einem schnurgeraden Weg, der nicht enden wollte. Dann sahen die Brüder einen großen Baum, der mitten auf dem Wege stand. Unter dem Baum war eine steinerne Bank, auf der ein alter Mann saß.

Die Brüder grüßten artig und fragten den Alten, ob sie sich zu ihm setzen könnten. Lange wären sie schon gewandert und müde von der Reise.

„Setzt euch, setzt euch!“, sagte der Alte mit brüchiger Stimme. Und so setzten sich die Brüder zu den Alten und der fragte sie nach ihrem Weg.

„Wir sind auf dem Weg, um unser Glück zu machen“, sagte Frieder, der Ältere der beiden.

„Ja, alter Mann, wir suchen das Glück, denn in unserem Dorf scheint das Glück verloren zu sein.“ Hans, der Jüngere sprach dies.

„So seid zufrieden, dass ihr mich hier getroffen habt“, erwiderte der Alte. „Nur aller sieben Jahre sitze ich hier, um Menschen zu helfen. So ihr wollt, so könnt ich euch raten – entscheiden müsst ihr!“

„So sprich, alter Mann“, baten die Brüder.

Und der Alte sprach: „Seht, auf diesem schnurgeraden Weg seid ihr beide gekommen. Beide seid ihr kluge und gesunde Jünglinge. Hier an diesem Stein kann sich euer Weg entscheiden – ihr geht gemeinsam oder getrennt, nach links oder nach rechts – entscheiden müsst ihr.“

„Gern würde ich mich entscheiden, nur weiß ich nicht, was mich erwartet.“ So sprach Frieder, der Ältere der Brüder und Hans nickte zustimmend.

„Ihr seid auf dem Weg, euer Glück zu machen?!“, bemerkte der Alte weise lächelnd. „So höret, wo ihr es finden könntet!“

Und er zeigte nach rechts und sagte: „Geht ihr diesen Weg, so erwartet euch Reichtum und Macht, Ehre und Ruhm. Jeder wird euch kennen, alle werden euch bewundern und euch wegen eures Glückes beneiden.“

„Das ist der Weg zum wahren Glück!“, rief Frieder erfreut aus. „Das ist der Weg, den ich nehmen werde!“ Und schon wollte er davoneilen.

Doch der Alte sagte leise, aber bestimmend: „Warte, denn du kennst noch nicht das Glück des anderen Weges.“

„Nicht nötig, Alter. Du zeigtest mir schon den richtigen Weg. Aber ich warte gern, so du es willst. Sprich nur, Alter.“

Und der Alte sprach: „Geht ihr den linken Weg, so werdet ihr keine reichen Leute sein. Ihr werdet das Mädchen finden, das euch lieb hat. Ihr werdet eine Familie gründen und Kinder werden Papa zu euch sagen. So manchen Tag werdet ihr denken, warum ist das Leben so schwer und meinen, das der andere Weg wohl doch der Weg zum Glück gewesen sein wird.“

„Wer sich für diesen Weg entscheidet, muss dumm sein, Alter. Ich kann nicht glauben, dass ein Mensch sich für diesen Weg entscheidet.“ Frieder hatte sich endgültig für den rechten Weg entschieden.

Hans blieb stumm. „Warum bietet uns der Alte diesen Weg zum Glück an?“, überlegte er. „Der Alte ist klug und weise. Er weiß, was er sagt. Lohnt es, darüber nachzudenken?“

Und laut sagte er: „Es ist schwer, sich zu entscheiden, alter Mann. Man müsste beide Wege ausprobieren können.“

„Eine kluge Rede, mein Sohn“, sagte der Alte. „Möglich wäre dies, aber nur, wenn ihr beide damit einverstanden seid.“

„Ich wäre es“, sagte Hans, nur Frieder zögerte.

„Wie soll das gehen, alter Mann?“, bemerkte er mürrisch.

„In sieben Jahren sitze ich wieder auf dieser Bank. Jeder komme hierher zurück und er soll nur für ein Jahr den Platz des anderen einnehmen. Und dann entscheidet über das wahre Glück, wie jeder es vom Leben erwartet.

Und da Frieder zögerte, die Zustimmung zu geben, meinte Hans zu ihm: „Das ist doch ein ehrliches Angebot des Alten. So hat doch jeder Gelegenheit, das Glück des anderen kennenzulernen.“

„Nun gut, mein Bruder. Da wir uns jetzt entscheiden müssen und wir in sieben Jahren unser Glück vergleichen wollen, so nehme ich den rechten Weg und du den linken. Wenn du einverstanden bist, so bin ich mit dem Jahr auf Probe auch einverstanden.“

Und die Brüder umarmten sich und der Alte wünschte ihnen Glück auf ihren Wegen.

 

Frieder lief mit forschem Schritt seinem Glück entgegen. Nach drei Tagen sah er am Horizont die Silhouette einer großen Stadt. „Hier werde ich mein Glück finden!“, jubelte er und rannte der Stadt mit offenen Armen entgegen.

Er fand Arbeit und Unterkunft, sah prächtig gekleidete Menschen und Menschen, die die Hand ausstreckten, um eine Brotrinde zu erhalten. „Diese Menschen haben das Glück vertan!“, spottete Frieder und schwor sich, zu den prächtig gekleideten Menschen zu gehören. Er machte Geschäfte, und da er klug und eigennützig war, führte er diese Geschäfte zu seinen Gunsten aus. Bald häufte er viele Geldscheine in seinem Schrank und wollte, dass er so viel Geld besitze, dass der Schrank damit gefüllt sei.

Und nach drei Jahren quoll das Geld aus dem Schrank heraus und Frieder nahm einen großen Sack und brachte die Scheine in das Geldhaus. Und als er das Geld einzahlte, hörte er einen Mann am Nebenschalter sagen: „Er hat einen Sack voll Geld. Wir haben zehn! Bah, solch ein Habenichts!“ Und er wandte sich von Frieder ab.

Das ärgerte Frieder sehr und er setzte auf sein Glück und machte riskante Geschäfte und nach einem Jahr besaß er nicht nur zwanzig große Geldsäcke, sondern zugleich auch die Bank, die sein Geld verwaltet. „Das ist das wahre Glück!“, rief er erleichtert und frohgemut aus. „Es war der rechte Weg, den ich genommen habe.“

Doch schon am nächsten Tage zeigte man ihm die kalte Schulter. Ein großer Empfang wurde gegeben und Frieder hatte viel Geld gegeben, um eine Einladung für die Gesellschaft der Reichen und Mächtigen zu erhalten. Doch wen er auch ansprach, wem er auch die Hand hinstreckte, man nahm weder seine Hand, noch lieh man ihm ein Ohr.

„Oh, ihr werdet mich noch kennenlernen!“, murmelte Frieder leise mit hochrotem Kopf. „Ihr sollt die Buckel krumm machen, wenn ich komme. Ich werde bestimmen, wer mir die Hand geben darf und wer nicht!“

So sprach Frieder, und da Wahlen angesagt waren, nahm er viel Geld und ging damit zu den Zeitungen und forderte: „Schreibt, dass ich ein guter Mensch bin! Schreibt, wer mich wählt, wählt einen Mann des Volkes, der immer nur das Wohl des Volkes im Auge hat!“ Und er reichte viele Geldscheine den Zeitungsmachern und bald konnte man im ganzen Land lesen: „Wählt Frieder! Wer ihn wählt, wählt das Glück und das Wohl des Volkes!“

Und die Menschen glaubten den Versprechungen und Frieder wurde gewählt. Jetzt hatte Frieder nicht nur Geld, sondern auch die Macht über die Gesetze. Und er überlegte, welche Gesetze notwendig wären, damit er noch mehr Geld gewänne und er fand Wege, noch mehr Geld zu machen. Die Menschen, die ihn gewählt hatten, fragten ihn: „Sag Frieder, du hast uns das Glück und das Wohl versprochen. Wann kommt das Glück auch zu uns?“

„Habt Geduld“, antwortete dann Frieder, „jetzt ist eine schwierige Zeit. Die Geschäfte laufen schlecht. Jeder leidet.“ Und er setzte eine Leidensmine auf und man glaubte ihm. Und so verging ein weiteres Jahr und Frieder wurde der reichste Mann in diesem Land. Wohin er auch kam, jeder kannte ihn. Von großen Plakaten lächelte er hinunter, und wenn er zur Gesellschaft ging, dann öffneten sich ihm alle Türen, man klatschte ihm zu und bemühte sich um seine Freundschaft. Doch Freundschaft kannte Frieder nicht. Zu sehr schmerzte die Erinnerung an diese Menschen, die ihm einst die Hand verweigert hatten. So saß er einsam in seinem riesigen Haus mit 120 Zimmern. Dreißig Bediensteten waren Tag und Nacht um ihn.

Und doch gab es noch Reichere und das ärgerte Frieder. „Wie kann man mehr verdienen?“, fragte er sich. Und er gab sich selbst die Antwort: „Man produziert das, was sofort vernichtet wird: Waffen. Aber damit die vernichtet werden und neue und immer wieder neue hergestellt werden, müssen die Waffen zerstört werden. Und wie geht das? Im Krieg!“

Und so ließ er die Zeitungsleute zu sich kommen und sagte zu ihnen: „Wir wissen aus zuverlässiger Quelle, dass unser Land angegriffen werden soll. Wir brauchen mehr Waffen, um diese bösen Menschen zu vernichten! Schreibt das und sagt den Menschen, dass dies ein guter Krieg ist, denn wir verteidigen unser Land, indem wir den Feind angreifen.“

Und die Zeitungsleute schrieben und die Menschen lasen mit erschrockenen Gesichtern die Kunde von dem guten Krieg. „Herr Frieder, ist das notwendig?“, fragte ihn ein alter Mann.

„Ja“, erwiderte Frieder, „das ist notwendig. Geh nach Hause und sag deinem Sohn, er soll zum Militär gehen und das Schießen erlernen. Bald ist Krieg, ich weiß es!“

„O weh, es wird Krieg geben!“, klagte der alte Mann und schickte seinen Sohn zum Militär. „Geh, mein Junge und lerne das Schießen.“

Und Frieder befahl die Militärs zu sich. Er rollte eine große Karte auf und zeigte auf ein Land: „Hier meine Herren Generäle, hier steht der Feind, der uns vernichten will. Dieses Land befreien wir von den Menschen, die uns schaden wollen. Und wenn wir im Land stehen, so sichern wir die großen Erzlager, die Ölvorkommen und die anderen Schätze. Krieg zu führen ist sehr teuer und wir brauchen diese Landesschätze, damit wir Krieg führen können!“

„Ein sehr kluger Gedanke, Herr Frieder!“, rief der höchste General und salutierte. Und mit ihm salutierten die anderen Generäle.

Und so führten die Generäle für den Frieden den Krieg. Während die Menschen auf der Straße die Zeitung lasen, um die Namen der Toten zu erfahren, las Frieder die Berichte über seine Vermögenswerte. Und er war sehr zufrieden mit den Ergebnissen. So rieb er sich die Hände und meinte, dass er nicht glücklicher sein könne. Er habe das Land glücklich gemacht, er habe den Menschen einen Krieg gegeben, wo sie Heldentaten vollbringen können, er habe für sich soviel Geld angehäuft, dass er nicht mehr wisse, wie reich er eigentlich sei.

„Ich bin glücklich!“, seufzte er zufrieden und schlief ein. Und in seinem Traum erschien der Alte, der einst vor sieben Jahren ihnen den Weg zum Glück aufgezeigt hatte. „Die sieben Jahre sind vergangen, Frieder!“, rief ihm der Alte zu. „Komm und tausche mit deinem Bruder.“

Und so setzte sich Frieder am nächsten Tag in sein größtes Auto und der Chauffeur fuhr ihn zu dem Platz, wo sich die Wege verzweigten.

 

Hans hatte den linken Weg genommen. Auch er kam zu einer großen Stadt und wollte in dieser Stadt sein Glück machen. Die Menschen, die er traf, waren fröhlich und scheinbar zufrieden mit dem Leben, welches sie führten. „So hat der Alte mir wohl den rechten Weg zum Glück gezeigt!“, dachte Hans.

Er suchte sich Arbeit und die bekam er auch sofort. Da er sich geschickt und anstellig zeigte, meinte sein Vorgesetzter: „Hans, du kannst mehr. Setzt dich auf die Schulbank und lerne!“

Und Hans nahm den Vorschlag an und büffelte viel Nützliches und auch Unnützes. Neben ihm auf der Bank saß ein Mädchen, im gleichen Alter wie Hans und wunderschön. Oft schaute er zu ihr und sie lächelte ihm dann zu. Aber sie anzusprechen, das wagte er nicht. Aber sie tat es! So lud sie ihn zum Eis ein und er sie dann zum Abendessen; sie stellte ihn ihren Eltern vor und er bestellte das Aufgebot für die Hochzeit. So gründeten Hans und Susi eine Familie und nach einem Jahr feierten sie die Geburt ihres ersten Kindes.

„Ich bin glücklich“, sprach Hans zu sich. „Der alte Mann hat mir den rechten Weg gewiesen.“

Hans war erfolgreich in seinem Beruf. Drei Kinder sagten zu ihm „Papa“. Er sparte mit seiner Susi auf ein Häuschen im Grünen und als er den Schlüssel für das eigene Haus in Empfang nahm, fühlte er sich überglücklich.

Doch nur wenige Tage später las er in der Zeitung von seinem Bruder Frieder, der im Nachbarland ein mächtiger und einflussreicher Mann geworden war. „Schau an, der Frieder“, murmelte Hans und insgeheim zweifelte er an seinem Glück, als er las, dass Frieder ein sehr, sehr reicher Mann war.

Jede Woche und dann jeden Tag las er von dem mächtigen Frieder, der die Geschicke des Nachbarlandes bestimmte. Las er solch einen Artikel, dann war er gereizt und ungenießbar.

Seine Susi merkte das wohl und als sie mit ihm darüber sprechen wollte, sagte Hans zu ihr: „Sieh, was mein Bruder hat! Er ist bestimmt glücklicher als wir es sind!“

Darüber verwunderte sich seine Susi sehr. „Aber Hans, wir haben uns etwas geschaffen, drei gesunde Kinder sagen Papa und Mama zu uns. Zählt das nicht?!“

Doch Hans winkte nur ab und wollte nicht mehr darüber sprechen.

Dann kam der Tag, an dem ihr Land überfallen wurde. „O weh, es ist Krieg!“, wehklagten die Leute und auch Hans und seine Susi waren betrübt. Und die jungen Männer gingen in den Krieg und bald hörte sie, dass der Franz, des Nachbars einziges Kind, auf dem Schlachtfeld gefallen war. „O, welch ein Unglück!“, rief Susi und umarmte ihren Hans. „O Hans, welch ein Glück für uns, dass nur Unverheiratete in diesen schlimmen Krieg ziehen müssen!“

Und Hans war hin- und hergerissen von den Gefühlen des Glücks und des Unglücks. „So ist des Einen sein Glück, des anderen sein Unglück“, sinnierte Hans. Doch dann, als er in der Zeitung ein großes Bild des Frieders sah, dachte er, dass doch nur der Frieder den rechten Weg genommen habe – denn er, der Frieder, müsse bestimmt nicht in diesen bösen Krieg ziehen.

Und in dieser Nacht träumte er von dem alten Mann, der ihn aufforderte: „Komm Hans, tausche mit deinem Bruder!“

So setzte sich Hans am nächsten Morgen in sein kleines Auto und fuhr zur Weggabelung.

 

Der Alte erwartete ihn schon und sprach zu Hans. „Dein Bruder wird gleich erscheinen. Sag, war dies der rechte Weg?“

„Ich weiß nicht, alter Mann. Ich glaube, der Frieder hat den rechten Weg genommen.“

 

Und der Frieder fuhr vor und der Hans staunte. Solch ein großes Auto hatte er noch nie gesehen. Ja, für Hans stand fest, der Frieder hatte den rechten Weg genommen!

Und der Alte fragte den Frieder: „Sag Frieder, war dies der rechte Weg?“

Und Frieder antwortete: „Ich bin reich, reicher als alle anderen in meinem Land.“

Und der Alte sagte: „Du bist reich, Frieder, bist du auch glücklich?“

„Warum soll ich nicht glücklich sein?! Ich habe ein Haus mit 120 Zimmern! Wenn ich mit dem Finger schnipse kommen 30 Bedienstete! Jeden Wunsch kann ich mir erfüllen! Ich entscheide über Krieg und Frieden! Und alle Mächtigen dieser Welt sind ein Nichts neben mir!“

„So sieht das wahre Glück aus“, seufzte Hans und schaute ehrfurchtsvoll zu seinem Bruder.

„Nun gut“, sagte der Alte, so tauschen wir die Gesichter, doch die Herzen bleiben!“

Und er strich dem Hans übers Gesicht und der Hans wurde zum Frieder. Und so machte er auch aus dem Frieder den Hans.

Und der Hans, der jetzt wie Frieder aussah, stieg in das große Auto und mit großer Geschwindigkeit fuhr ihn der Chauffeur zum Haus mit den 120 Zimmern. Wie staunte da der Hans und er beneidete den Frieder um sein Glück.

Auch der Frieder, der jetzt der Hans war, stieg in das Auto und hatte Mühe, das alte Vehikel zu starten. „Das ist der reine Schrott!“, fluchte er. „Konnte sich mein Bruder nicht ein besseres Auto kaufen?!“

Als er endlich das Auto zum Fahren brachte, quälte er sich zum Haus seines Bruders. „In dieser Hütte soll ich leben, und das ein ganzes Jahr lang!“, knurrte er.

Susi empfing ihren Mann und fragte, wie seine Reise war. Doch Frieder, der wie Hans aussah, sagte nur: „Lass mir meine Ruh!“

Und Susi weinte leise. Und als die Kinder zum Papa liefen und ihn mit Fragen bestürmten, da schnauzte er sie an und verteilte an jedes der Kinder seines Bruders viele Ohrfeigen. Und Susi weinte und schluchzte laut, nahm die Kinder und ließ ihren Mann allein.

Am nächsten Morgen weckte ihn Susi: „Hans, du musst zur Arbeit gehen!“

Doch Frieder war solch frühes Aufstehen nicht gewohnt. „Ich brauch nicht arbeiten“, murmelte er im Halbschlaf. „Ich bin reich!“

So blieb Frieder, der wie Hans aussah, der Arbeit fern. Und Susi fragte sich, was werden solle mit ihr und den Kindern?

Am dritten Tag brachte der Postbote einen Brief vom Militär. Darin stand, dass Hans sich sofort in der Kaserne einfinden muss. Und Susi weinte und schluchzte laut und mit ihr die drei Kinder. Doch Hans, der ja der Frieder war, sagte: „Ich brauch nicht zum Militär. Wenn ich mit den Fingern schnipse, dann kommen die Militärs zu mir!“

Und Frieder schnipste mit den Fingern und es kamen auch wirklich die Militärs. Sie legten ihn in Ketten und warfen ihn in der Kaserne ins Gefängnis. Bereits eine Stunde später verurteilte ihn ein Richter: „In die Strafkompanie! Sofort!“

Und so erhielt Hans, der eigentlich der Frieder war, einen Tritt in den Hintern, ein Gewehr in die Hand und einen Befehl, der lautete: „Ab, an die Front!“

So stand Frieder, der wie Hans aussah, mit dem Gewehr in der Hand und schoss auf einen Feind, der ja eigentlich für ihn kein Feind war, da er ihn ja selbst als mächtiger Frieder in das Nachbarland geschickt hatte. Doch der Soldat ihm gegenüber wusste das ja  nicht und legte das Gewehr an. Doch bevor er schießen konnte, schoss Frieder. Und der Soldat stürzte getroffen zu Boden und Frieder schrie, so wie die anderen Soldaten: „Hurrääää!“ Und er stürmte gegen den Feind, der ja eigentlich nicht sein Feind war. Und als Frieder darüber nachdachte, traf ihn eine Kugel in die Brust. Frieder, der wie Hans aussah, fühlte den Schmerz, fühlte, wie das Leben ihn verließ. Und der letzte Gedanke galt seinem Bruder. „Du hast Glück, Hans! Ich sterbe für dich!“

So starb Hans, der ja eigentlich der Frieder war, den Heldentod.

 

Zur selben Stunde herrschte vor dem großen Haus viel Lärm. „Was ist?“, herrschte Hans, der wie Frieder aussah, den Buttler an.

„Herr, es ist der Mob! Es sind Menschen von der Straße! Sie wollen den Herrn Frieder sehen!“

„Was wollen sie denn von mir?“, fragte Hans verwundert.

„Sie scheinen nicht gut auf den Herrn Frieder zu sprechen zu sein“

„Wieso?“

„Sie rufen: ‚Nieder mit dem Frieder!‘ Und dabei haben Sie den Menschen den wunderbaren Krieg gegeben – einen Krieg, da kann jeder dieser Plebse den Heldentod sterben!“

Und Frieder, der ja eigentlich der Hans war, ließ das Fenster öffnen und dann hörte er: „Nieder mit dem Frieder! Nieder mit dem Frieder!“

Und das verwunderte den Hans, dachte er doch, der Frieder ist glücklich gewesen und habe auch die anderen Menschen glücklich gemacht.

Doch die Menschen, die der Frieder unglücklich gemacht hatte, stürmten jetzt sein Haus und vorneweg lief ein alter Mann. Er drängte sich vor, als alle vor dem Frieder, der ja eigentlich der Hans war, standen.

„Ich muss ihn sprechen!“, schrie er mit verzweifelter Stimme. Und er ging auf den Frieder zu und sagte zu ihm: „Herr Frieder, du hast mir gesagt: ‚Geh nach Hause und schicke deinen Sohn zum Militär!‘ Herr, das habe ich gemacht! Meinen einzigen Sohn habe ich zum Militär geschickt und das habe ich dafür bekommen!“

Der alte Mann schwenkte einen weißen Bogen. „Er ist den Heldentod gestorben, Herr Frieder! Den Heldentod! Wie sollen seine drei kleinen Kinder jetzt satt werden? Sollen sie das Papier essen, auf dem steht, dass ihr Vater ein Held sei, aber ein toter Held!?“

Und der zornige und verzweifelte alte Mann stupste den Frieder an die Brust, wieder und immer wieder. Und der Frieder, der ja eigentlich der Hans war, wich zurück. Er wollte dem alten Mann etwas sagen, aber er wusste nicht, was er ihm sagen sollte. War er doch nicht der Frieder, sondern der Hans.

Und als er rückwärtsging und an der Brüstung des Balkons stand, stupste der alte Mann noch einmal, etwas unsanfter an die Brust des Frieders. Und Hans, der ja nur wie Frieder aussah, stürzte hinunter, hinunter auf das harte Pflaster. Dort lag er nun, der Hans, der jetzt für den Frieder den Tod gefunden hatte. Und sein letzter Gedanke galt seinem Bruder: „Frieder, du hast Glück. Bist bei meiner Frau und meinen Kindern! Du bist glücklich!“

So starb der Hans, der als Frieder den Tod fand.

 

Und der Alte von der Weggablung vernahm die Kunde vom Tode des Hans und des Frieders. Und er ging zum Haus der Großmutter, denn einer musste doch der Großmutter sagen, dass ihre Enkel den Tod gefunden hatten. Und der Alte fand die Großmutter krank im Bett und er sprach zu ihr: „Traurige Kunde bringe ich dir, Großmutter. Hans und Frieder sind beide gestorben.“

Wie klagte da die Großmutter. „Ich habe ihre Eltern begraben und die beiden Buben groß gezogen! Sie wollte ich glücklich machen und habe sie geschickt, das eigene Glück zu suchen! Sie sollten es finden, fest in die Hand nehmen und es nicht mehr lossagen! Sag alter Mann, sind sie wenigstens glücklich gestorben?“

Und der alte Mann lächelte und log: „Ja Großmutter, sie sind glücklich gestorben und haben am Ende ihres Lebens an ihre Großmutter gedacht.“

Und Großmutter lächelte, schloss die Augen und starb mit einem glücklichen Lächeln.

 

Und der alte Mann ging zurück zu der Weggablung, setzte sich auf die Bank und dachte lange über das Glück nach. Dann sagte er nur: „Solange der Mensch nicht den wahren Sinn des Lebens gefunden hat, so lange wird er vergebens das wahre Glück suchen!“