Geschichten für Erwachsene: Von Liebe und Schmerz

Übersicht:

 

- Die kluge Bauersfrau

- Der Freischärler

- Der Albtraum

- Der Rosenmann

- Der Waldsee

- Der erste Schnee

- Sein größter Sieg

- Das Regenbogenland

- Der Hellseher


Bitte beachten Sie!

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Die kluge Bauersfrau

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von Joachim Größer (2013)

 

Es ist schon ein respektables Anwesen – das Gehöft des Bauern Starke. Auf einem Hügel gelegen, überblickte man von hier das weite, flache Land. Aus mächtigen Blöcken waren die Fundamente gebaut. Wohnhaus, Stallungen und Scheune waren so angeordnet, dass der gesamte Gebäudekomplex einer Trutzburg glich. Nur das breite Tor wirkte einladend auf Gäste. Wobei auf diesem Hof schon lange keine Gäste empfangen wurden.

Johann Starke hieß der junge Bauer. Schon früh musste er den Vater beerben, der vom besten Zuchtstier im Gatter zu Tode gequetscht wurde. Eigenhändig erschlug Johann das Tier, denn kein „Mörderstier“ hatte in den Gehöften der Bauern das Recht auf ein Leben.

So rackerte Johann von morgens bis zum späten Abend. Seine Mutter half ihm dabei, so gut sie es noch konnte. Sie wünschte sich, eine Hilfe bei der schweren Arbeit – eine junge nette Bäuerin. Schon dreimal war sie mit ihrem Sohn auf den Pferdemarkt gewesen. Zwar kauften oder verkauften sie kein Pferd, dafür hoffte aber die alte Bäuerin, dass auf dem sich anschließenden „Heiratsmarkt“ ihr Sohn die Frau fürs Bett und für das Haus finden würde.

Doch der Johann übersah alle jungen Frauen und Mädchen. Machte die Mutter ihn auf ein hübsches Ding aufmerksam, hörte sie ihren Sohn sagen: „Eine Bohnenstange! Zu mager!“

Bei der nächsten bemängelte er die „Kartoffelnase“, bei der dritten den überaus dicken Hintern, bei der vierten den Hintern, der keiner war und so weiter und so fort.

Jetzt ging ihr Johann schon gar nicht mehr auf den Heiratsmarkt. Und die Bäuerin verzweifelte. „Stur, wie ein Ochse!“, knurrte sie dann. „Genau, wie sein Vater!“

Als sie eines Tages in die Stadt zum Einkaufen fuhr und beim Krämer die Mädchen beobachten konnte, da fiel ihr eine schlanke schwarzhaarige Schönheit auf, die freundlich und adrett auftrat, die Kundschaft lächelnd bediente und das Herz der alten Bäuerin erwärmte. „Das ist die rechte Frau für meinen Sohn!“, flüsterte die Bäuerin. Und als der Krämer den Laden betrat und er die Frau Starke befragte, ob sie zufrieden mit dem Einkauf wäre, da erkundigte sich die Bäuerin bei dem Krämer.

„Eine Waise – nicht von hier! Ab und zu hilft sie bei uns aus und verdient sich so einige Groschen. Sie hatte ein schweres Leben – die junge Mira. Sie kennt Tod und Verfolgung, Hunger und Elend.“

„Ob mir das Mädchen die Sachen auf den Wagen tragen kann?“, fragte die Bäuerin. Der Krämer rief die Mira und die trug den schweren Korb der Bäuerin zum Wagen.

Unvermittelt fragte die Bäuerin: „Mädchen, möchtest du Herrin auf einem Bauernhof werden?“

Verwundert schaute Mira die Bäuerin an. Dann lachte sie: „Gute Frau, Ihr scherzt?“

„Nein, nein!“, stieß die Bäuerin hervor. „Es ist so! Ich bin alt, mein Sohn findet keine Frau. So muss ich mich um eine Schwiegertochter bemühen!“

„Ist Ihr Sohn gar so hässlich, dass ihn keine nehmen will?“

„Nein, Mira, du kannst dich selbst überzeugen. In einer Woche kommst du zum Hof. Mein Sohn wird Arbeiten am Hoftor vornehmen. Schau ihn dir an, den Jungbauern Johann Starke! Gefällt er dir, lass dich als Magd einstellen. Die Bezahlung regle ich mit dir. Du musst den Bauern nur dazu bringen, dich zu mögen. Gilt der Handel?“

„Ich werde komme“, erwiderte Mira etwas schüchtern.

Der bewusste Tag war ein Sonnentag, wie er schöner nicht sein konnte. Mira zog ihr frisch gewaschenes Kleidchen an, dass sie noch zierlicher erscheinen ließ. Vieles ging ihr durch ihren Kopf, als sie den Weg zum Dorf und weiter zum Gehöft ging. Je näher sie dem Anwesen kam, umso komischer kam ihr der „Handel“ mit der Bäuerin vor. Ja, sie drehte sogar um, doch dann sagte sie sich, sie hätte ja der Bäuerin das Versprechen gegeben, sich den Jungbauern anzuschauen.  Also ging sie doch zum Anwesen – den kleinen Hügel hinauf.

Bereits von Weitem sah sie einen kräftigen Mann am Tor arbeiten. Jetzt wurde Mira neugierig, wollte sehen, wie der Bauer aussah. Und sie musste feststellen: gar nicht so übel. Ja, der könnte ihr schon als Ehemann gefallen.

Jetzt nahm sie ihren ganzen Mut zusammen und ging direkt auf den Bauern zu. Der war so mit seiner Arbeit beschäftigt, dass er gar nicht merkte, dass ein schwarzhaariges Mädchen ihn schon einige Zeit beobachtet.

Die Bäuerin am Fenster hatte allerdings schon lange die Mira entdeckt. Mit klopfendem Herzen stand sie und betete zu Ihrem Herrgott, er möge Mira die Kraft geben, ihren Sohn zu bezirzen.

Doch Mira stand nur und beobachtete ihren zukünftigen Ehegemahl. Nach weiteren 10 Minuten blickte der Johann mit einem Male verwundert von der Arbeit auf. „He, Mädchen, was machst du?“

„Ich schau dem Bauern beim Arbeiten zu!“

„Und, ist das interessant?“

„Ja, Bauer!“

„Warum?“

„Ihr seid kräftig und sehr geschickt. Eine gute Arbeit!“

Jetzt schaute der Bauer Johann Starke das Mädchen genauer an. Da steht ein junges Ding und lobt den Bauern für seine Arbeit. Ein eigenartiges Mädchen – und ein verdammt hübsches dazu. Und irgendwie hatte das Mädchen dem Bauern die Antwort genommen. Er stand und starrte sie nur an.

Mira schlug die Augen nieder und sagte leise: „Ich werde wohl weiter müssen!“

Sie wendete sich zum Gehen, da schüttelte der Bauer seine Lähmung ab. „Wolltest du was, Mädchen?“

„Ich such Arbeit, Bauer. Aber ihr braucht mich nicht!“

„He, woher willst du das wissen!? Meine Mutter kann Hilfe im Haus gebrauchen. Wenn du willst, bist du eingestellt!“

Als die alte Bäuerin den Sohn mit Mira zum Haus kommen sah, da jubilierte sie vor Freude. Als jedoch der Johann mit der Mira das Zimmer betrat, da schaute sie sehr ernst, sogar mürrisch.

„Mutter, das Mädchen ist deine Hilfe im Haus!“, sagte der Johann und wollte wieder gehen.

„Was soll ich mit dem mageren Ding denn anfangen? Nur Haut und Knochen! Die kann mir doch keine Hilfe sein!“

Dem Johann schwoll die Kopfader. Jetzt wusste seine Mutter, sie hatte ihn überlistet. „Mutter, ich habe das Mädchen eingestellt! Das Mädchen bleibt, ob es dir passt oder nicht!“

„Bist genauso stur, wie dein Vater, du sturer Ochs!“, schimpfte die Bäuerin. Und kaum, dass der Jungbauer die Tür mit einem kräftigen Schwung zugeschlagen hatte, da nahm sie die Hände der Mira und sagte freundlich: „Willkommen, Mira! Gefällt er dir, mein sturer Sohn?“

Mira nickte und ab da bestimmten die beiden Frauen das Geschick des Hofes.

Johann bekam davon nichts mit. Er schuftete wie immer, nur – immer öfters blickte er zu Mira. Er erfreute sich an ihrem Lachen, an ihrem freundlichen Wesen. Er sah, wie umsichtig und geschickt sie arbeitete und irgendwann verspürte er das Verlangen, sie in den Armen zu halten. Doch Mira war auf der Hut. Sie entwand sich seinen Armen wie eine Schlange und ließ einen verdutzten Johann im Stroh zurück. Doch ein Johann gibt so schnell nicht auf. Bald gehörte es zum täglichen Ritual, dass der Jungbauer die Magd durch Heu und Stroh jagte. Dabei ließ es Mira zwar geschehen, dass er sie ab und zu fangen konnte, aber wollte er auch nur einen Kuss, dann verdoppelte und verdreifachte Mira ihre Arme und der Bauer hörte: „Bauer, ich bin ein anständiges Mädchen.“

Eines Tages reichte es dem Johann. Er griff Mira mit fester Hand und zog sie ins Haus, ins Zimmer seiner Mutter. Die blickte scheinbar sehr verwundert, als ihr Sohn sagte: „Mutter, ich werde Mira heiraten!“

Die Bäuerin schlug die Hände über den Kopf zusammen: „Sohn, was tust du mir an! Eine Magd willst du heiraten? Was hätte dein alter Vater nur dazu gesagt?!“ Und sie jammerte so überzeugend, dass aus dem Johann hervorbrach: „Mutter, ich liebe Mira! Entweder ich heirate Mira oder ich heirate gar nicht. Basta!“

Johann war wütend auf seine Mutter, auf sich, auf die ganze Welt! Den ganzen Tag sprach er kein Wort, um seiner Forderung Nachdruck zu geben.

Erst, als am Abendbrot die alte Bäuerin verkündigte: „Wenn du unbedingt eine Magd heiraten willst, so werden wir am Sonntag die Verlobung feiern.“, lächelte Jungbauer Johann Starke zufrieden. Nur – dass sich jetzt Mira meldete: „So, auch wenn ich nur eine Magd bin, ich bin auch ein Christenmensch. Mich fragt wohl keiner, ob ich den Bauern heiraten will?“

Schmollend verließ Mira das Zimmer. Bedeppert saß nun der Bauer da und wusste nicht weiter.

„Was soll ich denn jetzt machen, Mutter?“ Kläglich klang der stolze Bauer. Doch seine Mutter wusste natürlich Rat. „Du ziehst den Sonntagsrock an, nimmst die frischen Blumen aus dem Garten und dann gebe ich dir die Verlobungsringe von deinem Vater. Sie müssten passen. Du gehst zur Mira in die Kammer und dort fragst du Mira, ob sie dich heiraten will.“

Klar – passten die Ringe. Die Bäuerin hatte sie schon längst vom Juwelier anpassen lassen. Also saß die Bäuerin in ihrer Kammer und dankte dem Herrgott, dass er ihr dieses Mädchen Mira als Schwiegertochter geschickt hatte.

Mit hochrotem Gesicht klopfte ein Johann an die Tür. Und als er ein leises: „Herein!“ hörte, polterte er hinein. Mira saß auf dem Bett und schien geweint zu haben. Er kniete vor ihr  nieder. In der einen Hand streckte er ihr den Blumenstrauß entgegen, in der anderen Hand hielt er die beiden Ringe.

„Ahem, ahem! Mira! Ahem Mira, ich liebe dich. Bitte werde meine Frau!“

„Ich liebe dich auch, Johann!“

Johann bekam den ersten Kuss – lang war der und sehr gefühlvoll. Den bekam er jetzt jeden Tag. Auch jagte der Jungbauer seine Mira wieder durch Heu und Stroh, aber nur einen Kuss gewährte Mira ihrem Verlobten. „Ich bin ein ehrbares Mädchen, Johann! Warte bis zur Hochzeit!“

Und die konnte der Jungbauer kaum erwarten. Acht Tage ließ sich das junge Hochzeitspaar nicht blicken. Die alte Bäuerin war es zufrieden. „Liebt euch nur“, murmelte sie, „ich will viele Enkelchen aufwachsen sehen!“ Und sie versorgte das Vieh und die beiden Hochzeiter mit kräftigender Speise.

Die Jahre vergingen und die beiden Bäuerinnen hüteten ihr kleines Geheimnis. Als Großmutter sah die alte Bäuerin sechs Jungen aufwachsen. Sie hatten das schwarze Haar der Mutter und die kräftige Statur des Vaters – und sie alle waren „stur, wie kleine Öchslein“.