Der etwas andere Krimi

Sein letzter Fall

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von Joachim Größer (2018)

 

Lars Larsen, ein Mann Mitte 50, ist ein verdienstvoller Mitarbeiter der Kriminalabteilung. Seine Vorgesetzten schätzen seine Arbeit, wissen aber auch um die Probleme des Kommissars. Und das Hauptproblem dieses Mannes ist eine persönliche Eigenschaft, die eigentlich nicht für die Arbeit in einem Team gefragt ist. Lars Larsen ist ein Eigenbrötler, ein totaler Individualist, ein Spinner oder - wie es eine ehemalige Mitarbeiterin dieses Kommissars ausdrückte: „Ein riesengroßer Idiot!“

Normalerweise bekommen solche Menschen keine Möglichkeiten des Aufstiegs auf der Karriereleiter. Nicht so bei Larsen - nicht dass er besondere Gönner oder Freunde da „oben“ hätte, nein – die mochten ihn auch nicht. Aber man kam einfach nicht drum herum, sein besonderes Talent beim Aufspüren von Verbrechern anzuerkennen.

Als der Polizeirat die Beförderungsurkunde zum Hauptkommissar unterschrieb, klagte er: „Der Larsen ist ein Narzisst – durch und durch! Er glaubt, ohne ihn geht es nicht. Und – recht hat er. Den Hauptkommissar hat er sich verdient, denn seine Aufklärungsrate ist 100 Prozent.“

Um aber Probleme mit anderen Kriminalisten zu vermeiden, arbeitete Larsen nicht in einem Team und leitete auch keins. Er war sein eigenes Team. Und jeder war mit dieser Lösung zufrieden. Hatte er einen Fall, so rief er nur die Kriminaltechniker, die die Beweismittel sichern mussten. Der Pathologe kam erst, wenn kein Kommissar in der Nähe war. Und die Berichte des Arztes waren für den Hauptkommissar Larsen sowieso nur etwas, was ein Lars Larsen schon vorher wusste.

Als Hauptkommissar wurde er der Kommissar für besondere Fälle. Mühte sich die ganze Kriminalabteilung mit einem Fall und kam man dem Täter nicht auf die Spur, so seufzte ein Polizeirat nur und bat den Herrn Hauptkommissar Larsen zu sich. Der musste nun diesen Fall übernehmen.

Und so geschah es mal wieder, dass der Herr Polizeirat dem Hauptkommissar Larsen eine dicke Mappe übergab. „Ein halbes Jahr Ermittlungsarbeit, mein lieber Larsen. Nichts hat die Abteilung gefunden – rein gar nichts. Der Kollege Mischke ist schier verzweifelt. Jetzt hoffe ich auf Ihre Fähigkeiten, mein lieber Hauptkommissar.“

Eigentlich hätte der Polizeichef dem Lars Larsen gar nicht so viel „Honig ums Maul schmieren“ müssen. Allein der Name „Mischke“ genügte einem Lars Larsen, um mit Feuereifer den Fall anzugehen. Hauptkommissar Mischke war in Larsens Augen ein Bürokrat, ein Karrierist, ein völlig fantasieloses Wesen. Mit einem Satz: Mischke war der persönliche „Feind“ des Hauptkommissars Larsen.

Da die Tat, die aufgeklärt werden sollte, schon ein halbes Jahr zurücklag, musste sich Larsen, auch wenn er es nicht wollte, mit den Akten beschäftigen. Mehrere Tage las er, wobei er die bereits ermittelten wenigen Fakten von vornherein zur Seite legte. „Nicht zu gebrauchen! Ist stümperhaft! Mischke bringt doch rein gar nichts zustande!“

Nur er, der Hauptkommissar Larsen kann einen solch komplizierten Fall lösen! Er las, studierte den Bericht des Pathologen, und als er alles Wesentliche erlesen hatte, begann er von vorn. Jede Kleinigkeit war ihm wichtig. Er verinnerlichte jede Tatsache und war bemüht, über diese Tatsachen auf die Person des Mörders zu schließen. Nach den Aussagen der KT trug der Mörder ein kariertes Jackett – gefundene Fasern, die nicht zur Kleidung des Toten gehörten, bewiesen dies. Also kaufte sich Larsen ein ebensolches Jackett und trug es. Einen Schuhabdruck konnte man sicherstellen – Schuhgröße 44, Sportschuhe. Mit einer Fotografie ging also Lars Larsen in die Schuhläden der Umgebung und verglich das Profil der Schuhe mit dem Foto. Fündig geworden, kaufte er sich solche Sportschuhe. So fügte er ein Teil nach dem anderen zu einer Person zusammen. Schaute er jetzt in den Spiegel, wusste er, wie der Täter wohl ausgesehen hat.

Jetzt kam die zweite Etappe: Lars Larsen erforschte die Persönlichkeit des Mörders. Mit zwei starken Stichen direkt ins Herz wurde das Opfer, ein dreißigjähriger Mann, getötet. „Linkshänder“, schrieb der Pathologe. Auch Larsen war Linkshänder. Also übte er, mit zwei heftigen Stößen seine Vogelscheuche im Garten zu „töten“.

Diese Tat wurde ohne Emotionen ausgeführt, schlussfolgerte der Hauptkommissar. Kühl und berechnend - ein Profi? Vielleicht ein Auftragsmord? Aber dagegen sprachen das Opfer und seine Umgebung. Wie sollte ein kleiner Angestellter in einer völlig harmlosen und unbedeutenden Fleischfabrik Verbindungen zu einer mafiösen Verbindung haben?

Nein – Lars Larsen ging von einem Zufallsmord aus. Der Täter tötet wahllos - vielleicht, weil ihm das Gesicht des Opfers nicht gefällt - vielleicht, weil das Opfer ihn aus Versehen angerempelt hat - vielleicht, weil es eine einsame Gegend ist und keiner den Mord sehen soll? Es gab viele „vielleicht“!

Für den Hauptkommissar Larsen wurden jetzt psychiatrische Kliniken interessant. Der Täter muss in ärztlicher Behandlung sein, denn nur ein Verrückter tötet ohne Grund. So begab sich der Hauptkommissar zu den Kliniken und bummelte durch die Freilichtanlagen, den Parks, die Krankenhausgänge. Seine Ausdauer brachte ihm den Durchbruch.

„Herr Hempel! Herr Hempel!“ Eine Krankenschwester rief ihn – den Lars Larsen. Als er sich umdrehte, erschrak die Schwester: „Verzeihen Sie, ich habe Sie verwechselt!“

 Natürlich verzieh der Kommissar. Etwas Besseres konnte ihm gar nicht passieren. Jetzt wusste er, dass der gesuchte Psychopath Hempel heißen musste.

Niemand im Polizeipräsidium vermisste den Larsen. Keiner, auch ein Polizeirat fragte nicht nach ihm. Denn auch ein Polizeirat wusste, ein Hauptkommissar Larsen kommt nur dann ins Präsidium, wenn er den Fall gelöst hatte.

So löste Larsens Erscheinen im Präsidium eine kleine Diskussion – oder besser gesagt ein großes Tuscheln aus! „Er hat den Fall gelöst?!“ „Jetzt trägt er die Nase noch höher!“ „Aber können tut er schon etwas!“

Dem Polizeichef wurde gemeldet: „Larsen ist im Gebäude!“ Und sofort schickte der Herr Polizeirat nach seinem Kommissar. Der kam auch missmutig der Aufforderung nach, war aber sehr einsilbig. „Bin ihm auf der Spur! Brauche Fakten aus dem Polizeicomputer!“ Hauptkommissar Larsen verkroch sich hinter dem Bildschirm. Er suchte einen Mann namens Hempel, der schon mal polizeilich erfasst gewesen sein musste. Denn normalerweise muss ein solcher Mensch straffällig, auf alle Fälle auffällig geworden sein. Nach 7 Stunden konzentrierten Suchens fand er seinen Hempel, der wegen ausgestoßener Morddrohungen und Tätlichkeiten vor Gericht stand. Allerdings in einem rund 500 km weit entfernten Ort. Und –

der polizeilich registrierte Vorfall ereignete sich vor fast 10 Jahren.

Der Kommissar war sich aber sicher, dieser Hempel ist sein Hempel, sein Mörder. Nun hielt sich Larsen jeden Tag am Tor der Klinik auf. Gelangweilt betrachtete er scheinbar die Menschen, den Verkehr und natürlich die Klinik. Er hatte die Zeiten in Erfahrung gebracht, in denen Patienten Ausgang haben. Zehn Tage hatte er so schon viele Stunden bei jedem Wetter vor dem Klinikbereich verbracht. Jeder andere Kriminalist hätte jetzt garantiert daran gezweifelt, dass ein Patient Hempel der Mörder sein könnte. Nicht so Lars Larsen. Er wartete, wartete …

„He, du …!“  Larsen fuhr herum. Vor ihm stand ein Mann, ca. 45 Jahre, leichte Glatze und angezogen, wie er, der Kommissar Larsen.

„He, du könntest mein älterer Bruder sein? Wartest du auf mich? Du hast ja meinen Geschmack! Meine Jacke! He, meine Schuhe!“

Hauptkommissar Larsen reagierte. „Nein, auf dich warte ich nicht. Nein! Nein! Ich warte eigentlich auf meine Ex. Sie soll hier im Krankenhaus behandelt werden. Weißt, sie hatte durchgedreht – ein bisschen und wahrscheinlich trage ich mit dran Schuld. Na ja, ich wollte mich eigentlich wieder versöhnen und sie bitten, wieder bei mir einzuziehen. Aber sie kommt nicht nach draußen!“

„He, warum besuchst du sie nicht im Krankenhaus?“

„Hab Angst! Wenn sie mich sieht, dann könnte sie wieder anfangen zu brüllen und zu toben. Wenn das der Arzt sieht, dann kommt sie gar nicht mehr raus aus dieser Klinik.“

„He, da hast du recht. Die passen ganz schön auf. Mir hat man meinen Ausgang verweigert, weil ich bloß laut gedacht habe!“

Und der Kommissar führte das Gespräch weiter und beide meinten, einem netten Menschen begegnet zu sein. Man verabschiedete sich für den nächsten Tag. Hempel versprach, in der Klinik keinen Ärger zu machen, sodass er bestimmt das Treffen wahrnehmen konnte. Und Kommissar Larsen wusste, er hat den Richtigen getroffen. Es waren Feinheiten in der Rede seines neuen Freundes, die ihn in seiner Meinung bestätigten. Aber etwas störte ihn – den Lars Larsen: Er fühlte sich zu diesem Jens Hempel hingezogen.

Am nächsten Tag und auch an den folgenden trafen sich die beiden Männer, bummelten durch die Stadt, tranken ein Bier in der Eckkneipe und ein Außenstehender würde sie für zwei gute alte Freunde halten. Während ihres Treffens studierte Larsen seinen neuen „Freund“. Jede Aussage, jede Reaktion eines Jens Hempel speicherte Larsen. Und das Gedächtnis eines Lars Larsen war phänomenal. Die andere Zeit des Tages studierte Larsen. Entsprechende Seiten im Internet wurden zuerst durchgelesen, dann saß er stundenlang in der Universitätsbibliothek und las viele Seiten, die kluge Psychologen über Psychopathen geschrieben haben.

Und einmal wurde er angesprochen. „Verdammt schwere ‚Kost‘ haben Sie sich da ausgesucht!“

Larsen sah von seinem Buch hoch und in das Gesicht eines freundlichen alten Herrn. „Verdammt schwer! Als Laie habe ich schon Schwierigkeiten mit den vielen Fachbegriffen.“

„Und warum tun Sie sich das an?“

„Ich bin Kriminalbeamter und arbeite an einem besonderen Fall. Ich bin mir sicher, der Mörder ist stark psychisch gestört. Er tötet aus Freude am Töten.“

„Vielleicht kann ich ihnen helfen. Erst in drei Stunden habe ich eine Vorlesung. Wenn Sie mögen, gehen wir in mein Büro. Hier stören wir nur die anderen Besucher.“

An der Bürotür stand auf dem Namensschild „Prof. Dr. Dr. Stark“. Für den Hauptkommissar war dies ein gutes Zeichen. Nach knappen drei Stunden privater Vorlesung verabschiedete sich Larsen mit großer Hochachtung vor diesem Meisterkenner der menschlichen Seele.

Jetzt war er sich ganz sicher, dass Hempel sein Täter sein müsste.

Drei Tage später – bei einem Glas Bier – meinte der Hempel: „Lars, du besitzt doch bestimmt ein Auto. Morgen machen wir eine kleine Rundfahrt in die Umgebung. Ich brenne darauf, dir etwas Besonderes zu zeigen. Du wirst staunen!“

Larsen kam pünktlich zum Treffen mit seinem Privatfahrzeug. Hempel war freudig erregt. Larsen registrierte, dass von diesem Hempel eine Unruhe ausging, wie sie Kindern vor der Weihnachtsbescherung eigen ist. 10 km waren sie gefahren. Dann dirigierte Hempel den Larsen zu einem gut zu befahrenen Waldweg. Da der Weg mit einer Schranke versperrt war, stiegen sie aus.

„Ist nicht weit, nur 10 Schritte!“ Hempel erschien furchtbar erregt. Dann: „Lars, ich weiß, du denkst wie ich. Du bist mein großer Bruder. Ich muss dir etwas zeigen.“

Keine 10 Schritte im Wald lag ein großer Baumstamm. Hinter dem Stamm lag Laub mit Walderde vermengt. Hempel kratzte die obere Schicht zur Seite, bis er eine verweste Hand freigelegt hatte.

„Lars, mein erster Mord!“ Er schaute ins Gesicht seines angeblichen Freundes Larsen, und da er weder ein großes Erstaunen, noch Erschrecken ausmachen konnte, sagte er: „Ich weiß, du bist wie ich. Spürst du auch das Verlangen, Macht über Menschen zu haben? Ich habe es, und wenn ich dem nachgebe, muss ich ihnen das Leben nehmen. Ich fühle mich gottgleich. Ich entscheide über Tod oder Leben. Dieser Mann lief mir als Wanderer über den Weg. Er grüßte so freundlich, dass ich mich nicht mehr bezähmen konnte. Mit zwei Stichen direkt ins Herz! Es ist eine hohe Kunst, so mit einer Klinge umzugehen.“

Und Hempel zückte ein Messer aus seiner Innentasche und demonstrierte dem Lars, wie geschickt er als Linkshänder mit dem Messer zustechen konnte.

Hauptkommissar Larsen war aufgewühlt. Als er das Messer aufblitzen sah, glaubte er, dass er das nächste Opfer sein könnte. Doch sofort unterdrückte er diese Empfindungen und meinte gelassen: „Ja, das war perfekt!“

Hempel bedeckte sein erstes Opfer wieder mit Erde und Laub. „Fahren wir zur zweiten Leiche; ist nicht weit von hier!“

Ein alter halb verfallener Schuppen, der nahe der Straße stand, war das Ziel.

„Wir brauchen nicht hineingehen. Ich war damals mit meinem Miet-Auto unterwegs, als die Frau mich auf der einsamen Landstraße anhielt. Sie wollte mitgenommen werden. Aber sie hatte solch schmutzige Schuhe, da … Du weißt doch, Lars, zwei ganz schnell ausgeführte Stiche - direkt ins Herz. Hier in diesem Schuppen habe ich sie begraben. Echt begraben! Als ich sie nämlich dort abgelegt habe, stürzte doch das halbe Gebälk herunter. Sie hat ihren Frieden und braucht keine Autofahrer mehr mit ihren dreckigen Schuhen belästigen.“

Versonnen schaute Jens Hempel zum Schuppen. Zufriedenheit lag auf seinem Gesicht, seine ganze Haltung zeigte eine große Entspannung.

„Meine dritte Leiche kann ich dir leider nicht zeigen. Ich konnte den Mann nicht beseitigen. Mit einem Male gab es zu viele Menschen. Und als eine Frau fasst über den Toten gefallen wäre, da schrie sie die anderen Leute zusammen. Also tarnte ich mich als neugieriger Gaffer.“

Und Larsen: „Sag mal Jens, war das nicht erst vor einem halben Jahr? Da stand doch was in der Zeitung?“

„Ja – du hast recht. Sie suchten Menschen, die etwas über diesen Mord aussagen könnten. Ich habe mich gemeldet. Mannomann war das herrlich. Da sitzt solch blöder Polizist und befragt den Mörder. Herrlich! Da spürst du die Macht über andere Menschen. Ich habe dem so viel Schwachsinn aufgetischt und der Idiot glaubte mir alles.“

„Kennst du noch den Namen von diesem Idioten?“, fragte Larsen scheinheilig.

„Oh – war ein komischer Name. Klang nach Matsch. Nee, nicht Matsch – Miesch oder so ähnlich.“

„Ist ja auch egal. Wollen wir zurückfahren?“

„Können wir, aber ich möchte dir noch etwas sagen. Ich spüre seit einigen Tagen wieder ein unbändiges Verlangen, Gewalt über einen Menschen zu haben. Wenn ich dem nicht nachgebe, werde ich sehr unleidlich. Das spüren die Ärzte und dann …“

Hempel schwieg. Kein Wort fiel mehr auf der Fahrt zum Krankenhaus.

Als sich Lars Larsen verabschiedete, meinte sein „Freund“: „Komm am Sonntag. Ich habe eine Überraschung für dich!“

„Willst etwa jetzt schon …?“

Hempel schwieg lange, um dann lächeln zu erklären: „Nein, nein! Du bist wie ich! Wie mein großer Bruder! Ich werde dir etwas Besonderes schenken!“

Und beide Männer verabschiedeten sich mit dem Heben der Hand.

Bis zum Sonntag – viele Tage musste Lars Larsen warten. Und jeden Tag, wenn er beim morgendlichen Waschen in den Spiegel sah, fragte er sein Spielbild, warum er den Hempel nicht sofort festgenommen habe. Hempel hat ihm einen dreifachen Mord gestanden, er hat ihm, dem Hauptkommissar, eine halb verweste Leiche gezeigt, er hat das „Grab“ der Frau mit den schmutzigen Schuhen gesehen, und er hat einen Mörder gehört, der die Polizei verhöhnte.

„Warum habe ich ihn nicht sofort festgenommen?!“, stöhnte ein Hauptkommissar. Und Lars Larsen verstand sich selbst nicht mehr.

Der Sonntag war ein wahrer Sonnentag. Larsen hatte eine schlechte, eine sehr, sehr schlechte Nacht hinter sich. Dafür begann er diesen Tag mit all den kleinen Genüssen, die man sich nur leisten kann, wenn man Zeit hat. Und Zeit hatte Kommissar Larsen bis zum Nachmittag um 15 Uhr, denn dann bekam Jens Hempel erst Ausgang.

Je näher dieser Zeitpunkt heranrückte, umso unruhiger wurde er. „Ich bin ja genauso hippelig wie der Hempel!“, dachte der Kommissar. Und Lars Larsen bemühte sich, ruhig zu sein.

Punkt 15 Uhr trat Jens Hempel durch das große Tor. Er sah irgendwie versonnen aus. Er begrüßte Larsen mit einer Umarmung und freute sich, dass Lars das gleiche Jackett, wie er es trug, anhatte. „Bruder Lars“, flüsterte er bei der Umarmung.

Hempel führte seinen „Bruder Lars“ zum nahen Stadtwald. Am äußersten Ende der großen Parkanlage setzten sie sich auf eine Parkbank.

„Lars, du bist wie ich. Ich bin wie du. Ich möchte dir etwas Besonderes schenken. Den nächsten Menschen, der hier vorbeikommt, den darfst du töten. Du tötest ihn für mich. Du sollst auch dieses gottgleiche Gefühl haben, dich als Herr über Leben und Tod fühlen.“ Jens Hempel drückte dem Larsen die Hände. „Ich bin ja so froh, dass es dich gibt, mein großer Bruder!“

Und beide Männer hielten Ausschau nach einem Opfer. Der Zufall sollte also über Leben und Tod entscheiden. Und der Zufall wollte, dass ein junges Mädchen, keine 17 Jahre alt, den Weg zu ihrer Parkbank einschlug.

Hempel erhob sich, drückte dem Hauptkommissar ein großes Messer in die Hand und flüsterte: „Jetzt gilt es, Bruder!“

Und Larsen erhob sich und starrte seinen Gegenüber an. Der fuchtelte mit den Armen und vollführte dann zwei heftige Stöße mit einem imaginären Messer. „Lars, zwei starke Stöße direkt ins Herz! Direkt ins Herz“

Und noch einmal stieß Jens Hempel mit dem unsichtbaren Messer zu. „Hast du gesehen!? Und jetzt du!“

Und Lars Larsen stieß das Messer zweimal - so stark und schnell, wie er nur konnte - in die Brust des Jens Hempel. „Bruder …“, hauchte der und sank zu Boden.

 Das Mädchen hatte diese Tat gesehen. Mit einem gewaltigen Aufschrei stürzte sie davon.

Larsen war jetzt ganz der Hauptkommissar. Er griff zum Handy und befahl die KT zum Tatort. Auch den Pathologen holte er von der Kaffeetafel weg. „Ein Toter! Mit zwei Stichen getötet! Bitte kommen Sie sofort!“ Dann zog Larsen sein Jackett aus und bedeckte damit die Leiche.

Als der erste Streifenwagen mit Blaulicht auf dem schmalen Parkweg heranbrauste, zupfte Larsen sein Hemd zurecht. Den beiden Polizisten wies er sich als Hauptkommissar aus.

Dann befahl er: „Hauptwachmeister, Sie sichern den Tatort! KT und Pathologe sind informiert. Sie müssen gleich eintreffen. Wachtmeister, Sie fahren mich sofort ins Polizeipräsidium!“

Die beiden Polizisten antworteten mit einem „Jawohl, Herr Hauptkommissar!“ Keine 10 Minuten später saß Lars Larsen in seinem Büro. Er schaltete den PC ein und schrieb seinen Bericht. Es war ein sehr langer Bericht. Nachdem er ihn noch einmal überflogen hatte, druckte er ihn aus und unterschrieb ihn. Er legte den Bericht auf die Schreibplatte. Dann nahm er den Telefonhörer ab und wählte die Privatnummer des Polizeirates, die nur für den Katastrophenfall benutzt werden sollte.

Der Polizeirat war zu Hause. Als Larsen sich meldete und ihm erklärte, dass der Fall abgeschlossen sei, knurrte der Chef: „Das hat bis morgen Zeit!“

Lars Larsen antwortete: „Bitte kommen Sie in mein Büro, Herr Polizeirat!“

Irgendetwas in der Stimme seines Hauptkommissars bewegte den Polizeirat zu antworten: „Ich komme!“

Larsen legte sich seine Handfesseln an und setzte sich dem Schreibtisch gegenüber.

Als der Polizeichef das Büro des Hauptkommissars betrat, saß sein Kommissar im Hemd, die Hände in Fesseln dem Schreibtisch gegenüber.

„Bitte lesen Sie meinen Bericht!“

Und der Polizeirat setzte sich an den Schreibtisch und las. Man konnte die Erregung in seinem Gesicht erkennen. Immer öfters blickte er hoch - ins Gesicht seines Kommissars. Als er die letzte Seite umgeblättert hatte, war er so erregt, dass er aufstand und laut las: „ … und da wusste ich, dass ich genauso denke und fühle wie der Mörder Jens Hempel. Ich erwarte, dass ich zu lebenslänglicher Haft mit anschließender Sicherheitsverwahrung verurteilt werde. Nie, wirklich nie darf ich wieder die Freiheit genießen. Ich würde morden, wie es Jens Hempel tat!“

Der Polizeirat setzte sich, griff zum Telefon und befahl den Wachhabenden ins Zimmer des Hauptkommissars. Als der ins Zimmer trat, befahl er nur: „Der Hauptkommissar Lars Larsen kommt sofort in Untersuchungshaft!“

Und ein verblüffter Polizist bat den Kommissar Larsen, mitzukommen. An der Tür blickte sich Larsen noch einmal zum Polizeirat um und sagte leise: „Danke!“