Die Rentnerclique: 3. Das Mörderspiel

Das Mörderspiel

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(von Joachim Größer)

 

Vier Wochen nach unserem gelösten Fall fuhr die „Rentnerclique“ in drei Autos aufs Land. Ziel war ein Hotel, das uns für die nächste Woche als Domizil dienen sollte. Schon als wir durch das große schmiedeeiserne Tor fuhren, glaubten wir, in eine andere Welt um mindestens 100 Jahre zurückversetzt zu sein. Ein herrlicher Park mit alten Buchen und Eichen und mit Kies bedeckte Wege erfreuten unsere Augen. Und dann: Ein „Ohhh!“ ertönte aus den vier Mündern im Auto, als wir das Hotel erblickten. Es war ein prächtiges Gebäude, das nach Herrschaft, Geld und Macht „roch“.

„Protzbau aus der Gründerzeit“, meinte der Oberlehrer, der neben mir saß.

„Aber schön und solid!“, ergänzte meine Karla.

Sie musste auf alle Fälle erstmal alles gut finden, war sie es doch, die den Hotelaufenthalt gemanagt hatte.

Jetzt war Freitag - Anreise, am Sonnabend und Sonntag wollten wir am „Mörderspiel“ teilnehmen und die anderen Tage uns dann in dieser herrlichen Umgebung den Genüssen des Rentnerdaseins hingeben. Und das hieß für die Männer: Spielen mit Skat-Karten! Die Frauen – so meinte mein Bruder Bob zutreffend – wollten sich „schönpflegen“. Dafür standen ein Wellnessbad, die Sauna und ein riesiger Park zum Spazierengehen zur Verfügung. Natürlich durfte auch das geistreiche Gespräch nicht zu kurz kommen. Und dafür hatte mein lieber Bruder nur ein Wort, das aber ebenfalls zutraf: Tratschen.

Das wagte er natürlich nicht, in Gegenwart der Frauen zu gebrauchen. Alleine schon des lieben Friedens willens, sagte er das nur unter den Männern. Seine Lydia, meine Schwägerin, war eine sehr ruhige und zurückhaltende Frau. Aber wenn der Bob ihre „geistreichen“ Gespräche als Tratschen bezeichnete, konnte sie zur Furie werden. Dann musste mein Bruder schon in Kauf nehmen, dass ihm seine sanftmütige Frau all seine „Laster“ und „Verfehlungen“ vorhielt – und Lydia hatte ein phänomenales Gedächtnis.

Da ich mit meinem Oldtimer unsere kleine Wagenkolonne anführte, chauffierte ich als Erster meinen „Oldie“, so heißt mein Uralt-Auto, auf die Auffahrt. Kaum, dass ich vor dem mächtigen Eingangsportal gehalten hatte, sprangen scheinbar aus dem Nichts drei Bedienstete in Livreen gekleidet zum Auto, rissen die vier Türen auf und ein junger Bursche flötete: „Bitte lassen Sie den Schlüssel stecken, Herr Professor. Ich fahre Ihren Wagen in die Garage.“

Nur war ich weder Professor, noch führte ich sonst irgendeinen anderen Titel. Also stotterte ich: „Kern, heiße ich! Nur Kern!“

„Sehr wohl, Herr Professor Kern! Sehr wohl!“

Während ich aus dem Wagen kroch, standen bereits eine Frau Professor, ein Konsul und natürlich auch eine Frau Konsul neben dem Auto.

Der junge Bursche sprang in mein geliebtes Auto, der Gang wurde „reingehauen“, das Getriebe knirschte und mir lief ein Schauer den Rücken hinunter. Mein Auto, das ich nur an hohen Feiertagen, nur an Sonnentagen und höchstens dreimal im Monat vorsichtig durch alle Tücken des Straßenverkehrs liebevoll lenkte – dieser Mensch lässt es krachen und knirschen.

„Man müsste ihm den Hals umdrehen!“, flüsterte ich halblaut.

„Nicht doch“, flüsterte meine Karla. „Trinke an der Bar einen doppelten Cognac und du vergisst dein Auto. Du hast doch mich!“ Und sie strahlte mich an, dass es mir warm um das Herz wurde, und ich mir sagte: „Recht hat sie, meine Karla!“

Zu meiner Schande muss ich gestehen, ich habe in dieser Woche in diesem Hotel, wenn es hochkommt, fünfmal selbst eine Tür geöffnet. Immer stand irgendein „guter Geist“ bereit und begrüßte mich ehrerbietig. Dabei waren diese in Livreen gekleideten Hotelangestellten sehr variabel und einfallsreich in der Wahl ihrer Titel für unsere Personen. „Doktor“ oder auch „Professor“- das war bald banal. Einer der Angestellten kürte mich zum Geheimen Hofrat, der Jurist wurde zum „Herrn Minister“ und der Oberlehrer schaffte es gar zum „Premier“.

Unsere Frauen waren entzückt. „Küss die Hand, gnädige Frau!“ – das war das Mindeste, was sie mindestens zwanzigmal am Tag zu hören bekamen. Aber auch da gab es Steigerungsmöglichkeiten, um die aber alle ausführlich zu erläutern, bräuchte ich viel Zeit, zu viel Zeit.

Und die hatten wir nicht an diesem späten Nachmittag. Die Augen gingen über - über soviel Prachtentfaltung.

„Bissel viel Kitsch!“, sinnierte der Oberlehrer. „Pompööös!“, jubelte dagegen Antonia, seine Frau.

Gespannt waren wir alle auf das Wochenende und unserem „Mörderspiel“. Bei so viel Kulisse erwarteten wir zwei spannende Tage. Wie erwarteten – wir waren geduldige Wartende – wir warteten mit großer Spannung auf den zweiten Tag, auf den Mittag, den Abend – wir erwarteten dann nichts mehr.

„Solch ein Reinfall!“, kommentierte meine Karla den von ihr organisierten Kriminal-Ausflug. Und da dies meine Karla sich selbst eingestand, konnten wir anderen nun diese zwei Tage in bester Manier durchhecheln. Und bei dieser Übung zeigten die Männer mehr Talent als unsere lieben Frauen. Gekrönt wurde der Disput mit der Bemerkung unseres Chemikers: „Morgen Männer – morgen beginnt das wahre Leben!“

Was für die fünf Freunde das wahre Leben war, war für mich eher Pflicht als Kür. So beeilte ich mich auch nicht am Montagmorgen, um in den Spielsalon zu kommen. Als ich dort eintraf, erwartete ich eigentlich fünf ältere Herren, die verzückt ihre Karten auf den Tisch warfen und solch komische Ausrufe starteten, wie: „Hosen runter, aber fix!“

Aber nichts von alledem fand ich vor. Alle fünf älteren Herren standen – sie standen, sie saßen nicht! – an einem großen alten auf Hochglanz polierten Tisch. Fast liebevoll strich der Oberlehrer über die Politur und flüsterte: „Ach Jungs, das waren noch Zeiten!“

Dieser Tisch war ein Skattisch, wie er leider heute wohl kaum noch in einer Gaststätte zu finden ist. Gefertigt war er für Spieler, für Kartenspieler. Man konnte das Bier sicher abstellen, der Tisch war so groß, dass man beim Nachbarn schlecht „illern“ konnte, es war eben ein Spieltisch aus der guten alten Zeit.

„Wie alt waren wir damals?“, fragte mein Bruder.

„Sechzehn – glaube ich. Ich war doch unsterblich in die Blonde aus der Nachbarklasse verliebt. Ja, garantiert, wir waren sechzehn.“

„Und wisst ihr noch, wie wir dann unserem alten Klassenlehrer die ‚Hosen‘ ausgezogen haben?“ Der Jurist strahlte übers ganze Gesicht.

„Hat doch der Alte geglaubt, uns Küken im Skat zu besiegen. Dafür hat er mir aber auch gleich am nächsten Tag beim Elternbesuch eine Strafpredigt gehalten. Ich höre ihn heute noch, wie er sagte: ‚Ihr Sohn hat einen hellen Verstand, nur sollte er ihn nicht im Alkohol ersäufen!‘“

Der Oberlehrer grinste übers ganze Gesicht. „Dabei war der alte Meyer daran schuld, dass ich in seine Fußstapfen trat. Ach, Jungs, das waren noch Zeiten!“

So schwelgten die fünf Freunde in der Vergangenheit, kannten sie sich doch alle aus der Schulzeit. Und auch, wenn einer mal aus dienstlichen Gründen woanders wohnte, aus den Augen verloren sie sich nie. Und immer noch waren sie wie damals auf das Skatspielen versessen!

In diesem Augenblick kam ich mir in dieser Runde unpassend vor. Auch früher durfte ich meinen älteren Bruder nie zu seinen Spielabenden begleiten. „Wir sind doch keine Kinderbewahranstalt“, sagte er dann, wenn ich ihn darum bat, mich mitzunehmen.

Auch ihre Spitznamen, mit denen sie sich noch heute riefen, stammten aus dieser Zeit. Es waren ihre Berufswünsche, die sie sich auch erfüllen konnten. Nur mein Bruder hieß immer „Bob“, wo er doch eigentlich Gernot heißt. Und bis heute habe ich nicht erfahren, warum er diesen Spitznamen erhalten hatte, obwohl ich ihn auch nur so rufe.

„Männer, wir spielen heute so, wie wir damals gespielt haben.“ Der Techniker machte den Vorschlag.

„Lieber nicht, dann wäre mein kleiner Bruder sofort pleite.“

Bob grinste unverschämt und ich ahnte, was er meinte. Na gut, mit meiner Spielkunst ist es nicht weit her, aber musste er mich deshalb vor allen anderen beschämen?

Ich wollte schon ärgerlich drauf reagieren, als er versöhnliche Worte von sich gab: „Der Beste zahlt alles. Einverstanden?“

„Bob, aber nur am Ende des Tages abrechnen. Ich muss ein bissel nüchtern bleiben. Meine Hilda macht mir sonst die Hölle heiß. Das Wort ‚Leber‘ ist dann wieder für vierzehn Tage ihr Lieblingswort.“

Da man sich auf die Modalitäten des Spiels und des „Saufens“ geeinigt hatte, durfte ich als Küken die Karten geben. Als nach 8 Stunden – ich wiederhole: nach acht Stunden – das Turnier beendet wurde, erlebte nicht nur ich eine Überraschung: Ich war der beste Skatspieler an diesem Tag! Ich, der ich kaum Ahnung vom Skatspielen hat!

Bob erklärte sofort, dass er nie wieder über mein Spiel frotzeln werde. Der Oberlehrer hielt mir grinsend die Rechnung hin: „Darfst dafür auch bezahlen, Fred!“ Und mit einem Male wurde ich das Gefühl nicht los, die Fünf haben mich ganz schön verschaukelt.

Aber weiter darüber nachzudenken, hatte ich keine Zeit mehr, standen doch unsere Frauen „schöngepflegt“ vor uns und verlangten nach einem „Schönheitsaufenthalt“ an der frischen Luft.

Kennen Sie, lieber Leser, sechs Frauen, die nach Schönheit dürsten?! Es gab kein Argument, alles prallte bei ihnen ab.

„Wir haben euch den ganzen Tag in Ruhe gelassen, jetzt sind wir wichtiger als alles andere.“

Sie gaben uns 10 Minuten Zeit, uns umzuziehen und dann spazierten wir in dem herrlichen Park. Und keiner der Männer maulte mehr über diesen kleinen Ausflug.

Wobei „kleiner Park“ eigentlich geschmeichelt ist. Als Martina zwischen alten Parkbäumen Wasser schimmern sah, mussten wir natürlich auch dieses Stückchen Natur erkunden. Aber es lohnte sich, es war ein kleiner See mit viel Schilf am Ufer. Ein gut befestigter Weg führte um den See herum, den wir natürlich sofort ausprobieren mussten. Aber sehr weit kamen wir nicht, stolperten wir doch über einen am Boden liegenden Jogger, der scheinbar tot war. Meine Schwägerin Lydia war Krankenschwester. Ihr oblag die Erste Hilfe, doch kaum hatte sie am Hals den Puls fühlen wollen, als sie auch schon verkünden musste: „Hier kann keiner mehr helfen! Wir müssen die Polizei verständigen!“

Sofort kramten alle nach ihrem Handy, doch … naja, wieder mal solch typisches Ereignis. Jeder hat eins oder sogar zwei, aber wenn man es braucht, liegt es garantiert irgendwo.

Da wir ein Motorengeräusch hörten, rannten Bob und ich los, um ein Auto anzuhalten. Wir gelangten nach wenigen Minuten zu einer Straße, die schmal und holprig war und kaum befahren wurde. Doch dann hatten wir Glück. Ein Traktor mit einem Jauchefass auf dem Hänger tuckerte zu uns. Und? Man sollte es nicht glauben, aber der alte Opa auf dem Traktor griff in die Tasche und meinte, so was müsse man in seinem Alter immer zur Hand haben. Man könne ja nie wissen, wann einem der Sensenmann besuchen möchte.

Er informierte die Polizei, erkundigte sich noch so nebenbei, ob beim Bäcker noch frisches Brot zu kaufen wäre, und schließlich bat er den Polizisten noch, er möge doch an der Bäckerei halten und die Margit bitten, sie solle ihm ein Brot zurücklegen. „Aber schön knusprig!“, schrie er zum Abschluss seines Telefonates in das Handy. Grinsend meinte er dann zu uns gewandt: „Auch wenn man alt und grau geworden ist, auf alle schönen Dinge des Lebens muss man doch nicht verzichten.“

Und schon tuckerte er weiter den Holperweg, den er Hauptstraße nannte, entlang.

Es dauerte schon etwas, ehe ein Polizeiauto auf der Straße hielt und zwei Polizeibeamte zu uns kamen. Schnell waren sie nicht, meinten sie doch mit Recht, ein Toter wird auch durch Eile nicht wieder lebendig. Und noch einer kam wie gerufen. Ein Jogger, nicht älter als 35 bis 40, trabte zu uns und mischte sich sofort ein.

Die Polizisten redeten ihn als Doktor Becker an und dieser Doktor stellte sofort nach nur kurzer Betrachtung die Diagnose: Herzinfarkt.

„War er ein Patient von Ihnen?“, fragte der eine Polizist.

„Ja, ein Patient! Er hatte seit Längerem Herzprobleme und ich habe ihm geraten, Sport zu treiben und vor allem auch, abzunehmen. Nun hat er es wohl etwas übertrieben. Ja, manchmal ist zu viel des Guten auch tödlich!“

Die Polizisten baten den Arzt um einen kurzen Bericht und meinten dann, ihre Pflicht getan zu haben. Den Leichenbestatter hatten sie bereits informiert und das Auto musste jeden Moment auf der Hauptstraße halten.

Eigentlich wäre damit für uns die Angelegenheit beendet gewesen, wäre da nicht Lydia gewesen, die es wagte, sich gegen die Diagnose aufzulehnen.

„Doktor, ich erachte eine Obduktion der Leiche als sehr angemessen“, erklärte sie. Der Arzt fuhr herum: „Sind sie Mediziner?“

„Ich war Krankenschwester und habe versucht, Erste Hilfe zu leisten. Dabei ist mir das Mal am Hals aufgefallen.“

„Wenn Sie kein Arzt sind, dann mischen Sie sich gefälligst nicht in Dinge, von denen Sie nichts verstehen!“ Der Arzt war richtig grob geworden und jeder von uns hatte das Gefühl, hier stimmt etwas nicht.

Einer der Polizisten meinte nun zu Lydia: „Unser Doktor kennt seine Patienten doch. Es hat schon seine Richtigkeit, junge Frau.“

Wäre Lydia in einem anderen Zusammenhang als „junge Frau“ angesprochen worden, sie hätte gemeint, das „Schönpflegen“ hätte Wunder bewirkt. So aber konterte sie: „Dieses Mal ist eine Verbrennung und sie ist nicht alt. Das sieht doch jeder!“

Der Arzt antworte ihr – jetzt etwas versöhnlicher klingend: „Ja, ich kenne das Mal. Vor Kurzem erst war der Mann deswegen in meiner Sprechstunde. Es hat nichts mit dem Tode zu tun!“

„Na, sehen Sie, junge Frau!“ zufrieden klappte der Polizist sein Notizbuch zu.

Bob zog seine empörte Lydia zur Seite. „Ruhig, altes Mädchen! Das bringt jetzt nichts!“

Alles hätte Bob jetzt in diesem Moment sagen dürfen, aber nicht „Altes Mädchen!“

Lydias Augen blitzten, auf der Hacke machte sie kehrt und mit Tränen in den Augen marschierte sie zurück zum Hotel.

Fünf Frauen beschwichtigten ihre Freundin, sechs Männer gingen betreten weit hinter den Frauen zurück zum Hotel. An der Bar kreuzten sich unsere Wege.

Bob wurde von seiner Frau empfangen: „Und ich habe doch recht! Mit diesem Toten stimmt etwas nicht!“

„Lydia, der Meinung bin ich doch auch! Ich wollte doch nur, dass du von diesem Tatort weggehst.“ Bob säuselte und er hatte Erfolg.

„Und warum sagst du das nicht?“, fauchte Lydia noch einmal, um dann wieder zur Sanftmütigen zu werden.

„Mit den Polizisten konnten wir nicht reden - der Arzt hat ‚Dreck am Stecken‘. Das habe ich doch auch gemerkt. Und ich bin der Meinung, dass das jetzt unser ‚Mörderspiel‘ wird. Ich wette zehn Kasten Pils, dass der Arzt mit dem Tod zu tun hat. Wer hält dagegen?“

Doch niemand nahm die Wette an. Alle waren von Bobs Idee sofort begeistert. Nur der Jurist äußerte Bedenken: „Wenn es sich um Mord handelt, dann kann es auch für uns brenzlich werden. Wir müssen sehr vorsichtig und überlegt vorgehen. Aber zugleich gebe ich zu, dass man vermutet, dass ein Drittel aller Todesfälle, wo keine Obduktion gemacht wird, eigentlich Mordfälle sind. Also nochmals, wenn wir dies aufklären wollen, dann nur sehr behutsam und vorsichtig. Menschen, werden sie hart bedrängt, neigen sehr schnell zu Überreaktionen.“

„Willst du etwa damit sagen, dass der Arzt auch uns umbringen könnte, uns alle zwölf?“

„Hilda, wir wissen noch gar nichts. Wir haben nur Lydias Sachverstand bezogen auf das Brandmal und unsere Wahrnehmungen.“

„Wie würdest du vorgehen, Jurist?“

„Wir durchleuchten das Umfeld des Arztes und das des Toten. Gibt es Verbindungen zwischen diesen Personen, und ich meine hier nicht nur zwischen Arzt und Patient, dann sind wir schon ein Stückchen weiter. Einverstanden?“

Der Chemiker gab zu bedenken, dass wir nur wenige Tage Zeit hätten. Und Maxi sagte: „Wir müssen schnell sein. Wenn der Tote eingeäschert wird, dann ist das Brandmal dahin und wir können nichts mehr beweisen. Man wird dann dem Arzt glauben und nicht uns!“

„Richtig Maxi!“ Der Jurist nickte seiner Frau zu. „Wir müssen schnell und effizient sein!“

„Ich meine, der Jurist macht in diesem Fall den Chefermittler. Einverstanden?“ Der Oberlehrer machte den Vorschlag und alle stimmten dem zu.

„Gut, morgen nach dem Frühstück Abmarsch zum Dorf. Wir arbeiten in kleinen Gruppen und versuchen, Dorftratsch über den Doktor zu erfahren. Aber bitte glaubt nicht sofort alles, was ihr hört. Mittags ist Treff an der Bar: Auswertung!“

Die Auswertung am nächsten Tag an der Bar ergab, dass die Männer so gut wie nichts erfahren hatten. Suchten wir doch den Kontakt zu unseren Geschlechtsgenossen, die aber so maulfaul und ablehnend waren, dass wir nicht nur einmal das Gefühl hatten, sie empfinden uns nur als Störenfriede in ihrem beschaulichen Dasein. Unsere Frauen dagegen kauften beim Bäcker ein und gingen zur Markthalle, meine Karla und Martina spazierten zu dem kleinen Friseursalon und ließen sich verschönern, Hilda entdeckte ein kleines Schild mit dem Hinweis „Zur Maniküre“. Sie und Maxi betrachteten nicht lange die eigenen Fingernägel, sondern betraten die kleine Stube. Eine dankbare junge Frau unterhielt sie volle zwei Stunden mit neuestem Dorfklatsch.

Der Jurist zog nach der Berichterstattung das Fazit: „Erstens ist unser Dr. Becker ein Frauenschwarm. Zweitens nutzt er das schamlos aus und kennt viele Betten in dem kleinen Dorf. Drittens ist er ein Lebemann und Spieler. Viertens scheint er seinen Beruf nicht sehr ernst zu nehmen. Er liebt mehr ‚Wein, Weib und Gesang‘. Richtig, meine Einschätzung?“

Wir alle meinten, dass der Jurist den Arzt gut beschrieben hatte. So musste logischerweise die Frage kommen: „Wie geht’s weiter?“

Der Jurist erteilte neue Aufträge für den Nachmittag und den Abend: Am Nachmittag sollten wir Ermittlungen bezogen auf den Toten und dessen Ehefrau durchführen. Der Jurist vermutete wohl zu Recht, dass es hier ein Techtelmechtel gab. Und für den Abend meinte er, wäre ein Besuch im Kasino der geeignete Ort für weitere Ermittlungen.

Kaum waren die Worte „Kasino“ und „Abend“ gefallen, als auch schon die Frauen meinten, sie hätten nichts zum Anziehen. Wir sahen ganz schön dämlich aus, als die Frauen uns verkündeten, am Nachmittag müssten sie unbedingt in die nächste größere Stadt fahren, um dort Abend-Garderobe zu kaufen.

 Da wir alle schon sehr, sehr lange verheiratet waren, wussten wir, hier mussten wir nachgeben oder der Abend im Kasino würde nicht stattfinden. Die Frauen verlangten zwei Autos und jetzt wehrte ich mich gegen den Versuch, mir meinen Oldtimer für diese „Kutschfahrt“ ausspannen zu lassen. „Nie und nimmer!“, rief ich erzürnt und erntete dafür: „Oller Sturkopf!“

Mein geliebtes Auto blieb allerdings nicht in der Garage. Der Jurist las an der Bar noch in der Kreiszeitung und fand eine Annonce, die ihn stutzig machte.

„Männer, wir müssen uns heute Nachmittag trennen. Ich glaube, einen ehemaligen Kommilitonen gefunden zu haben. Er ist Notar im Nachbarort. Ich fahre mit Fred mit seiner Blechbüchse dorthin und die anderen versuchen, etwas im Dorf über den Toten und seine Frau zu erfahren. Ich hab da so einen Riecher …“

Also, den Riecher nahm ich ihm ab, aber dass er meinen „Oldie“ als Blechbüchse bezeichnete, war schon ein starkes Stück.

Noch unmöglicher empfand ich allerdings die Fahrt zum nächsten Dorf. Wir fuhren zuerst auf der sogenannten Hauptstraße. Mein Auto quietschte und klapperte. Das Kopfsteinpflaster überstand es noch. Doch dann entdeckte der Jurist ein kaum lesbares Hinweisschild. „Halt!“, schrie er so laut er konnte. Immerhin musste er das Klappern und Quietschen übertönen. „Hier ist eine Abkürzung!“

O weh, eine Abkürzung! Ein Feldweg war das! Ein Feldweg mit Löchern und Pfützen, mit Schlammkuhlen und Buckeln. Aus Protest gegen diese Unvernunft sprach ich mit dem Juristen während der Fahrt kein einziges Wort.

Im nächsten Ort angekommen, meinte doch der Jurist schmunzeln: „Ist ein gutes Auto, Fred. Hätte nicht gedacht, dass wir auf dieser Straße durchkommen werden.“ Und grinsend verschwand er in einem Eingang, an dessen Tür groß ein Schild prangte: „Dr. Julius Berg, Notar.“

Ich griff zum Lappen und säuberte liebevoll, dabei oft Seufzer von mir gebend, meinen „Oldie“ vom größten Dreck. Ich konnte lange putzen und wienern, der Jurist erschien erst nach zwei Stunden. Begleitet wurde er von einem Herrn unseres Alters, der sofort neugierig mein Auto musterte. „Verkaufen Sie es mir? Was verlangen Sie?“

„Es ist unverkäuflich!“, knurrte ich und stieg ein, um allen Verkaufsgesprächen aus dem Wege zu gehen.

So saß ich in meinem „Oldie“ und musste mich gedulden, bis der Jurist mit dem Herrn Notar noch irgendetwas aus ihrer Studentenzeit durchgehechelt hatte.

„Hast du wenigstens was Neues in unserem Fall?“, maulte ich den Juristen voll.

„Ja, was glaubst du denn, Fred?! Der Berg ist zwar nicht mehr im Geschäft, sein Sohn führt jetzt die Kanzlei, aber er unterliegt doch weiterhin seiner Schweigepflicht.“

„Und deshalb jage ich meinen ‚Oldie‘ über unbefahrbare Pisten? Nur damit du deiner Studentenzeit nachtrauern kannst?! Jurist, Jurist – mit dir nimmt es noch einmal ein schlimmes Ende!“

„Wenn du mich jetzt mal fahren lassen würdest, Fred, dann …“

„Nie und nimmer! Selbst meine Frau darf das Auto noch nicht einmal putzen!“

„Schade, der Berg hat mir nämlich in Erinnerung gerufen, dass sein Schwiegervater solch ein Auto fuhr und ich musste immer kutschieren, wenn er es sich mal ausborgen durfte.“

„Du kannst das Auto fahren?“

„Ja, warum nicht!“

„Auch mit Zwischengas geben, gefühlvoll ein- und auskuppeln?“

„Ja, soll ich dir es zeigen?“

Nun geschah etwas Unglaubliches – ich stieg aus und setzte mich auf den Beifahrersitz. „Aber nicht mehr als 50! Und gefühlvoll!“

Ich muss gestehen, der Jurist beherrschte meinen „Oldie“. Fast so gut wie ich fuhr er - schaltete völlig geräuschlos bei der richtigen Drehzahl – Fazit: Er beherrschte wirklich das Auto!

Und er fuhr einen anderen Weg, zwar dreimal so lang wie der Feldweg, dafür aber asphaltiert und glatt wie ein Kinderpopo.

Nach der 30-minütigen Fahrt, die ich wahrhaftig genoss, meinte er lächelnd: „Danke Fred, es war fast wie vor 50 Jahren.“ Und fast liebevoll strich er über das Lenkrad.

Wir waren an der Bar die Ersten, dann kamen die vier Männer aus dem Dorf zurück und kurz darauf stürmten unsere Frauen mit etlichen Taschen und Täschchen an die Bar. Bevor sie uns ihre Einkäufe präsentieren konnten, befahl der Jurist: „Wichtige Lagebesprechung in 5 Minuten an der Bar!“

Die Frauen wollten zuerst maulen, doch der Jurist blieb hart. „Ihr habt hinterher eine Stunde Zeit, euch zu verkleiden!“

Unsere Frauen verschwanden und beklagten sich, dass der Jurist ihr „Schönmachen“ als Verkleiden bezeichnete. Zur Strafe kamen sie nicht nach 5, nicht nach 10, sondern erst nach 20 Minuten aus den Zimmern. Ja, unsere Frauen, sie hielten echt zusammen und demonstrierten Stärke.

Wir sahen über diesen Fauxpas hinweg und der Jurist befragte uns nach neuen Erkenntnissen. Die Männer, die im Dorf waren, fanden einen geschwätzigen Alten im Wirtshaus, der ihnen für ein Freibier einige interessante Details aus dem Liebesleben unseres Dr. Becker erzählte. Aber all das war nur Tratsch und wenig verwertbar. Verwertbarer war da schon die Aussage, dass man munkelte, der Doktor sei sehr häufig zu Krankenbesuchen bei der Frau des toten Joggers erschienen. Die Frau solle nach Aussage des Schwatzhaften an schweren Depressionen leiden und unser Dr. Becker wäre ihr behandelnder Arzt.

Natürlich konnten unsere Frauen nichts zu diesem Bericht beisteuern. Also fasste der Jurist die Erkenntnisse zusammen: „Erstens ist zu sagen, dass der Arzt ein Verhältnis zur Frau des Toten unterhalten hat. Zweitens muss ich anfügen, dass die Frau nicht vermögend ist, aber ihr toter Ehemann. Drittens besteht ein Ehevertrag, der bei Scheidung die Frau ‚im Regen‘ stehen lässt. Und viertens sollten wir heute Abend herausfinden, ob unser Becker wirklich ein Spieler ist. Ich kann feststellen: Wir haben gute Detektivarbeit geleistet! Abfahrt in 30 Minuten!“

Während die Frauen protestierend in die Zimmer stürzten, musste ich meiner Verwunderung Ausdruck geben: „Sag Jurist, woher weißt du das - das mit dem Vermögen und dem Ehevertrag?“

„Na ja“, flüsterte der Meisterdetektiv, „mein Freund brauchte sehr lange zum Kaffeebereiten. Und ich schaute mal dahin und mal dorthin und bin doch wahrhaftig über die Aktenordner gestolpert. Nur ein kurzer Moment war mir vergönnt. So einfach war das. Aber das muss doch niemand wissen, oder?“ Grinsend verschwand er zu dem Fahrstuhl.

„Juristen!“, murmelte ich enttäuscht. „Für alles haben sie eine fast vernünftige Erklärung.“

Eine Stunde später rauschten sechs aufgeputzte Damen aus den Zimmern. Wir hatten zuerst die Aufgabe, die holde Weiblichkeit zu bewundern, dann zu fahren und ihnen dann an der Kasse die Chips fürs Spielen zu kaufen. Maxi machte den Anfang und knöpfte ihrem Juristen einen Einhunderter ab. Ich sah sein dummes Gesicht und gönnte ihm dies sogar. Nur hatte Maxi damit eine Steilvorlage gegeben und jeder der Frauen verlangte einen grünen Schein.

„Ich habe keinen Grünen“, brabbelte ich verärgert.

„Ich nehme auch zwei Rote“, erwiderte meine Karla wieder mit einem Blick, wo sie wusste, ich konnte ihr nichts abschlagen.

Unsere Frauen stürzten sofort gemeinsam an einen Tisch, schauten einmal zu und setzten dann am Roulette. Ich wusste, die einhundert Euro konnte ich unter „Verlust“ verbuchen. Ich suchte nach einer männlichen Erscheinung, die meinem Erinnerungsbild vom Doktor Becker entsprachen. Der Oberlehrer kam zu mir und fragte, ob ich schon fündig geworden bin. Natürlich wollte ich verneinen, wäre da nicht mein Blick auf die Eingangstür gefallen, wo dieser Doktor auftauchte und sich mit dem Portier - oder war es ein Rausschmeißer? – einen heftigen Disput lieferte. Ich nickte mit dem Kopf in Richtung Tür und ging langsamen Schrittes dorthin. In unmittelbarer Nähe der beiden Streitenden blieb ich mit dem Rücken zu den Beiden stehen, der Oberlehrer war mir gefolgt. Jetzt taten wir so, als würden wir uns unterhalten. Dabei versuchten wir nur, jedes Wort der Streitenden zu hören.

Nur einmal fiel das Wort „Euro“. Dann gab es eine unmissverständliche Handbewegung und der Herr Dr. Becker musste das Spiel-Kasino verlassen.

Ich trat, kaum dass die Tür hinter dem Doktor zugeschlagen war, zum Portier und sagte betont ernst: „Mein Herr, ich wurde Zeuge Ihres unerfreulichen Gespräches. Kennen Sie diesen Gast etwas näher. Meine Frage ist berechtigt, wollte er mich doch vorhin auf dem Parkplatz um 1000 € anpumpen. Als Sicherheit schwenkte er ein Schuldschein, auf dem er mir 20 % Zinsen für eine Woche versprach. Er stellte sich als praktizierender Arzt vor und garantierte mir, diese Rückzahlung plus Zinsen in einer Woche.“

„Jao, hoab’s ihm etwa g’geben?“, fragte Portier.

„Nein, ich sagte ihm, dass ich nicht soviel Bargeld bei mir trage.“

„Dann is‘ joa gutt! Die Piepen hätt’ns sonst nie wieder geseh’n, mein Herr!“ Der Portier grinste übers ganze Gesicht. Dann flüsterte er mir zu, dass dieser feine Doktor seit einem Monat Hausverbot habe. Trotzdem versuchte er es fast jeden Tag, ins Haus zu gelangen. Die Geschäftsleitung habe ihm gesagt, erst wenn er seine Schulden bezahlt habe, bekomme er wieder Zutritt. Und noch leiser flüsterte mir der äußerst sympathische Rausschmeißer ins Ohr, dass das eine Summe ist, die vorne eine 1 und dann fünf Nullen hat.

„Was?!“ Ich riss erstaunt die Augen auf. „Da hatte ich ja nochmals Glück!“ Und der Herr Portier, oder war er doch der Rausschmeißer, nickte sehr heftig bestätigend. Ich zückte mein Portemonnaie und drückte ihm einen kleinen Grün-Blauen als Dank für seine Warnung in die Hand.

„Dank, Herr Professor! Vielen Dank!“ Ich nickte ihm jovial zu und begab mich zu den anderen. Der Oberlehrer, der mein Gespräch mit dem Portier verfolgt hatte, meinte neben mir gehend: „Fred, das ist die Bestätigung, die wir brauchten. Dieser Doktor Becker ist der Mörder!“

Mörder hin – Mörder her, jetzt war Aufregung angesagt. Alle unsere Frauen und Männer, und nun auch der Oberlehrer und meine Person, standen an einem Roulettetisch und sahen zu, wie Maxi ihr Spiel machte. Sie hatte eine unglaubliche Glückssträhne.

„Jetzt geht es um 10.000 Euro“, flüsterte mir meine Karla zu. Die kleine Kugel rollte und rollte und … Es war eine faszinierende Stille an diesem Tisch. Dann gab es einen Riesenaufschrei. Maxi hatte die Augen geschlossen, und erst als Hilda ihr zuflüsterte: „Du hast wieder gewonnen!“, öffnete sie die Augen. Dann wollte sie die ganzen 10.000 € wieder auf ihre Zahl setzen.

Doch da hörten wir: „Marie Sophie – es reicht!“

Und Maxi, deren richtiger Namen Marie Sophie war, raffte alle Chips zusammen und verließ artig den Tisch. Sie ging zur Kasse, im Schlepptau ihr Mann und wir anderen.

Es fiel kein unnötiges Wort, aber wir alle drängten zum Ausgang. Draußen auf dem Vorplatz brach der Jubel los. Jetzt erst kam der Maxi richtig zu Bewusstsein, dass sie 10.000 € gewonnen hatte.

„Ich hätte weiter spielen sollen“, maulte sie, ihren Mann einhakend. „Musstest du mich davon abhalten?“

„Beim nächsten Einsatz hättest du alles verloren“, konterte ihr Mann.

„Vielleicht auch nicht!“, beharrte Maxi auf ihre Meinung.

„Freu dich, 10.000 sind 9.900 € mehr als wir vorhin hatten. Ich kriege noch meinen Hunderter von dir.“

„Ach, bist du heute wieder kleinlich!“ Maxi ließ den Arm des Juristen los und suchte Trost bei Hilda. Doch die meinte nur: „Dein Mann hat recht. Ich hätte schon viel eher aufgehört, mein Glück zu strapazieren.“

„Ach ihr!“ Jetzt war Maxi auf „Gott und die Welt“ böse, sie setzte sich schmollend in das Auto und sprach erst wieder im Hotel.

„Ich habe diese 10.000 € durch Leichtsinn gewonnen. Das Sprichwort sagt: ‚Wie gewonnen – so verronnen!‘ Das Geld gehört uns allen und damit machen wir uns ein paar schöne Tage in einer schönen Umgebung. Gibt es Einwände von meinem lieben Mann?“

„Maxi, du bist die vernünftigste Frau, die ich kenne. Glaub es mir!“, säuselte grinsend der Jurist und er bat uns alle zum Umtrunk an die Bar.

Es war ein schöner Ausklang eines ereignisreichen Tages. Und so ganz nebenbei konnte ich das Neueste über unseren Doktor Becker erzählen, an den keiner mehr gedacht hatte. Und wie für mich und den Oberlehrer stand jetzt auch für die anderen fest: Der Doktor ist ein Mörder!

Aus einem Trunk wurden zwei, dann drei und je älter der Abend wurde, umso verrückter wurden die Ideen, wie wir den Arzt überführen könnten. Dann setzte sich der Techniker mit seinem Vorschlag durch. Und damit endeten der Tag und der Abend: Die Bar wurde geschlossen!

Als wir uns am nächsten Morgen leicht verkatert zum Frühstück trafen, zweifelten wir an dem Plan des Technikers. Selbst seine Frau Hilda, die sonst immer für alles Aufregende zu gebrauchen war, meinte: „Franz, das kann aber sehr gefährlich werden.“

Und der Techniker? Feixend antwortete er: „Wenn der Becker mir auch nur das Geringste antun wird, dann überlebt er keine Stunde! Stimmt doch, Hilda?“

„Darauf kannst du dich verlassen!“ Hilda sagte dieses todernst und jeder, der Hilda kannte, wusste, das war ihr ernst. Und damit gab der Techniker grünes Licht für die Durchführung seines Planes. Er wollte als scheinbar Kranker in die Sprechstunde gehen und wollte den Arzt zum Geständnis der Tat provozieren. Und weil mindestens nach Meinung des Juristen noch eine Person dieses Geständnis hören sollte, wollte er ein Handy mitnehmen und das Gespräch sollte von uns draußen mitgehört werden. Und da ja ein Handy ausfallen könnte, bestand die Hilda darauf, dass ein zweites Handy auch das Gespräch übertragen sollte.

Was der Techniker sagen sollte, das hatten wir uns schön zurechtgelegt und war nach Meinung des Juristen ziemlich hieb- und stichfest. Und so wollten wir nun einen Mörder überführen.

Sprechstunde beim Arzt war von 10 bis 13 Uhr – das hatten wir vom Personal des Hotels erfahren. Pünktlich um 10 Uhr saß der Techniker im Wartezimmer, wir anderen hielten uns in Sichtweite des Hauses auf. Die Übertragung mit den Handys funktionierte einwandfrei. Wir hörten, wie der Techniker mit der Arzthelferin schäkerte und wir hörten Hilda recht laut flüstern: „Komm du nur wieder nach draußen, mein lieber Franz!“

Dann ging der Techniker ins Sprechzimmer. Der Techniker begann ohne Umschweife, den Arzt zu beschuldigen, er habe den Jogger getötet. Wir hörten den Arzt lachend antworten: „Sie haben viel Fantasie, mein Herr. Wer solches sagt, muss auch Beweise haben! Und, welche Beweise überführen mich als Mörder?“

Das war für den Techniker das Stichwort. Deutlich hörten wir, wie er die Beweiskette dem Arzt vortrug. „Sie haben ein Verhältnis mit der Frau des Toten! Lässt sie sich scheiden, bekommt sie laut Ehevertrag keinen Heller! Stirbt ihr Mann, erbt sie alles! Sie haben im Spiel-Kasino Hausverbot wegen einer nicht bezahlten Spielschuld in Höhe von 100.000 €. Wahrscheinlich haben Sie noch weitere Schulden. Sie waren der behandelnde Arzt des Toten und wussten von seiner angeborenen Herzschwäche. Sie haben ihn zum Joggen geschickt! Sie haben ihm aufgelauert und mit dem Elektroschocker den Herztod herbeigeführt. Sie sind ein Mörder, Herr Doktor Becker! Ein Mörder und ein Spieler! Wahrscheinlich wollen Sie nun Ihre Geliebte heiraten und das Vermögen des Toten verspielen. Ich glaube aber, im Gefängnis heilt man Sie von dieser Sucht, Herr Doktor!“

Wir hörten nur unseren Techniker sprechen. Der Arzt gab keinen Kommentar dazu ab. Mindestens eine Minute war es totenstill in der Leitung.

„Was ist? Was passiert dort? Was macht der Kerl mit meinem Franz?“ Hilda schäumte über vor Angst. Dann endlich hörte man den Arzt sagen: „Sie haben sich etwas zusammengereimt, was Ihrer regen Fantasie entspricht. Sie sind sehr aufgeregt, mein Herr. Ich gebe Ihnen nun eine Beruhigungsspritze, und wenn Sie wieder im Hotel sind, wird die Spritze wirken. Man wird mich holen und ich muss leider Ihrer Frau mitteilen, dass Sie an akuter Herzschwäche gestorben sind. Sie sind ein alter Mann und dieser Tod ist ja so typisch für alte Leute. So, jetzt schön ruhig bl…“

Dann hörten wir nur einen Ruf. Später meinten die Einen, „Hilda!“ verstanden zu haben. Andere meinten, der Techniker hätte „Hilfe!“ geschrien. Egal, was Hilda verstanden hat, sie schrie: „Ich komme!“ Und schon stürmte sie los, wir hinterher. Hilda fegte die Arzthelferin zur Seite, die kreischte nach der Polizei und der Jurist schrie ihr zu: „Rufen Sie die 110 an! Ein Mord!“

Wir stürmten ins Sprechzimmer. Dort sahen wir einen vergnüglich aussehenden Techniker, einen kreidebleichen Doktor Becker, eine Spritze, die auf dem Boden lag. Ich wollte sie aufheben, doch der Jurist rief: „Liegenlassen! Nicht anfassen! Beweismittel!“

Jetzt stotterte der Arzt: „Der Herr, der Herr dort hat mich bedroht!“

Und eine erleichterte Hilda hielt dem Arzt das Handy hin: „Hier können Sie sich selbst sprechen hören! Ein Augenzeuge und elf Ohrenzeugen müssten genügen, um Sie des Mordes und des versuchten Mordes zu überführen, Herr Doktor Becker.“

Ja, so endete unser „Mörderspiel“. Die Polizei kam, verhaftete nach unseren Aussagen den Arzt, eine geschockte Arzthelferin hauchte: „Aber Theo, wir wollten doch heiraten?!“, und unser Techniker durfte an diesem Tag in der Bar seiner Leber etwas Gutes antun. Und Hilda versprach ihm auch, dass sie das Wort „Leber“ für die nächsten 14 Tage nicht in den Mund nehmen wird.

Als wir dann Abschied feierten, meinte Maxi: „Es war doch ein wunderschöner Kurzurlaub. Wo wollen wir die 10.000 € verjubeln?“

 

4. Episode "Das Burggespenst" - HIER!