Die Rentnerclique: 9. Sport ist Mord

Sport ist Mord         

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(von Joachim Größer)

 

Können Sie sich die glücklichen Gesichter unserer Frauen vorstellen, als sie freudestrahlend mit vielen Taschen bepackt uns begrüßten? Einen ganzen Nachmittag brauchten sie für diesen Einkauf. Und als sie nun vor uns den Inhalt der Taschen ausbreiteten, da stand auch ihr Mundwerk nicht still. Sie lobten den jungen Verkäufer über den grünen Klee, der sie so gut beraten hätte.

Wir Männer saßen am Skattisch und sahen uns nur verlegen an. Was soll man zu soviel … auch sagen? Und dann hatte doch Hilda eine glorreiche Idee: „Wir machen Modenschau!“

„O weh!“, jammerte der Techniker. Und der Jurist flüsterte: „Ich garantiere euch, wir sollen nicht nur bewundern, sondern uns auch zum Affen machen!“

Und es kam, wie es kommen musste: Zuerst sollten wir unsere sechs Schönheiten nur bewundern.

„Bei diesem Jogging-Anzug meinte der Verkäufer, er würde mich optisch recht geschickt sehr schlank machen. Seht ihr das auch so?“

Die Frage ging an uns. Hilda stand und drehte sich, und als keiner von uns ihr eine Bestätigung ihrer „optischen Schlankheit“ gab, fauchte sie ihren Franz an: „Was meinst du?!“

„O ja, dieser Verkäufer hatte einen guten Blick! Er hat euch alles aufgeschwatzt, was er schon lange loswerden wollte. Ein sehr guter Verkäufer, der ältere Frauen geschickt zu nehmen weiß!“

Wir alle gaben zwar dem Techniker recht, nur in seiner Haut wollten wir jetzt nicht stecken. Wir wussten ja, wie resolut die Hilda sein konnte. Erstaunlicherweise winkte Hilda nur ab. Dafür kramte sie in einer der vielen Taschen und zog für ihren Franz denselben farbigen Jogging-Anzug hervor. „Los, Franz, probier ihn an!“

Doch standhaft weigerte sich unser Techniker und wurde damit für uns zum Vorbild. Jede unserer Frauen zog jetzt nämlich einen solchen jeweils andersfarbigen Jogging-Anzug für uns hervor, und stolz verkündeten sie: „Wir machen auf Partner-Look! Sind die nicht schön?!“

Nur Maxi meinte traurig zu dem Juristen: „In deiner Größe hatte ihn der nette Verkäufer nicht. Aber wenn du abgenommen hast, dann kaufe ich dir den gleichen, den ich habe.“

So hatten wir uns beim besten Willen das vom Chemiker vorgeschlagene reduzierte Gesundheitsprogramm nicht vorgestellt.

Ich wagte die Feststellung, dass Kaufen nun wahrlich kein Fitnessprogramm benötige. Doch da zog meine Karla zu meinem Entsetzen vier Stöcke hervor und präsentierte sie mir: „Alle machen jetzt auf Nordic Walking! Wir auch! Der nette Verkäufer gab uns als Dankeschön für unseren Großeinkauf auch gleich zwei Gutscheine mit. Der erste Gutschein ist für eine Grundeinführung in das ‚Gehen mit Stöcken‘ und der zweite … Moment!“ Karla begann zu kramen, doch da half schon Lydia: „Ein kostenloser Schnupperkurs im Fitness-Center!“

„Und wir müssen uns jetzt entscheiden, was wir zuerst nutzen wollen. Ich schlage vor, wir nehmen zuerst die ‚Einführung in das Gehen mit Stöcken‘. Das fängt nämlich schon übermorgen an. Wir stimmen ab! Wer dafür ist, der hebe die Hand!“ Maxi reckte sich, um ja keine Hand zu übersehen.

Sechs Frauenhände streckten sich unübersehbar in die Höhe – keine Männerhand rührte sich.

„Sechs dafür und sechs Enthaltungen! Das hätten wir also urdemokratisch gelöst. Nächste Frage: Was ziehen wir an: Jogging-Anzug oder normale Bekleidung? Wer ist für Jogging-Anzug?“

„Moment, Maxi! So nicht! Wenn du dich zum Kasper machen willst, nur weil dieses smarte Jüngelchen euch den Kopf verdreht hat, dann kannst du mit deinen Freundinnen als Clowns durch den Wald hüpfen – aber ohne mich! Ich komme in normale Bekleidung mit – oder gar nicht!“ Der Jurist prustete vor Erregung und das war für seine Frau Maxi Grund genug, einzulenken. „Gut, gut! Also gehen wir in normaler Bekleidung?“

Sechs Frauenhände ragten nicht mehr ganz so steil gen Himmel, sechs Männermienen zeigten gar keine Fröhlichkeit.

Kennen Sie die Technik des Nordic Walkings? Wir erlernten sie und bald war auf den Waldwegen das „Klack – klack – klack“ zu hören – von dreizehn Personen. Vorneweg, manchmal nebenher, selten ganz hinten klackte unser „Trainer“, denn als solcher fühlte sich der Herr mit der halben Glatze und den scharf geschnittenen Gesichtszügen. Die älteren Damen, also unsere lieben Frauen, oder wie der „Herr Trainer“ sie bezeichnete „die jugendlich gebliebene ältere Generation“ umgarnte er mit so vielen Lobeshymnen, dass unser Weibervolk doch wirklich hinter unserem Rücken einen 14-tägigen teuren Kurs für Fortgeschrittene buchen wollte, und dem sollte sich ein noch teuererer Profi-Kurs über sechs Wochen anschließen.

Nur Martinas Indiskretion war es zu verdanken, dass es nicht dazu kam. Fragte sie doch ihren Mann, ob das nicht zu viel für ihn werden könnte. Und da der Chemiker Genaueres wissen wollte, flog der hinterhältige Plan unserer gar nicht lieben Frauen auf.

Der Chemiker hatte genau wie alle anderen Männer die Nase voll von dem „Klack – klack – klack!“ Er berief sich auf das vom Arzt ausgearbeitete Programm, sprach von vielfältigen Übungen und alle Skatbrüder erklärten sich sofort solidarisch.

„Geht ihr in den Wald, wir werden das Fitness-Center aufsuchen und uns dort umsehen. Dann kann ich auch die leichten Übungen an den Geräten durchführen!“

Solch einem gewichtigen Argument, von einem Mediziner vorgegeben, konnten sich unsere Frauen nicht versperren. Ja, sie wollten sogar ihr „Klack-klack-Laufen“ aufgeben und uns Gesellschaft leisten – nur das, das wollten wir nicht.

„Geht nur zu eurem Kurs für Fortgeschrittene! Dieses Gehen bekommt euch gut. Ich glaube, eure Körper straffen sich schon.“

Mein lieber Bruder Bob gab dies von sich – ironisch gemeint wohlgemerkt. Doch unsere auf Jugend und Schönheit motivierten Frauen schauten an ihren mehr oder weniger üppigen Rundungen hinunter und Antonia bemerkte: „Ja, Bob, sieht man schon was?“

Und alle Männer sahen jetzt grienend ihre Frauen an und die wollten nur das eine hören: „Man sieht schon etwas!“

Wenn man Menschen mit einem solchen Satz glücklich machen kann, dann sollte man diesen Satz auch sagen. Wir machten unsere Frauen glücklich und so ganz nebenbei uns auch, waren wir jetzt doch mindestens 14 Tage ohne Frauen. Welch ein Gefühl!

So fuhren wir unbeweibt, natürlich mit allen Sportsachen bestens ausgestattet - dank unserer Frauen und dieses Sportartikel-Verkäufers. Wir ließen es am ersten Tag gemächlich angehen und genossen die Ruhe. Es gab kein dauerndes „Klack-klack-klack“. Einige wenige jüngere Frauen frönten mit wahrer Leidenschaft dem Muskeltraining. Männer im mittleren Alter bemühten sich mithilfe verschiedenster Geräte, ihre leichten Wölbungen an der Vorderseite des Körpers zu straffen. Und da war noch ein Mann, der wohl am Ende seines beruflichen Lebens stand. Als er uns sitzen sah und uns beobachtete, wie wir diesen Sportbetrieb musterten, kam er nach 10 Minuten zu uns und stellte sich als Alfons vor. Er war sehr mitteilungsbedürftig und weihte uns in die Geflogenheiten dieses Studios ein. So ganz nebenbei erfuhren wir, dass er seit Kurzem wieder sehr glücklich verheiratet sei. Er fasste in seine Jackentasche und präsentierte uns das Bild seiner Frau.

„Ein scharfer Feger“, kommentierte Bob das Bildnis der jungen Frau. Lächelnd meinte Alfons: „Ach wo, doch nicht meine Verena. Sie ist zugegeben noch recht jung, feierte erst vergangenen Monat ihren 30. Geburtstag, aber ein scharfer Feger ist sie nicht. In vielen Dingen erinnert sie mich an meine verstorbene Frau. Ich bin ja so glücklich, dass ich dieses wunderbare Mädchen gewinnen konnte. Es war Liebe auf den ersten Blick.“

„Aber ist der Altersunterschied nicht etwas zu groß, mein Herr?“, fragte der Oberlehrer hinterdeutig.

„Das habe ich ja auch zuerst gedacht, aber meine Verena meinte, dass es ideal wäre mit uns – eine junge Frau und ein älterer Mann. Stellen Sie sich vor, meine Herren, sie bekniet mich, dass sie noch ein Kind von mir möchte! Sie meint, zu einer glücklichen Familie gehören auch Kinder. Und da erinnert sie mich wieder so sehr an meine verstorbene erste Frau. Drei Jahre ist sie nun schon tot – Krebs. Kein Arzt konnte ihr mehr helfen. Meine drei Kinder sind alle schon verheiratet und nun habe ich meine Verena und bin nicht mehr allein.“

Dieser Alfons schien nur darauf gewartet zu haben, irgendeinem Menschen von seinem Glück zu erzählen. Und nun hatte er gleich sechs Zuhörer, denen er mit leuchtenden Augen berichten konnte.

So erfuhren wir, dass diese Verena ihn zu diesem Fitness-Kurs für Ältere angemeldet hat. Auch sei sie um sein Wohlbefinden auf allen Gebieten besorgt.

„‚Für jede Schwäche gibt es ein Mittelchen‘, pflegt meine Verena zu sagen. Und recht hat sie. Ich fühle mich nicht mehr wie 64, ich fühle mich so fit, dass ich ernsthaft darüber nachdenke, ob nicht solch kleines Würgel unsere Liebe krönen sollte. Oder bin ich doch schon zu alt dafür?“

Dieser Alfons Wagner, Inhaber einer kleinen aber gut gehenden Fabrik, schaute uns an. Natürlich mussten wir meinen, dass er nicht zu alt dafür wäre. Nur der Jurist gab zu bedenken, dass seine erwachsenen Kinder doch auch Anspruch auf den Vater hätten.

Wie ich unseren Juristen kenne, meinte er garantiert damit die rechtlichen Seiten der Ehe und die Erbschaft. Der Alfons wusste auch sofort, was der Jurist mit dieser Bemerkung meinte, erklärte er doch: „Auch da hat meine Verena vorgesorgt. Sie bestand darauf, dass meine Kinder ihre Vermögensanteile alle vor der Ehe ausgezahlt bekamen. Dazu gehörte auch, dass mein Ältester die Fabrik nun alleine führt. Sie verlangte dies, damit ihr keiner vorwerfen solle, sie wäre eine Erbschleicherin. Sie geht weiterhin ihrer Arbeit nach – sie ist in der Modebranche tätig. Nur eine Lebensversicherung über eine halbe Million bat sie mich, abzuschließen. Damit, wenn mir doch etwas passiert, sie nicht ganz mittellos dastände. Und ich - ich schlucke meine Pillen, damit ich immer fit bleibe, und genieße meinen Ruhestand. Kann man mehr vom Leben verlangen?!“

Wir nickten zwar zustimmend mit dem Kopf, doch wir alle hatten, wie wir im Nachhinein feststellten, ein ungutes Gefühl. Zu sehr dachte diese hübsche Verena an alles, zu sehr war der Alfons von seiner jungen Frau eingenommen. Man konnte auch sagen: Er war blind vom späten Liebesglück.

Aber wiederum muss dieser Alfons auch seine Zweifel haben, denn obwohl er nur Gutes über Verena erzählte, es gab da noch einen Unterton, der in der Erzählung des Öfteren zu hören war - für den, der zuhören konnte. Und wir Alten haben dies in den vielen Jahren gelernt.

Ich weiß nicht mehr, wer es von den Skatbrüdern aussprach, aber alle, einschließlich meiner Person, stimmten dem zu. Wurde doch gesagt: „Ich glaube, wir sind bisher sehr gut mit unseren besseren Hälften gefahren! Ne Jungsche leg ich mir nicht zu!“

Kaum dass dieser Gedanke ausgesprochen war, stellten wir auch fest, dass wir unsere besseren Hälften sehr vermissen. Es war einfach langweilig, nur mit Männern zu klönen. Es fehlten die Sticheleien, die Seitenhiebe, es fehlten uns unsere Frauen.

Schon waren wir bereit, uns noch nachträglich zum „Klack-klack-Kurs“ anzumelden, als der Chemiker zu bedenken gab, dass wir uns damit „auf immer und ewig“ den Frauen unterwerfen werden. Ich dachte zwar: „Ja, sind wir das denn nicht schon?“, doch laut sagte ich: „Nie und nimmer! Sollen sie ihren Stöckelauf-Kurs nur alleine durchführen!“

Und dieser Ansicht schlossen sich die anderen an.

So lobten wir am Abend vor unseren Frauen unser Fitness-Programm und standen am Morgen pünktlich um 10 an den Geräten. Unser Übungsleiter verlangte Schweiß und wir lieferten ihn diesen. Wir nahmen diese Übungen so ernst, wie man sie nur nehmen konnte. Wollten wir doch nicht nur einige Pfunde verlieren, sondern auch die persönliche Fitness stärken. Auch wollten wir vor unseren Frauen mit unserer neu gewonnenen Leistungsfähigkeit protzen. Leuchtendes Vorbild war unser Chemiker, der sich mit Pulsmesser und anderen diversen Hilfsmittel bemühte, genau nach ärztlicher Vorgabe seine alte Kondition wieder zu erlangen. Und immer war Alfons dabei. Er fühlte sich sauwohl bei uns und mit uns. Er bedauerte sehr oft, für uns zu oft, dass seine erste Frau solch einen Zusammenhalt, wie er ihn mit unserem Skatverein erlebte, selbst nicht mehr erfahren durfte. Als der Jurist nett sein wollte und ihn zum nächsten Skatabend mit seiner Verena einlud, da wehrt Alfons erschrocken ab. „Danke für die Einladung, aber das ist wohl nichts für meine Verena. Sie zieht eine tolle Party unter jungen Leuten vor.“

Und als dies Alfons aussprach, schaute er betrübt drein. Das wiederum veranlasste den Techniker zu der geflüsterten Bemerkung: „Armes Schwein. Macht sich zum Fatzke für dieses blonde Party-Girl.“

Eine Woche schwitzten wir nun schon gemeinsam. Unser Übungsleiter besaß die Frechheit, ständig mehr von uns zu verlangen. „Auch alte Muskeln wollen bewegt werden“, bemerkte er giftig, wenn einer von uns meinte, dass es reichen würde – mit dieser Anstrengung. Wir ließen den Übungsleiter Übungsleiter sein und „hörten“ auf unsere Körper. Und wenn wir der Meinung waren „Das reicht!“, dann verweigerten wir uns den neuen höheren Anforderungen. Nur der Alfons steigerte und steigerte sich. Wenn er hochrot zur Wasserflasche griff, hörten wir den Übungsleiter: „Weiter Alfons, nicht nachlassen! Ich hab Ihrer Frau versprochen, dass Sie fit wie ein junger Gott sein werden! Sie wollen doch Ihre Frau nicht enttäuschen?!“

Und Alfons stellte seine Wasserflasche zur Seite, griff in die Tasche, suchte seine Pillen, steckte sich zwei in den Mund und stellte dann erneut das Laufband an. „So ist es recht, Alfons. Ich werde Ihrer Verena berichten, dass Sie mit eisernem Willen das ganze Programm absolvieren.“

Über Alfons Gesicht huschte ein Lächeln und er rannte keuchend weiter. Diese Szene konnten wir mehrfach beobachten. Dann geschah das Unvermeidliche: Alfons Gesicht verzerrte sich zur Grimasse, er griff sich an die Brust und stürzte zu Boden. Der Übungsleiter wurde kreidebleich und kniete neben dem Alfons, wir standen um die beiden und erwarteten das Wort „tot“. Er sagte es nicht, aber wir wussten, der Alfons war für seine Liebe gestorben.

Notarzt-Wagen und Leichenwagen kamen und fuhren wieder. Wir beendeten unseren Kurs und sahen unseren Übungsleiter nur noch einmal wieder: zur Beerdigung. Wir wollten Abschied nehmen, denn das glaubten wir, dem Alfons schuldig zu sein.

Es ist anzumerken, dass Beerdigungen ab einem bestimmten Alter nicht mehr zu den Lieblingsbeschäftigungen der alten Leute gehören. Zu sehr verfällt man aufs Sinnieren, wie lange man selbst noch senkrecht vor dem Grab stehen könne oder ob der Augenblick schon nahe wäre, dass man waagerecht in die Grube hinuntergelassen wird. Ich weiß, es sind böse Gedanken, aber die hat auch jede Alte und jeder Alte. Meine Schwiegereltern z. B. weigerten sich, als sie die 60 erreicht hatten, konsequent, an einer Beerdigung teilzunehmen. „Da kommt nur noch die eigene infrage!“, pflegte dann mein Schwiegervater zu sagen.

Entschuldigen Sie die Abschweifung, liebe Leser, aber bei Beerdigungen kommen nun mal solche blöden Gedanken.

So nahmen wir Abschied von unserem Alfons und lernten zugleich die blonde Verena kennen. Hochmodisch in Schwarz, mit besticktem Taschentuch sich die reichlichen Tränen wischend, erlebten wir diese Witwe. Auffallend war, dass zwischen den Kindern des Toten und seiner Witwe wohl ein sehr gespanntes Verhältnis bestehen musste. So wie uns Alfons das geschildert hatte, war es auf keinen Fall. Jeder ging nach der Beerdigung seiner Wege. Auffallend war, dass die Witwe nur vom Übungsleiter aus dem Fitness-Center begleitet wurde. Wir hängte uns an die Fersen der beiden und schnappten einige Sätze des Dialogs auf. Aber es war ein sehr einseitiger Dialog. Der Übungsleiter versuchte wieder und wieder der Frau zu erklären, dass es nicht seine Schuld war, dass ihr Mann verstorben sei. Die blonde Witwe antwortete dann: „Ich weiß es doch!“ Und als der Übungsleiter immer wieder damit anfing, drehte sie sich zu ihm um und fauchte ihn an: „Nun verschwinden Sie endlich! Ich weiß doch, dass der Alfons ein alter seniler Trottel war!“

Dem Übungsleiter blieb vor Schreck der Mund offen stehen. Er schluckte, wurde rot, dann kreidebleich und ging, ohne sich zu verabschieden.

„Armer Alfons“, sagte der Oberlehrer, „das war nun deine gepriesene große Liebe.“

An diesem Abend waren wir besonders nett zu unseren Frauen. Die schauten nur verwundert, sagten aber nichts. Dafür redeten wir am nächsten Skatabend umso mehr. Das machte wiederum unsere Frauen neugierig, warum aus unserer Ecke nicht die gewohnten Skat-Geräusche kamen. Und als sie mitbekamen, worum es ging, setzten sie sich zu uns.

Antonia brachte unser Gespräch mit diesem Satz auf den Punkt: „Ihr seid überzeugt, dass dieser Alfons ermordet wurde?!“

Ja, das waren wir. Dieses blonde Gift, diese Verena hatte unseren liebenswerten Alfons auf dem Gewissen. Und das wollten wir nachweisen und beweisen.

„Ich würde sagen, diese Verena war nur scharf auf die Versicherungssumme“, bemerkte meine Karla. „Wie hoch war die?“

„Für eine ½ Million kann man schon einen Menschen zu Grabe tragen“, meinte der Oberlehrer. „Nur, wir können dieser Frau nichts beweisen. Der Alfons hat sich für seine späte Liebe geschunden, hat freiwillig Pillen über Pillen geschluckt. Ist das etwa strafbar?“

Der Oberlehrer blickte zum Juristen, um eine Antwort zu erhalten. Doch der schien mit anderen Gedanken beschäftigt zu sein. Erst als ihn Maxi anstieß und ihm zuflüsterte: „Der Oberlehrer hat dich was gefragt!“, reagierte er.

„Was ist? Was willst du wissen?“

„Ist es verboten, sich freiwillig zu Tode zu trainieren?“

„Selbstmord ist auch nicht verboten – dumme Frage!“

„Dann gib mir mal ‘ne kluge Antwort: Wie können wir diese Verena des Mordes an Alfons bezichtigen?“

„Gar nicht - es sei denn, sie hätte den Alfons mithilfe seiner eigenen Medikamente, die sie ihm ohne Wissen des Toten verabreicht hätte, zu Tode gebracht.“

„Kannst du das noch einmal in unserer Sprache sagen“, verlangte Hilda. „Können wir dieser blonden Verena nun einen Mord nachweisen?“

„Nein, denn Alfons hat sich, wie alle Männer es gesehen haben, mit seinen eigenen Pillen …“

„Das wollten wir nur wissen“, sagte der Oberlehrer. „Jetzt wäre die Frage zu klären, ob diese Pillen unerlaubtes Doping wäre?“

„Das ist kein Doping, Oberlehrer. Die Pillen, die der Alfons einnahm, gehören zu den Aufputschmitteln. Die kannst du in jeder Apotheke kaufen. Ich habe sie früher mal genommen, wenn Termine drückten und ich die Nacht zum Tage machen musste.“

Hilda schaute ihren Franz an. „Du? Davon weiß ich doch gar nichts?“

„Hilda, das war beim Auslandseinsatz. Da warst du doch nicht mit.“

Hilda wollte schon antworten, doch da übernahm der Oberlehrer wieder das Gespräch. „Hat jemand eine Idee? Oder müssen wir dieser Verena bescheinigen, dass sie den perfekten Mord geplant und durchgeführt hat?“

„Wenn sie das nun schon öfters getan hat?“ Leise stellte Antonia diese Frage.

„Du meinst, das ist nicht der erste tote Ehemann?“

„Könnte doch sein! Bei einem perfekten Mord wird man doch leichtsinnig und probiert es noch mal.“

„Kriegen wir nie raus!“ Der Jurist schüttelte den Kopf. „Wenn die Frau nie angeklagt wurde, dann gibt es auch keine Akten. Es war dann immer ein natürlicher Todesfall.“

„Aber nicht für die Versicherungen!“ Meine Karla jubilierte. „Die kann uns dabei weiterhelfen!“

Karla war richtig zittrig vor Aufregung. „Eine halbe Million ist auch für eine Versicherung kein Pappenstiel. Was ist, wenn diese Frau schon mehrfach große Summen auf die gleiche Art und Weise kassiert hat? Und immer mussten die Versicherungen zahlen, weil es ein natürlicher Tod war! Das kriege ich raus!“

(Falls Sie es vergessen haben, liebe Leser, meine Karla arbeitete einst in der Versicherungsbranche.)

Aber so einfach, wie meine Frau meinte, „das“ herauszukriegen, so einfach war es denn doch nicht. Sie nahm mich zu ihrer Verstärkung mit und wollte mit ihrem ehemaligen Chef sprechen. Doch der war jetzt Leiter einer großen Filiale und ein junger Kerl nahm seinen Platz ein. Aber den kannte Karla nicht, wie der neue Chef die ehemalige Mitarbeiterin nicht kennen konnte. Mehr als eine halbe Stunde dauerte es, ehe der junge Mann verstand, dass mit einer einfachen Anfrage, die Versicherungen vor Verlusten bewahrt bleiben könnten.

Immer wieder scheiterte Karlas Vorstoß an der Frage des jungen Chefs: „War dieser Tote bei uns mit einer halben Million versichert?“

Und da wir darauf weder mit einem „Ja“ noch mit einem „Nein“ antworten konnten, schien sein Interesse sehr gering zu sein.

Meine Karla wollte schon genervt das Büro verlassen, als ich einen Vorstoß wagte. „Sehen Sie mein Herr, dieses ist ein Versicherungsfall, der zwar auch ein Mordfall sein kann, der aber auf alle Fälle jede Versicherung vor neuem Schaden bewahren wird. Also auch die ihrige. Sie könnten sich in Ihrer Branche einen Namen machen, wenn Sie veranlassen würden, zu überprüfen, ob diese Frau schon öfters hohe Lebensversicherungen ausgezahlt bekam. Sind unsere Vermutungen falsch, so wird man Ihre Vorsicht zu loben wissen. Haben wir aber recht, so können Sie in Zukunft damit rechnen, dass Sie in Ihrer Branche als der Mann mit dem richtigen ‚Riecher‘ gelten werden. Jede Versicherung wägt doch ein Risiko ab. Und ich kenne keine Versicherung, die selbst gerechtfertigte Schäden gerne begleicht. Bei Betrug aber ist sie zu keiner Auszahlung verpflichtet. Oder irre ich mich da?“

Der junge Mann in dem dunklen Anzug und der hochmodischen, aber grundhässlichen Krawatte überlegte recht lange. Dann seufzte er leicht und meinte: „Ich gebe Ihnen ja recht. Ihre Argumente sind schon überzeugend. Nur sitze ich erst seit 14 Tagen auf diesem Stuhl und möchte mir logischerweise keinen Misserfolg und die Schadenfreude meiner Kollegen oder Vorgesetzten einhandeln.“

Sein Hilfe suchender Blick traf meine Karla. Die schaltete blitzschnell und meinte so nebenbei: „Eine gute Freundin von mir arbeitet noch hier. Wenn sie den Auftrag zur Recherche übernehmen würde, dann könnte Ihr Name bei einem Misserfolg draußen bleiben. Ginge das?“

Ein aufatmendes Lächeln des jungen Mannes, er war zufrieden mit der Lösung: „Ja, das wäre eine Möglichkeit. Wer ist es denn?“

Meine Karla erhob sich. „Ich hol die Griseldis!“

Zufrieden verließ ich 10 Minuten später das Bürohaus. Meine Karla kam mit Griseldis gleich nach mir zur Tür hinaus, um ganz schnell auf der Straße gegenüber im Café zu verschwinden.   

Auf Griseldis war Verlass! Acht Tage später lud Karla alle Frauen zum großen Torten-Essen ins Café ein. Es war ein sehr großes Stück Torte, was da verspeist wurde, denn die Männer warteten und warteten. Endlich hielten zwei Taxis vor dem Haus und sechs leicht beschwipste ältere Damen beichteten den beiden Taxifahrern: „Unsere Männer bezahlen! Wir sind pleite!“

Erleichtert kehrten die Fahrer mit ihrem Geld unserer holden Weiblichkeit den Rücken. Die verlangten jetzt nach unserer Aufmerksamkeit. Zuerst mussten sie aber herausfinden, wer uns über das Ergebnis der Recherche dieser Griseldis berichten sollte. Nachdem dies endlich geklärt war, brauchten sie alle ein Wasser, um diesen unbändigen Durst in ihren trockenen Kehlen zu löschen. Dann endlich berichtete Karla, wenn man denn dies einen Bericht nennen konnte.

„Sieg auf der ganzen Linie!“, tönte sie. „Diese Verena hat es dick hinter den Ohren. Dreimal schon war sie verheiratet. Drei Männer im besten Rentneralter sind tot. Dreimal hat sie Geld von der Versicherung erhalten: 100.000 €, dann 250.000 und 200.000 €. Jetzt wird sie noch einmal 500.000 € erhalten! Diese Frau hat sage und schreibe 1Million und 100.000 € durch den Tod von vier Männern kassiert. Das waren goldene Ehen! Eine Million und 200.000 € für vier Ehen …“

„Eine Million und 50.000 €, Karla!“

„Was, so viel?!“

Meiner Karla hat der Eierlikör das Rechnenkönnen geraubt. Wir Männer lächelten uns an und ein jeder nahm seine bessere Hälfte in den Arm und brachte sie zum Auto. Morgen war garantiert der Alkohol verflogen und wir erfuhren die Einzelheiten. Eins war aber sicher: Diese Verena betrieb das Todesspiel mit großem Erfolg!

Wie aber konnten wir sie für diese Morde, in unseren Augen war und blieb sie eine Mörderin, bestrafen?!

Am nächsten Tag erfuhren wir die Einzelheiten. Diese Verena heiratete immer einen wohlsituierten älteren Herrn und mit dem Ehevertrag wurde eine hohe Lebensversicherung zu ihren Gunsten abgeschlossen. Nie gab es irgendwelche Hinweise auf einen gewaltsamen Tod des Ehemannes. Auch behielt diese Verena den Namen ihres jeweils verstorbenen Mannes, verzichtete stets auf das Erbteil und kassierte nur die Lebensversicherung. Sie heiratete in kürzester Zeit - in einer anderen Stadt - den nächsten Todeskandidaten.

„Perfekt geplant – perfekt umgesetzt! Die Frau tat nichts Ungesetzliches!“, verkündete der Jurist.

Wir protestierten, redeten auf den Juristen ein, doch der erklärte lapidar: „Die Frau kann kein Richter belangen! Sie steht nun mal auf reiche alte Männer!“

Da schreiben alle Krimi-Autoren, dass es keinen perfekten Mord gäbe. Diese Verena hat viermal gemordet und keiner kann sie dafür anklagen?!

Zwar können wir sie nicht für Vergangenes ins Gefängnis bringen, aber keine Versicherung wird mehr bereit sein, eine Verena Wagner als Begünstigte in einer Lebensversicherung zu akzeptieren. So hatten wir wenigstens den Tod unseres Freundes Alfons ein bissel gerächt.

Wird nun die blonde Verena eine treu sorgende Ehefrau oder findet sie einen neuen Dreh? Wir jedenfalls werden sie nie wieder sehen.

Oder doch? Unsere Frauen hatten nämlich eine tolle Idee …!

 

10. Episode "Der perfekte Hochzeiter" - HIER!