Fantastische Reisen in die Zukunft: 3. "Vom Kleiderwechsel und vom Nichts"

3. Vom Kleiderwechsel und vom Nichts

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(von Joachim Größer)

 

Als Anton zu Hause ankam, lief ihm schon Martin entgegen.

„Warst du wieder …? Hat alles geklappt? Gehst du wieder in die Zukunft?“

„Ja, ich habe Kori kennengelernt, Kalidas kleinen Bruder. Er will dich als Gast empfangen!“

„Wann, Anton? Wann?“

„Am nächsten Sonnabend!“

„So lange muss ich noch warten“, schimpfte Martin leise. „Alles nur wegen der blöden Hausaufgaben.“

Und diese blöden Hausaufgaben erledigte Martin jetzt immer sofort, wenn er aus der Schule kam. Kein Freund konnte am Fenster pfeifen, um ihn nach draußen zum Spielen zu locken – Martin schrie höchstens runter: „In einer Stunde! Dann habe ich die Hausi fertig!“

Auch die Eltern wunderten sich über ihre beiden Söhne: Es gab kein Maulen, kein Stänkern, keine Rangeleien.

„Was ist mit unseren Jungs los?“, fragte sich die Mutter und auch der Vater schüttelte verwundert den Kopf.

Oft hockten die Brüder zusammen und dann musste Anton von seinem Besuch erzählen. Und selbst das, was Martin schon dreimal gehört hatte, war es wert, ein viertes Mal aus Antons Mund zu hören.

Und damit am nächsten Sonnabend nichts dazwischen kam, baten sie sich bei den Eltern den nächsten Sonnabendvormittag für eine gemeinsame Radtour aus.

„Um 12 müsst ihr aber zurück sein. Um 1 wollen wir ins Zentrum.“ Ihre Mutter war mit der Tour einverstanden.

Und endlich kam der Sonnabend. Beide Jungs hatten schlecht geschlafen. Ihr alter Bekannter, der Priester Inoui, besuchte sie wieder im Traum. Es war kein Albtraum, eher machte der alte weißhaarige und weißbärtige Mann den beiden Jungs Mut, die Zukunft zu erkunden. Und besonders blieb in der Erinnerung der Jungs haften, dass Inoui sagte: „Euch kann nichts geschehen! Kommt nur! Der Allwissende beschützt euch!“

Anton konnte sogar in seinem Traum mit dem Priester Inoui ein Gespräch führen. So erzählte er dem alten Mann, dass das Mädchen Kalida aus dem Jahre 3010 in Antons Gegenwart, also ins Jahr 2010 „reisen“ möchte. Auf Antons Frage, ob dies für Kalida möglich wäre, erwiderte der weise Mann: „Für jeden stehen die Tore in die Zukunft und in die Vergangenheit offen. Du musst nur die Zeichen kennen!“ Und noch etwas erfuhr Anton in diesem Traum, dass nämlich eine Reise in das Jahr 4010 oder gar 5010 möglich sei. „Du musst den Tag denken und die magischen Zeichen ausführen – du kannst auch weit in die Vergangenheit gehen. Dann kannst du sehen, wie die Menschen vor 5000 Jahren lebten oder auch vor 1000 Jahren. Alles ist möglich – benutzt du die magischen Zeichen!“

Als Anton mit Martin über sein Traumgespräch mit dem Priester sprach, meinte Martin: „Du, dann könnten wir ja auch einen Tag zweimal erleben. Stell dir vor, ich verhaue eine Mathe-Arbeit. Ich gucke zu Hause nach, was ich nicht wusste. Dann fahre ich hinterher zum Stein und denke: ‚Acht Stunden zurück!‘ Jetzt ist es morgens um acht und ich sitze bei meiner Mathe-Arbeit und schreibe eine Eins mit Sternchen!“

„Und wie soll das dann weiter gehen? Willst du dann immer acht Stunden hinter der Zeit hinterher sein? Gehst du dann wieder in die richtige Zeit, präsentiert dir deine Lehrerin dann trotzdem deine verhauene Arbeit. Nee, Martin, so wird das nichts mit dieser Zeitrechnung.“

„Schade! Aber ich freue mich ungeheuer auf die neue Reise in die Zukunft. Anton, erzähl doch noch mal von diesen riesigen Transportschiffen und auch von …“

Und wieder erzählte Anton und Martin lauschte, als höre er dies zum ersten Male.

Pünktlich 5 Minuten vor 10 Uhr zogen die Brüder die magischen Zeichen auf dem Stein nach. Und wie bei Antons letzter Reise in die Zukunft, so erwartete ihn auch jetzt Kalida. Und noch einer wartete auf die beiden Jungs aus dem Jahre 2010: Kori. Nur dass er im Gegensatz zu Kalida hinter dem Eichenstamm stand und neugierig zum Stein schaute. Als urplötzlich Anton und Martin neben dem Stein standen und von Kalida freudig begrüßt wurden, da trat er auch zum Stein.

„Hallo Kori!“, begrüßte ihn Anton. „Heute konnte ich Martin mitbringen. Er freut sich schon drauf, dein Gast zu sein.“

Martin ging auf Kori zu, um ihm die Hand zur Begrüßung zu geben. Doch Kori reagierte nicht darauf. Erst als Kalida ihm erklärte, dass vor 1000 Jahren die Menschen sich so begrüßten, nahm Kori verwundert Martins Hand.

„Du bist ja noch kleiner als dein Bruder!“, bemerkte er verwundert. „Ich bin erst 8 Jahre und schon größer als du! Wächst du nicht mehr oder bist du erst 5 Jahre alt?“

„Kori, ich hab dir zu Hause erklärt, dass die Menschen früher kleiner waren. Und vor 2000 Jahren wären Anton und Martin schon Riesen gewesen, denn damals waren die Menschen noch kleiner. Merk dir das endlich!“

„Ist aber trotzdem komisch. Na, macht aber nichts. Martin, du bist mein Gast und für dich habe ich meine eigene Kugel mitgebracht. Komm, ich zeige dir Dinge, die du noch nie gesehen hast!“ Und Kori ging den Hügel hinunter und winkte dem Martin zu, ihm zu folgen.

Schon wollte Martin losrennen, als Anton „Halt!“ brüllte.

Kalida und Kori waren über dieses laute „Halt!“ sehr erschrocken und schauten verwundert und verlegen zu Anton.

„Martin, das geht nicht! Willst du allein in die Gegenwart zurückkehren? Ich dachte, wir beide bleiben zusammen!“

Kalida lächelte erleichtert, als sie Antons Einwand hörte. „Lass sie nur gehen, Anton. Kori musste die Kugel so programmieren, dass er in genau 8 Stunden wieder hier am Hügel sein muss. Dieses Programm kann Kori nicht löschen. Sei also unbesorgt, Martin wird pünktlich sein.

So lief Martin dem Kori hinterher, zog Koris Reserveanzug an und saß auch schon neben Kalidas Bruder in der Kugel. Ein leises Summen und von den beiden und ihrer Kugel war nichts mehr zu sehen.

„Was möchtest du heute sehen, Anton?“, fragte Kalida.

„Ich weiß es nicht. Bei euch ist doch alles für mich neu und hochinteressant.“

„Gut, dann werden wir dich erst mal neu einkleiden lassen. So fallen wir nicht mehr auf, wenn wir in der Gemeinschaft sind. Du wirst staunen, wie schnell das Einkleiden bei uns geht. Nach dem Einkleiden zeige ich dir den Weltraumbahnhof.“

Die Kugel summte leise und Anton und Kalida schwebten mit der Kugel davon. Schon bald verließ Kalida das schmale Band und wechselte auf ein breiteres. Die Kugel flog jetzt schneller, d. h., sie reihte sich in eine Reihe anderer Kugeln ein. Und wieder dachte Anton: „Das sieht aus, wie eine Perlenkette.“

Sofort wurde er gefragt, was eine Perlenkette sei.

„Ach Kalida, eine Kette aus Perlen – wie soll ich dir es erklären, sie besteht aus runden Ablagerungen, die man in Muscheln findet. Die Frauen tragen diese Ketten, um sich zu schmücken. Das ist nichts Besonderes.“

„Aber interessant! Warum schmücken sich die Frauen?“

„Sie wollen schön sein!“ Mehr fiel Anton dazu nicht ein. Kalida merkte, dass ihre Frage ihren Freund überforderte und meinte: „Ist ja auch nicht wichtig.“

„Wenn du uns in unserer Gegenwart besuchst, dann schenke ich dir eine Kette. Meine Mutter hat noch eine im Kästchen liegen. Die trägt sie sowieso nicht.“

Die Fahrt - oder muss man sagen der Flug - führte durch eine Landschaft, die von Hügeln und weiten offenen Tälern geprägt war. Große zusammenhängende Wälder wechselten mit riesigen Feldern. Während Anton beim Vorbeifliegen noch viele bekannte Baumarten ausmachte, bei den Feldfrüchten war er restlos überfordert. Er sah Pflanzen, die er so in seiner Gegenwart noch nie gesehen hatte.

Kalida erklärte ihm den Anbau so: „Unsere Speisen werden von Hochgelehrten zusammengestellt. Der Anbau, die Ernte, eigentlich alles - auch die Zubereitung - übernehmen die Robotermaschinen. Wir haben die Auswahl, das Essen flüssig, aus Tuben oder in fester Form zu uns zu nehmen. Das ist abhängig von den Tätigkeiten der Menschen. Wenn wir beide jetzt zum Mars fliegen würden, müssten wir Tubennahrung essen. Unsere Mägen verdauen alles und es entsteht kein Abfall.“

„So etwas gibt es auch schon in meiner Gegenwart“, erwiderte Anton.

Kalida nickte bestätigend. „Ja, ich habe es gesehen.“

Verwundert schaute Anton Kalida an, dann erinnerte er sich an seinen letzten Besuch, als Kori davon sprach, dass Kalida sich die halbe Nacht mit der Vergangenheit beschäftigt hatte.

Vor ihnen tauchte eine große Siedlung auf. Eine Megastadt schien dies nicht zu sein, denn die Wolkenkratzer fehlten. Dafür sah Anton riesige Hallen, mindestens 20 Stockwerke hoch und wohl einhundert Meter lang und breit. Als die Kugel sich langsam einer solchen Halle näherte, sah Anton Robotermaschinen, die von keinem Menschen bedient wurden. Sie schwebten auf unsichtbaren „Straßen“ entlang, ruckartig wechselten sie die Richtung oder die Höhe und verschwanden in große oder kleinere Öffnungen am Gebäude. Einer sehr kleinen Öffnung näherte sich jetzt auch Kalidas Kugel. Das Andocken ging völlig geräuschlos, ohne jeden Ruck, vor sich. Die Kugel öffnete sich und ein Mann begrüßte die beiden Kinder mit einem freundlichen Lächeln.

„Bitte folgt mir“, sagte er und Anton erfuhr von Kalida, dass dies ein Roboter sei, der die Aufgabe habe, sie beide neu einzukleiden.

Dazu mussten die beiden Kinder ihren Schutzanzug ablegen, nur die Helme wollten sie aufbehalten, damit sie sich verständigen konnten. Der Roboter schaute recht verwundert, akzeptierte aber das komische Gebaren der Menschen. Dann legte Kalida ihre Kleidung ab und stand nun splitternackt neben Anton. Der bekam einen roten Kopf und zupfte und zerrte an den Knöpfen, sodass der Roboter schon freundlich sich erbot, beim Entkleiden behilflich zu sein. Auch Kalida schaute verwundert über das seltsame Gehabe ihres Freundes aus dem 3. Jahrtausend. Dann endlich gab Anton sich einen inneren Ruck und stand nackt neben Kalida. Der Roboter wollte die Kleidungsstücke einsammeln. Während Kalida sich überhaupt nicht mehr für ihre abgelegte Kleidung interessierte, hielt Anton seine Kleidung mit beiden Händen fest. Da konnte der Roboter ziehen und immer wieder sagen: „Bitte überlass mir die alte Kleidung. Sie wird recycelt!“, Anton hielt die Sachen fest.

Als der Roboter immer noch zog und zog, machte es „Ratsch!“ und sein Hemd hatte einen mächtigen Riss. „Kalida, hilf mir. Ich muss doch in den alten Sachen zurück in meine Gegenwart. Ich brauche sie doch. Mach das mal der Robotermaschine klar!“

Jetzt hatte Kalida verstanden, warum Anton seine Sachen nicht hergeben wollte. Sie zeigte dem Roboter die flache Hand und der ließ sofort alle Sachen fallen, auch Kalidas. Dafür senkte sich eine matt schimmernde große Wand herab und verschiedene Kleidungsstücke wurden gezeigt. Kalida zeigte mit dem Finger auf ein weites Gewand, das mit Hosen getragen wurde. Zur Farbe dieses Kleidungsstückes passend, wählte sie Schuhe aus. Kaum bestätigte sie ihre Bestellung, als auch schon der Roboter mit diesen Kleidungsstücken zu ihr eilte.

„Jetzt du“, hörte er Kalida sagen und Anton wählte eine Hose und ein weites Hemd. Bei den Schuhen entschied er sich für halbhohe Stiefel – jedenfalls nahm er an, dass dies solche seien. Mit seinen alten Sachen unterm Arm ging er hinter Kalida zurück zur Kugel. Kalida hatte ihre Sachen auf dem Boden liegen gelassen, die der Roboter jetzt aufnahm und davontrug.

In der Kugel fragte Anton: „Ist das immer so aufwendig, wenn ihr euch neu einkleidet?“

„Nein, nein“, antworte Kalida, „sonst machen wir das zu Hause und eine Stunde später kommt die Lieferung ins Haus. Nur ich kann dich heute nicht mit zu unserer Wohnung nehmen. Meine Eltern sind zu Hause und sie wissen doch nichts von dir. Wie soll ich ihnen erklären, dass ich einen Freund aus dem Jahre 2010 habe!“

So hatte also auch Kalida ein Geheimnis vor ihren Eltern.

Während die beiden jetzt mit der Kugel zum Weltraumbahnhof flogen, hatte Kori Martin beschwatzt, etwas völlig Neues zu erforschen: die Zukunft. Kaum saß nämlich Martin neben Kori in der Kugel, fragte Kori seinen Gast: „Was möchtest du machen?“

Und da Martin keinen Vorschlag parat hatte, meinte Kori, dass es doch sehr interessant sei, ins Jahr 4010 zu gehen. Zwar zögerte Martin, dann dachte er an den Traum und an den Priester Inoui, der zu ihm gesprochen und immer wieder betont hatte, dass ihm nichts geschehen könne.

„Ich mach mit, Kori!“

Das Bündnis der beiden Jungs war besiegelt. Sofort programmierte Kori die Kugel neu und sofort wechselte die Kugel die Richtung und flog in Höchstgeschwindigkeit zum Hügel mit dem magischen Stein. Am Rand des Hügels parkte Kori die Kugel und die beiden Jungs schlichen zum Stein. Beide schauten sich ständig um. Man könnte meinen, ihr schlechtes Gewissen ließ sie so vorsichtig sein.

Am Stein erklärte Martin dem Kori, wie er die Zeichen nachziehen muss. Dann wollte er dem 8-jährigen Jungen aus dem Jahre 3010 noch erklären, wie man wieder zurückkommt, doch da meinte Kori nur aufgeregt: „Ja, ja! Mach schon, nicht dass die Kalida mich wieder beaufsichtigen will! Die kommt nämlich immer dann, wenn sie nicht kommen soll!“

Und so zogen Martin und dann Kori die magischen Zeichen nach. Für Martin war diese „Reise“ so, wie die Reisen aus dem Jahre 2010 ins Jahr 3010. Er stand auf dem Hügel, neben ihm der Kori. Dann suchte er die Eiche und er fand sie, nur dass es diesmal eine recht junge Eiche war.

„Es hat geklappt, Kori!“, rief Martin freudig aus.

Und Kori? Der schaute sich misstrauisch um und meinte dann: „Es sieht doch genauso aus, wie vorher? Das soll die Zukunft sein?“

„Schau zur Eiche, Kori! Diese Eiche ist jung, eure Eiche war alt und knorrig!“

„Na ja, wollen wir weitergehen?“

So gingen die beiden den Hügel hinunter.

„Meine Kugel ist weg!“ Es war wie ein Angstschrei. Jetzt erst hatte Kori begriffen, dass sie wirklich in eine andere Zeit gereist sind. „Was machen wir jetzt?“

Martin fühlte sich als der Ältere für Kori verantwortlich: „Wir gehen zu Fuß. Eure Anzüge schützen uns vor allen Strahlungen – das ist doch so?“

Als Kori nickte, ergänzte Martin: „Wir sind vorsichtig und halten uns versteckt. Wenns gefährlich wird, rennen wir zum Stein zurück! Klar?“

So klar war das dem Kori nicht. Es schien, dass er wirklich jetzt erst begriffen hatte, worauf er sich da eingelassen hatte.

Da aber Martin loslief, folgte er ihm. Ihre Helme übertrugen ihre Gedanken und so wusste Martin von den Ängsten des Koris.

Waren im Jahre 3010 riesige Felder mir zwei bis drei Meter hohe Pflanzen das Bestimmende, so fehlten diese Felder jetzt alle. Eine Graslandschaft tat sich auf, so weit das Auge reichte. Auch die schwarzen schmalen Bänder, auf denen die Kugeln die Energie der Sonne aufnahmen, fehlten im Jahre 4010. Nur der blaue Himmel und der leichte Wind waren so, wie vor 1000 Jahren.

„Das ist aber langweilig“, murrte Kori. „Ich habe riesige Roboter erwartet oder Raketen, mit denen man sofort ins Universum starten kann. Wiese und blauer Himmel – das ist langweilig!“

„Wahrscheinlich müssten wir weitergehen, Menschen suchen! Wollen wir?“

Kori schaute den Martin an. „Ach, heute nicht. Lass uns zum Stein zurückgehen!“

Und sie gingen zum Stein zurück. Kori hatte es mit einem Male recht eilig, zurück in sein Jahrtausend zu gelangen. Als Martin auf dem Hügel stand und sich noch einmal umblickte, glaubte er, in der Ferne riesige Gebäude oder Maschinen zu erkennen. „Kori, schau mal dort!“, rief er dem Kori zu. Doch kein Kori konnte ihn verstehen, hatte der doch längst die magischen Zeichen nachgezogen.

„Dich möchte ich nicht als kleinen Bruder haben!“, dachte Martin und zog jetzt auch die Zeichen nach. Er erkannte die alte knorrige Eiche, aber er sah keinen Kori. Jetzt fuhr der Schreck in seine Glieder.

„Wo ist Kori? Warum ist er nicht da?“ Das waren die beiden dominierenden Gedanken, die sein Handeln bestimmen sollten. Als Erstes rannte er den Hügel runter und schaute in die Kugel. Doch die war leer. Er hetzte auf den Hügel und versuchte von dort oben, einen lang aufgeschossenen 8-jährigen Jungen auszumachen. Ja, er rief mehrmals laut: „Kori! Kori!“, und er nahm dabei sogar den Helm ab. Von Kori keine Spur.

Martin setzte sich neben den Stein und überlegte, wo Kori sein könnte. Dann hatte er einen Einfall. Kori hatte ihm doch gar nicht zugehört, als er ihm die magischen Zeichen erklären wollte.

„Könnte es nicht sein, dass er, statt die Zeichen rückwärts einzugeben, sie nochmals vorwärts eingegeben hatte? Was ist aber, wenn ich die Zeichen erneut eingeben und ich komme nicht mehr in die Gegenwart oder wenigstens ins Jahr 3010 zurück?!“ Martins Gedanken rasten durch seinen Kopf. Der ganze Körper schrie: „Alarm! Vorsicht!“

Martin legte die Hand auf den Stein und der kühle Stein half ihm, zu entscheiden. Hatte der Priester Inoui nicht immer in den Träumen erklärt, dass ihnen nichts Böses widerfahren kann?! Martin war jetzt fest entschlossen, den Kori in der fernen Zukunft zu suchen und er war bereit, ins Jahr 5010 oder 6010 oder 7010 zu reisen.

Die magischen Zeichen waren schnell nachgezogen. Martin erkannte die dünne Eiche – er war im Jahr 4010. Aber kein Kori hielt sich hier auf!

Nochmals zog Martin mit klopfendem Herzen die Zeichen nach. Das Jahr 5010 war aber auch das Jahr ohne den Kori. Die Eiche war nicht mehr klein und dünn, sondern ein Baum, der vielleicht seit 200 Jahre hier auf dem Hügel wuchs. Blauer Himmel, eine grell leuchtende Sonne, ein leichter Wind, in der Ferne riesige Bauten, die von sehr komischen Fluggebilden umkreist wurden.

Martin schrie wieder und wieder nach dem Kori, doch er erhielt keine Antwort.

Zaghaft und sehr ängstlich zog Martin nochmals die magischen Zeichen nach. „Ins Jahr 6010!“, dachte er.

Im nächsten Augenblick fiel ihm ein zugleich weinender und lachender Kori in die Arme. „Martin! Martin! Endlich bist du bei mir! Wo warst du denn?“

Schon wollte Martin den Kori für sein Verhalten ausschimpfen, als er von der eigenartigen Umgebung davon abgehalten wurde. Der Hügel mit dem Stein stand auf dem gewohnten Fleck, auch eine alte knorrige Eiche machte Martin aus. Über ihnen strahlte blauer Himmel und auch die Sonne erwärmte den Hügel, wie in den anderen Jahrtausenden. Nur was war das unterhalb des Hügels? Eine riesige schwarze Wand, senkrecht vom Boden bis zum Himmel reichend. Oder war es ein schwarzes Loch, in das man verschluckt werden konnte?

„Kori, warst du da unten?“, fragte Martin.

„Nein, nein! Ich habe hier auf dich gewartet, Martin!“

„Komm, wir gehen mal zu dieser schwarzen Wand. Die sieht aber seltsam aus!“

„Geh du alleine. Ich warte hier am Stein auf dich!“ Kori war kein neugieriger Entdecker mehr, Kori war jetzt nur noch ein 8-jähriger Junge mit furchtbar viel Angst im Herzen.

So ging Martin allein zu dieser Wand. Ein scharfer Trennungsstrich teilte das Schwarze von dem Grün des Grases. Martin steckte den Finger in das Schwarze. Es war keine Wand, es war nur schwarz. Nichts hielt den Finger auf, der Finger war nur nicht mehr sichtbar. Martin schob die ganze Hand nach, den halben Arm – er fühlte nichts. Zog er die Hand zurück, sahen seine Hand, seine Finger so aus, wie sie immer aussahen.

Martin rannte los, um einen Stein oder einen Stock zu finden. Zehn Schritte von der Wand entfernt, lag ein großer Stein. Der war aber zu schwer, um ihn alleine zur Wand zu rollen.

„Los, Kori!“, rief Martin. „Hilf mir!“

Erst nach der dritten Aufforderung kam Kori langsam zu Martin. „Was willst du denn machen?“, fragte er verschüchtert.

„Ich will den Stein in die schwarze Wand werfen. Du musst mir beim Rollen helfen!“

„Und warum willst du das machen?“

„Ich will wissen, was die schwarze Wand ist!“

„Ist das wichtig?“

„Nee, aber interessant! Also komm und hilf mir!“

Endlich legte Kori mit Hand an den Stein und gemeinsam unter Ächzen und Stöhnen rollten sie den schweren Stein zur schwarzen Wand.

„Bei drei, geben wir dem Stein einen tüchtigen Schubs. Klar, Kori?“

Kori nickte und Martin zählte: „Eins – zwei – drei!“

Der Stein verschwand in der schwarzen Wand. Martin griff mit dem Arm hinein, um ihn zu fühlen. Doch er ertastete nur Leeres! Hinter der schwarzen Wand oder dem schwarzen Loch oder dem schwarzen Vorhang war nichts, aber wirklich nichts.

Jetzt wollte Martin noch einen Versuch wagen. „Kori, ich stecke meinen Arm in die schwarze Wand und du auch. Dann versuchen wir uns, mit den Fingern zu berühren. Alles klar?“

Und Kori steckte seinen Arm in die schwarze Wand, und Martin konnte weder Koris Finger noch den Arm erfühlen.

„Hä, das ist komisch!“, meinte jetzt auch Kori. „Hinter der schwarzen Wand ist das Nichts!“

„Ja, und wenn wir da hineingehen, gehen wir ins Nichts und sind nicht mehr da! Hast du gehört, Kori? Wir sind dann nicht mehr da!!!“

„Ich geh da schon nicht rein! Ich will jetzt nach Hause!“ Endgültig war dem Kori die Abenteuerlust vergangen. So stiefelten die beiden Jungs zum Hügel hinauf und zum ersten Male hörte Kori dem Martin zu, als der ihm erklärte, wie er die magischen Zeichen nachziehen musste. So kamen sie ins Jahr 5010, dann ins Jahr 4010, und als sie im Jahr 3010 angekommen waren und Kori seine Kugel unterhalb des Hügels sah, da erwachte wieder sein Mut für neue Abenteuer.

„Wo wollen wir jetzt hin, Martin? Kalida wollte Anton den Weltraumbahnhof zeigen. Wollen wir auch dort hin?“

Martin nickte zum Einverständnis und schon surrte die Kugel fast mit Höchstgeschwindigkeit los.

 

Das 4. Kapitel heißt "Der Ausflug ins All! Hier!