Geschichten für Erwachsene: Fantastisches und Skurriles

Die Köpfe (ein Elogium auf das Spiel)

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von Joachim Größer (2009)

 

Franz Schreiner erhob sich. „Ich muss morgen früh raus! Für mich ist heute Schluss!“ Mit dieser Erklärung verließ er die Skatrunde und suchte seine Jacke. Nachdem er die vollgehängten Garderoben mehrmals nach seiner Jacke abgesucht hatte, knurrte er verdrießlich: „Na dann muss ich eben ohne gehen.“

Als er an der Theke vorbeiging, rief er dem Wirt zu: „Meine Jacke ist irgendwo abgeblieben! Ich hole sie morgen!“

Mit einem „Ist gut, Franz!“ verabschiedete der Wirt seinen Stammgast. Franz Schreiner war ein leidenschaftlicher Skatspieler und traf sich mit seinen Skatfreunden immer mittwochs im Ratskeller. So auch heute - nur wies er entgegen seinen sonstigen Spielergebnissen an diesem Mittwoch ein miserables Gewinnkonto auf. Er verlor sogar einen „Grand mit Vieren“. Und solange er Skat spielte, so ein sicheres Blatt hatte er noch nie verloren. So machte Spielen für Franz keine Freude mehr. Also zog er „die Notbremse“ und verließ vorzeitig die Runde.

Draußen an der frischen Luft schüttelte er den Ärger ab und eilte nach Hause. Doch weiter als zehn Schritte kam er nicht. „Na, schlecht gespielt, Franz?“, hörte er rufen. Franz Schreiner drehte sich um. Dass hatte gerade noch gefehlt, dass ihm einer nun auch noch wegen seines schlechten Spieles hänselte. Aber weit und breit war keine Menschenseele zu sehen. So winkte Franz verärgert und wollte weiter gehen.

„Hademar, so sieht ein schlechter Spieler aus!“, spottete die Stimme. „Ja Gernot, ich sehe ihn!“, antwortete eine andere Stimme und beide lachten.

Franz suchte die Straße nach den beiden ab, aber die Straße war menschenleer. So rannte er in die nächsten Tordurchfahrten, rannte durch die Rathausgasse. Aber außer einer streunenden Katze gab es kein anderes Lebewesen zu mitternächtlicher Stunde. Wieder vor dem Rathaus verabschiedeten sich die Stimmen von ihm. „Machs gut, Franz! Bis zum nächsten Mittwoch!“ und „Dann spielst du hoffentlich besser!“ Franz Schreiner schrie, wütend über die Spötter: „Wer seid ihr?! Zeigt euch!“

Doch als Antwort bekam er nur Gelächter. Die Turmuhr schlug zwölf und mit dem Schlagen der Glocken verstummte auch das Gelächter.

Franz, der glücklose Spieler, rannte die Straße entlang. Krampfhaft suchte er nach einer Erklärung für diese Stimmen. Alkohol konnte es nicht sein, denn um beim Skaten einen klaren Kopf zu behalten, trank er nie mehr als drei Glas Bier. Zu Hause schaute er lange in den Spiegel. „Werde ich etwa verrückt?“, murmelte er leise, sein Spiegelbild ansehend. „Quatsch!“, antwortete er sich selbst.

Am nächsten Tag ging Franz nach der Arbeit sofort in den Ratskeller. Alfons, der Wirt, begrüßte ihn freundlich wie immer und lud ihn zu einem Bier auf Kosten des Hauses ein. Franz nahm die Einladung an und versuchte im Gespräch herauszufinden, ob es im Ratskeller Außergewöhnliches zu vermelden gäbe. Doch alles war wie gewohnt: Das Bier war kühl und schmackhaft, der Wirt war freundlich und geschwätzig wie immer und der Gastraum lud mit seiner Atmosphäre zum Verweilen ein. So nahm denn Franz seine Jacke entgegen und verließ den Ratskeller. Draußen schaute er sich um, ob er vielleicht dort etwas Ungewöhnliches entdecken könnte. Auch lauschte er angestrengt, ob er wieder die Spötter hören würde. Aber die Menschen hasteten an ihm vorbei, zwei Knirpse zankten sich um eine alte Blechdose, die als Fußball diente, der Metzger belud den Kombi, um seine Filiale zu beliefern. Franz hörte keine Stimmen – er war es zufrieden und ging erleichtert nach Hause.

Der Vorfall war fast vergessen, wäre nicht am nächsten Skatabend dasselbe passiert. Franz gewann kein einziges Spiel, musste den Spott seiner Freunde ertragen und verließ wieder zeitiger die Runde.

„Wenn er weiter so schlecht spielt, verliert er noch alles! Vielleicht sogar seinen Kopf“, flüsterte eine Stimme.

„Ja Hademar, er ist ein schlechter Spieler!“, erwiderte die andere Stimme.

Franz Schreiner hielt sich die Ohren zu und rannte und rannte.

Den nächsten Skatabend sagte er ab. Er verkroch sich in seinen vier Wänden. Martha, seiner Frau, fielen logischerweise die Veränderungen in seinem Verhalten zuerst auf. War er früher immer rastlos und voller Energie, so hockte er vor dem Fernseher und war kaum zu bewegen, das Haus zu verlassen. Morgens ging er den kürzesten Weg zur Arbeit und am späten Nachmittag war er überpünktlich wieder zu Haus.

Martha hatte sich zwar immer ihren Franz so gewünscht, aber dass er nun zu einem Stubenhocker wurde, das war beängstigend. Also redete sie so lange auf ihn ein, bis ihr Franz sich bequemte und den nächsten Skatabend wieder besuchte.

Bereits auf dem Weg zum Ratskeller beäugte Franz jeden Passanten, am Marktplatz blieb er sogar stehen und lauschte. Aber nichts war zu hören: Kein Hademar, kein Gernot spotteten über ihn.

„Ist doch alles nur Fantasiegebilde!“, schimpfte er leise mit sich selbst. „Und verrückt bin ich auch nicht!“ Mit einer ärgerlichen Handbewegung wischte er scheinbar den ganzen Spuk weg, atmete tief durch und betrat den Ratskeller.

„Schön, dass es dir wieder besser geht!“ und „Ohne dich hat die letzte Runde keinen Spaß gemacht!“ waren die Begrüßungsworte für Franz Schreiner. Und Franz strahlte, rieb sich die Hände und meinte beiläufig: „Na ja! Heute zieh ich euch die Hosen aus!“

„Aber nicht, wenn du wieder so spielst, wie neulich“, feixte Max und auch Adolf musste einen Kommentar abgeben: „Verlierst du vielleicht heute wieder einen ‚Grand mit Vieren’?“

In Franz stieg langsam die Wut hoch. Dass seine beiden besten Freunde ihn verspotteten, hätte er nicht gedacht. Froh war er, dass Alfred wenigstens den Mund hielt.

Verbissen gab er die erste Runde. Seine Stimmung verbesserte sich erst, als er die ersten drei Spiele gewann. „Ja, so wird Skat gespielt, meine Herren!“, prahlte er und schrieb eifrig seine „Augen“ auf.

Diese Glückssträhne hielt den ganzen Abend an. Jedes Spiel gewann Franz, wagte oftmals alles und ... gewann. Entnervt über so viel Glück meinte Adolf: „Männer, mir reicht es! So macht das Spielen keinen Spaß.“ Und so waren es diesmal seine Freunde, die vorzeitig die Skatrunde verließen.

Franz Schreiner spendierte sich selbst und dem Wirt noch ein Bier und trat freudig gestimmt den Heimweg an.

„Gut gemacht, Franz!“, lobte ihn vor dem Rathaus eine Stimme. „Ja Gernot, so sehen Gewinner aus!“

Wie weggeblasen war die Hochstimmung des Franz Schreiner. Verstört suchte er diese Stimmen, die ihn verfolgten. Aber es war so, wie die anderen Male. Er war allein, selbst eine Katze war diesmal nicht zu erblicken. Noch einmal suchte er mit den Augen den ganzen Marktplatz ab. Die wenigen Straßenlampen erhellten nur schwach den Platz, nur in einigen Fenstern erblickte er noch Licht. Schon wollte er nach Hause stürzen, als ihn die Stimme aufhielt: „Warte Franz! Heute sollst du uns sehen!“ Franz erstarrte, sein Blick ging zu der Rathausvorderseite. Dort waren die beiden steinernen Köpfe, die seit mehr als 500 Jahren das ehrwürdige Rathaus schmückten.

„Na Franz, zufrieden?“, sprach der linke Kopf zu Franz Schreiner. „Heute warst du der Beste!“ Und der rechte Kopf meinte: „Ja, ja Hademar, so sieht ein guter Spieler aus!“ Und zur Bekräftigung dieser Aussage nickte er mehrmals mit dem Kopf.

Franz stürzte in den Ratskeller. Er zog den Wirt nach draußen und bat: „Sag Alfons, was siehst du?“

Der Wirt, verwundert über seinen Gast, erklärte: „Was soll ich sehen?! Ich sehe unser Rathaus, geschmückt mit den beiden Köpfen.“

„Und, und? Was machen die beiden Köpfe?!“

„Franz, was soll das? Was sollen zwei steinerne Köpfe machen? Willst du mich veralbern?!“

Ärgerlich ging der Wirt in seine Gaststube zurück.

Kaum war die Tür hinter dem Wirt ins Schloss gefallen, sprach der linke Kopf: „Franz hör mir zu! Ich bin der Hademar und neben mir ist Gernot. Wir haben dich ausgewählt, weil wir glauben, dass du uns helfen kannst.“

„So ist es Franz!“, bekräftigte Gernot.

Franz Schreiner stand versteinert vor dem Rathaus und stierte zu den sprechenden Köpfen. „Aber ihr ..., ihr seid doch aus Stein! Ja, aus Stein!“

„Und? Ist das schlimm?“, fragte Hademar. „Wie du siehst, können wir mit dir reden. Vergiss, dass wir aus Stein sind. Einverstanden?“

Franz nickte zustimmend. Ihm fehlten die Worte für eine Erwiderung. Die Gedanken in seinem Kopf rasten. Er dachte nur noch: „Wie kann ich hier verschwinden.“ Aber es blieb bei dem Gedanken. Sein Körper war vor dem Rathaus gefangen.

Jetzt begann der rechte Kopf, es war Gernot, zu reden: „Hademar, wir müssen ihm unsere Leidensgeschichte erzählen. Wenn uns Franz helfen soll, so muss er alles wissen.“

„Ist gut Gernot, erzähl du sie ihm“, erwiderte Hademar. „Aber nur das Wichtigste, denn bald schlägt die Turmuhr die 12. Stunde.“

Und Gernot erzählte, dass sie beide leidenschaftliche Spieler waren. Sie beherrschten alle Spiele der damaligen Zeit und kannten so viele Tricks, dass fast nie ein Spiel verloren ging. So zogen sie von Stadt zu Stadt, besuchten die Märkte, spielten in den Gasthäusern und verdienten mit ihren Spielen immer genug, um sorgenfrei leben zu können. Sie besuchten auch dieses Städtchen. Aber im Gegensatz zu anderen Städten waren Spieler hier nicht gern gesehen. „Spielen sei Teufelswerk“, hatte der Pfaffe von der Kanzel gepredigt und die Mächtigen dieser Stadt verhängten ein Spielverbot. Gernot und Hademar spielten trotzdem und fanden in einem sehr reichen Kaufmann einen furchtbar schlechten Spieler, dem sie ohne Mühe ein kleines Vermögen abknöpften. Der Kaufmann, der seine Spielschulden nicht zahlen wollte, zeigte daraufhin die beiden an. Gernot und Hademar wurden von den Stadtbütteln ins Verlies gesperrt. Vor ein Gericht gestellt wurden sie für schuldig befunden, einen ehrbaren Kaufmann zum teuflischen Spiel verführt und betrogen zu haben. Das Urteil lautete: „Tod durch den Strang.“ Der Zufall wollte es, dass der Landesherr am Tage der Hinrichtung in der Stadt weilte. Als er viele Menschen zum Galgenberg eilen sah, erkundigte er sich über diesen Volksauflauf. Der Bürgermeister berichtete ihm unter vielen Verbeugungen. „Auf zum Galgenberg!“, wies der Fürst daraufhin seine Dienerschaft an. Die Kutsche hielt direkt unter dem Galgen. Gernot und Hademar sahen das Wappen des Landesfürsten und schöpften Hoffnung - war doch der Fürst als passionierter Spieler bekannt. Als ihnen der Henker den Strick um den Hals legen wollte, baten sie ihren Landesherrn, sie zu begnadigen und das Leben zu schenken.  Sie wollten dem Spiel abschwören und nie wieder in ihrem Leben Würfel, Karten oder andere Spielutensilien mehr in die Hand nehmen. Der Fürst witterte ein besonderes Vergnügen und gewährte Gernot und Hademar als letzten Wunsch ein letztes Spiel. Sie sollten mit ihm um ihre Köpfe spielen. Gewännen sie, wären sie frei - verlören sie, sollte man ihnen die Köpfe abschlagen und zur Warnung für alle diese an das Rathaus hängen. Und so spielten die beiden unter dem Galgen mit dem Fürsten um ihr Leben. Der Fürst ließ sich von seinem Leibdiener Karten reichen, die Gernot und Hademar noch nie gesehen hatten. „Skat nennt man das Spiel“, erklärte der Diener und erläuterte den beiden Todeskandidaten die Regel.

„So war das!“, unterbrach Hademar Gernots Erzählung. „Natürlich verloren wir dieses Spiel - und unsere Köpfe. Zuerst spießte man unsere Köpfe auf und drei Tage lang mussten wir den Spott und den Hohn der Schaulustigen ertragen. Dann befahl der Bürgermeister den Steinmetz zu sich und gab ihm den Auftrag, unsere Köpfe in Stein zu modellieren und sie zur Abschreckung für alle Spieler an der Vorderseite des Rathauses anzubringen. Und so hängen wir nun.“ Hademar stöhnte mitleidsvoll.

„Wir müssen dem Franz noch etwas sagen“, sprach Gernot.

„Sprich nur, lieber Gernot“, antwortete ihm Hademar, „erzähl vom Meister der ‚Schwarzen Künste’.“

„So höre das Ende, Franz Schreiner“, sagte Gernot. „Der Steinmetz war nicht nur ein guter Handwerker, nein er war auch Meister der ‚Schwarzen Künste’. Als er unsere Köpfe aus dem Stein haute, sprach er einen Zauber aus: ‚Aller hundert Jahre sucht euch an eurem Todestag einen guten Skat-Spieler. Spielt! Gewinnt ihr, dann ist euer Leid vorbei und der Stein, aus dem ich eure Köpfe forme, wird zu Sand zerfallen. Verliert ihr wieder, so werdet ihr weitere hundert Jahre auf ein neues Spiel hoffen müssen!’ So sprach der Herr der 'Schwarzen Künste' und jetzt hast du es in der Hand, unser Leid zu beenden. Willst du Franz?“

Jetzt konnte sich Franz Schreiner zum ersten Male wieder bewegen. Er stottertet: „Ich, ich soll, ich soll wirklich mit euch skaten? Wollt ihr das?“

„Das wollen wir, genau das wollen wir!“, erklärte Hademar. Und Gernot fügte hinzu: „Und spielen musst du wie heute! Wehe du lässt uns absichtlich gewinnen! Dann ...“

„Nun mach ihm keine Angst, Gernot“, unterbrach ihn Hademar. „Franz ist doch klug und wird schon sein Bestes geben! Stimmt doch, Franz?!“

„Ja, ja“, stammelte Franz. „Wann spielen wir?“

„Das ist ein Wort!“, rief Hademar freudig aus. „In drei Tagen - Punkt 12 Uhr zu Mitternacht -wird auf dem Galgenberg alles für das Spiel bereitet sein. Sei pünktl...“

Hademar verstummte, die Turmuhr schlug 12-mal. Die Köpfe erstarrten zu Stein und Franz Schreiner rannte so schnell ihn die Beine trugen nach Hause.

Zu seiner Verwunderung war seine Frau noch wach. Als sie ihn sah, wollte sie sofort den Arzt rufen, doch Franz wehrte energisch ab.

„Du siehst aus wie ein Leichentuch“, kommentierte sie seine Gesichtsfarbe. Und dann wollte sie es wissen: „Was ist passiert? Ist dir schlecht? War das Bier verdorben?“ Immer neue Fragen stellte sie, um herauszufinden, warum ihr Franz so kreidebleich aussah.

Doch Franz wollte ihr nicht von der Begegnung mit den Köpfen erzählen. So wie er seine Frau kannte, brächte sie es fertig, ihn sofort ins Krankenhaus zur Untersuchung einweisen zu lassen.

„Das letzte Bier war mächtig schal“, erklärte er hastig und seine Frau akzeptierte die Notlüge.

Sie schüttelte das Bett auf und gab ihm, wie einem kranken Kind, einen Kuss auf die Stirn. „Man hätte meinen können, du wärst dem Tod begegnet“, sagte sie, als sie sich ins Ehebett legte.

Wie recht sie hatte, seine Martha. Franz lag die ganze Nacht und konnte nicht einschlafen. Immer und immer wieder erlebte er das Gespräch vor dem Rathaus.

Die nächsten Tage täuschte er weiter einen verdorbenen Magen vor, um so Ruhe vor neuen Fragen zu haben. Dann kam die Nacht. Franz erfand als Notlüge ein Treffen mit seinen Freunden, um das Skatturnier vorzubereiten, und eilte zuerst in den Ratskeller. Dort trank er entgegen seinen Gewohnheiten mehrere Glas Bier hintereinander und starrte wie gebannt auf die Uhr. Endlich war es ½ 12. Er bezahlte und trat vor die Tür. Sein erster Blick galt den beiden Köpfen. Aber diese Köpfe sahen so aus, wie sie immer aussahen.

„Und wenn du das alles nur geträumt hast, Franz?“, murmelte Franz Schreiner vor sich hin. „Na klar, das ist doch alles nicht war!“, rief er dann erleichtert und ging in Richtung seiner Wohnung. Doch jeder Schritt wurde ihm zur Qual, schwerer und schwerer wurden seine Beine. Erst als er umkehrte und den Weg zum Öltor und damit zum Galgenberg nahm, waren die „Zentnergewichte“ an seinen Beinen verschwunden. Pünktlich um 12 Uhr, zur Mitternacht, stand er auf dem Galgenberg. Die Turmuhr schlug das erste Mal und vor Franz formte sich aus der Dunkelheit der Nacht ein eichener Tisch, vier schwere Stühle und der Mond, der die Wolkendecke durchbrach, zeichnete einen Galgen auf der Kuppe des Berges. Beim 12. Schlag hörte Franz eine bekannte Stimme: „Fein, dass du gekommen bist, Franz!“ Zwei schemenhafte Gestalten kamen aus dem Nichts, langsam schärften sich die Konturen und Franz erblickte zwei Gestalten in spätmittelalterlicher Tracht: Hademar und Gernot. Und dann tauchte noch eine Gestalt aus dem Nichts auf. Ein großer kräftiger Mann mit unbedecktem Oberkörper, der sein Haupt mit einer schwarzen Kapuze verdeckte. „Das ist der Henker“, erklärte Hademar dem Franz. „Er ist der Kartengeber in unserem Spiel.“

„Und vergiss nicht zu erwähnen, Hademar“, ergänzte Gernot, „er ist der Richter in unserem Spiel.“

„Wieso Richter“, fragte Franz ängstlich.

„Hast du vergessen, Franz?“ Gernot sah Franz an. „Du musst dein Bestes geben! Ob du das tust, darüber entscheidet der Henker.“

„Ich will und werde mein Bestes geben“, erwiderte Franz sehr kleinlaut. Hademar und Gernot nahmen Platz. Auch Franz setzte sich. Zum Glück saß er so, dass er den Galgen nicht im Blick hatte. Dafür saß der Henker ihm gegenüber. Wie gewohnt nahm Franz seinen Block und Kugelschreiber aus der Jackentasche und legte sie neben sich.

„Wozu ist das?“, fragte Hademar. Als Franz ihnen erklärte, dass die Ergebnisse eines Spieles doch aufgeschrieben werden müssen, um den Gewinner zu ermitteln, schüttelte Gernot nur unwillig den Kopf.

„So etwas ist nicht nötig. Der Henker ist der Richter und bei dem Einsatz, um den es geht, ist das auch gut so.“

Nun fragte Franz neugierig: „Um welchen Einsatz geht es denn?“ Kurz und knapp fiel Gernots Antwort aus: „Um den Kopf!“

Franz erschauderte. Die Angst kroch ihm aus dem Magenbereich zum Herzen. Jetzt sah er genauso bleich aus, wie seine Mitspieler. Oh, was hätte er darum gegeben, diesem schaurigen Ort den Rücken zu kehren. Doch dafür war es längst zu spät. Der Henker legte einen Skat-Kartensatz auf den Tisch und Franz war erst einmal etwas erleichtert, als er ein deutsches Blatt erkannte. Mit einer ungeheuren Geschwindigkeit mischte der Henker die Karten und ließ genau nach Vorschrift Karten von den Mitspielern abheben. „Gespielt wird bis zur 1. Stunde. Dann verkünde ich den Sieger!“ Dumpf und grollend sprach er diese Sätze. „Gespielt wird nach den Regeln der Skatbrüder. Wer betrügt, ist des Todes! Ich ermahne alle, ihr Bestes zu geben!“

Franz glaubte, dass ihn der Henker bei diesem Satz angestarrt hatte. Und so war es. Aus der dunklen Kapuze sah er zwei Augen, die wie glühende Kohlen funkelten. Und wieder stieg ihm die Angst zum Herzen.

Das Spiel begann. Hademar und Gernot beherrschten das Skatspiel. Franz Schreiner dagegen nicht. Er verlor ein Spiel nach dem anderen und erst als die Turmuhr die Viertelstunde verkündete, hatte er sich so weit gefangen, dass er sich sagte: „Und wenn ihr meinen Kopf haben wollt, so sollt ihr es schwer haben, ihn zu bekommen!“ Und er spielte das Spiel seines Lebens! Er blickte weder seine Mitspieler noch den Henker an, konzentrierte sich nur auf die Karten. Nach dem ersten gewonnenen Spiel, fand er sein altes Selbstvertrauen wieder. „Euch werde ich es zeigen!“, murmelte er leise und riskierte ein Null overt-Hand. Er gewann es. Auch seine Mitspieler reizten die Karten voll aus, kontra und re wurden jetzt häufig gegeben. Als die Turmuhr ½ schlug, hatte sich Franz so richtig „warm“ gespielt. Jetzt begann das Spiel, ihm sogar Freude zu machen. Er riskierte auch Blicke zu Hademar und Gernot, selbst dem Henker sah er zu, wie der die Karten gab. Als er ein Grand mit Dreien, Handspiel mit kontra und re mit 61 Augen gewann, war seine Angst völlig gewichen. „So spielt man Skat, meine Herren!“, verkündete er prahlerisch. Doch sein Glück endete mit den drei Schlägen der Turmuhr, die ¾ 1 verkündete. Jetzt waren es Hademar und Gernot, die sagenhaft schöne Spiele meisterten und selbst als von vornherein verloren gegebene Spiele gewannen. Franz lernte jetzt von den beiden gespenstischen Mitspielern und war trotz seiner Niederlage begeistert. „So spielt man Skat!“, rief er sogar fröhlich aus und versuchte, seinen Mitspielern nachzuahmen, überreizte sich und verlor.

„So spielt man nicht!“, spottete Gernot. Und auch Hademar zeigte mit einem breiten Grinsen im Gesicht, dass er Gernots Meinung war.

„Das letzte Spiel!“, grollte der Henker. „Wer das gewinnt, gewinnt alles!“ Als er die Karten gegeben hatte, blickte Franz erschrocken auf sein Blatt. Noch nicht einmal „18“ konnte er sagen. „Ramsch!“, hörte sich Franz sagen. Es war, als wäre jetzt ein anderer Franz Schreiner. „Ramsch!“ sagte auch Hademar und dem schloss sich auch Gernot an. Franz blieb ohne Stich. Strahlend schrieb er auf seinem Block: „Gewonnen!“ Als er hochblickte, begann die Turmuhr die volle Stunde zu schlagen. Franz sah, wie sich Hademar und Gernot auflösten. „Es hat Spaß gemacht, mit dir zu spielen!“, rief Hademar und auch Gernot meinte: „Du bist ein guter Spieler, Franz! Viel Glück!“

Nach den beiden verschwand der unheimliche Henker, dann Tisch, Stühle und Galgen. Franz saß mit einem Male auf dem Erdboden. Verwirrt rief er: „Wer hat denn nun gewonnen?“

„Das Spiel hat gewonnen!“, grollte es von fern. „Das Spiel!“

„Das Spiel hat gewonnen!“, murmelte Franz. Dann, als wäre es ihm erst jetzt zu Bewusstsein gekommen, rief er lachend aus: „Natürlich, das Spiel hat gewonnen!“

Wieder zu Hause schlief er zufrieden ein. Selbst im Schlaf murmelte er noch: „Das Spiel hat gewonnen! Das Spiel!“

 

Als der Applaus endete, betrat der Chefredakteur der Heimatzeitung die Bühne. „Ihr Applaus bestätigt die Meinung der Jury, dass diese Kurzgeschichte den Sieg des Erzähl-Wettbewerbes zum Thema Skat errang, richtig war. Herzlichen Glückwunsch dem Autor, Herrn Wolf!“ Nochmals gab es Applaus. Dann eröffnete der Vorsitzende des Vereins „Skatbrüder“ das Skatturnier. Seine kurze Ansprache endete: „Allen Skatbrüdern wünsche ich viel Glück. Besonders natürlich unserem Bruder Wolf. Möge das Motto unseres heutigen Skat-Turniers lauten: ‚Das Spiel hat gewonnen!’“

Dirk Wolf gewann an diesem Abend nicht nur den Erzähl-Wettbewerb, auch die Jury des Skat-Turniers kürte ihn zum Sieger. Fröhlich verließ er mit seinen Freunden den Saal und begab sich zum Feiern in die Gaststube des Ratskellers. Er hatte die Spendierhosen an und so verließen vier ganz schön beschwipste Freunde das Lokal. Draußen schaute Dirk Wolf zu den beiden Köpfen an der Rathausfront. „Na Jungs, wie habe ich gespielt?“

Und Dirk Wolf glaubte, den linken Kopf sprechen zu hören: „ Du warst nicht schlecht, Dirk! Wirklich nicht schlecht! Stimmt doch, Gernot?“

„Ich muss dir beipflichten, Hademar! Unser Dirk war wirklich gut!“