Nachgedacht über ...

… das Altwerden

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von Joachim Größer (2015)

 

Denken Sie schon an das Alter? Sie wissen es nicht so recht?! Nun – einige hilfreiche Merkmale, um das herauszufinden, könnte ich anbieten. Wie wär es z. B. damit:

-       Lesen Sie Todesanzeichen und starren Sie auf das Geburtsdatum der

        Toten?

-       „Wächst“ Ihr Schränkchen mit Arzneimitteln und mausert er sich zum

        Schrank?

-      Schauen Sie öfters in den Spiegel und sprechen Sie zu sich ganz leis:

        „Spieglein, Spieglein an der Wand, bin ich die Alte (der Alte), die (der)

        mir hier zugewandt?“

-       Sie laufen mit dem Enkel/Sohn um die Wette und nach der Hälfte der

        Strecke röcheln Sie: „Ich gebe auf! Du hast gewonnen!“

-       Ihre Enkelin/Tochter springt über eine Hecke und Sie denken: „Na das

        muss ich auch noch können!“ Und Sie springen und … landen in den

        Brombeeren.

Nun, verzagen Sie nicht. Die Anzahl der Alten wächst und der heutige 60-zigjährige ist so fit, wie ein 50-ziger, und der 70-zigjährige wie ein 60-ziger, und ein 80-zig …

In früheren Kulturen war das Alter ein gepriesener Zustand. Die Alten saßen im Stammesrat, die Alten wussten Rat, die Alten behielten (fast) immer recht, denn ihre Lebenserfahrungen sagten ihnen die Weisheiten des Lebens und des Zusammenlebens.

Wenn heute Alte in wichtigen Gremien das Sagen haben, dann bezeichnet man sie gerne als Betonköpfe. Dies aber nur, wenn man ihre Meinung nicht teilt. Ist man der gleichen Ansicht, dann bescheinigt man ihnen die Weisheit des Alters. Und ganz besonders ist dies in der Politik ausgeprägt. Und dort muss dann ein alternder Präsident wie ein junger Hüpfer aus dem Flugzeug steigen; er muss frisch und fröhlich wirken, auf dem Höhepunkt seiner körperlichen Fitness.  Das sieht dann oft recht lächerlich aus – aber nicht für die Anhänger dieses Präsidenten. Ein anderer Präsident reitet und spielt Eishockey, wieder ein anderer fährt mit dem Motorroller zu seiner Geliebten, und um das Thema abzuschließen, sei noch ein Präsident erwähnt, der verheiratet ist und es auch bleibt und mit seiner Geliebten/Lebenskameradin/Lebenspartnerin auf Staatsreisen geht. Sie ist dann die „Frau Präsidentin“.

Tolerant sein ist immer sehr vernünftig. Man muss es aber auch beim politischen Andersdenkenden sein. Und das ist gegenwärtig in unseren Medien kaum gegeben.

Dass nicht alle Menschen tolerant sind, auch so denken und so handeln, zeigen viele Beispiele. Betreffs des Alters erfand man dafür sogar ein neues Wort: Altersdiskriminierung.  Für mich fing diese „Altersdiskriminierung“ zu Beginn der 90-er mit einem Auswuchs der besonderen Art an. Ein junger, dynamischer, mit großer Weisheit gesegneter Mensch kreierte den Satz von den Alten, die „.. nun endlich den ‚Löffel‘ abgeben sollten“. Der Aufschrei der Gesellschaft war nur kurz – schnell ging man wieder zum Alltagsgeschäft über.

Aber auch in dem alltäglichen Politikgeschäft spielen die Alten eine negative Rolle. 20 Mio Rentner – das sind garantiert 20 Mio zu viel! So könnte man meinen, wenn man Kommentare zu aktuellen Rentenerhöhungen liest. Da „fressen“ die Alten den Reichtum auf, den ja eigentlich die Jungen verdienen. Generationsgerechtigkeit – das ist das Schlachtwort. Diese Schreier vergessen absichtlich, dass die jetzigen Alten einst den Reichtum dieses Deutschlands erarbeitet haben. Sie vertreten nur ein Prinzip: Geld! Und als bekennender Atheist ermahne ich die christlich geführte Regierung, dem „C“ in ihrem Namen gerecht zu werden. (Als Vorbild dürfte der Papst Franziskus dienen!)

Das deutsche Rentensystem geht auf die Kaiserzeit zurück. Als Bismarck im 19. Jh. seine Sozialpolitik umsetzte und das Rentensystem einführte, war dies ein riesengroßer Fortschritt; es war einmalig in der damaligen Welt. Das Bismarcksche System ist aber schon längst an seine Grenze gestoßen; neue Ideen braucht die Rentenversicherung. Wie wär es mit dem Schweizer Modell?! Es ist gerechter und effektiver. Nur dann müssten z. B. auch alle deutschen Millionäre ihren Beitrag leisten. Und das geht in Deutschland nicht. So etwas können nur die Schweizer!

Dass Menschen, junge Menschen anders über das Alter denken, las ich erst kürzlich. Da befasste sich eine Gruppe Junger mit dem Thema des Alterns. Nachdem sie dieses Thema von allen Seiten beleuchtet hatten, fragten sie: „Wann haben wir zuletzt mit unseren Großeltern gesprochen?!“ Spontan griffen sie zum Handy und riefen Oma und Opa an. „Wir sind es unseren Alten schuldig!“ – diese Botschaft verkündeten sie.

Die Liebe gehört der Jugend – so ist es und so will es die Natur. Dass aber auch Alte sich noch verlieben können, zeigt die Meldung aus England. Da heirate ein 101jähriger seine 93jährige Braut. Auch aus England: Maurice und Helen Kaye, 102 und 101 Jahre alt, haben im südenglischen Küstenort Bournemouth ihren 80. Hochzeitstag gefeiert. Eichenhochzeit nennt man dieses seltene Fest. Als Teenager lernten Maurice und Helen sich kennen und lieben und diese Liebe währt nun fast ewiglich.

Auch eine Meldung, die die Liebe betrifft und zugleich betroffen macht. Da steht in Deutschland ein alter Mann vor Gericht und wird wegen Mordes an seiner Ehefrau angeklagt. Und Staatsanwalt und Richter sind sich in ihrem Urteilsspruch einig: Bewährungsstrafe für den „Mörder“. Was war geschehen, warum ein solch ungewöhnliches Urteil? Der Angeklagte hatte seiner Frau versprochen, sie nie zu verlassen, und als sie immer kränker und kränker wurde, da suchte er mit ihr den gemeinsamen Tod. Er wollte sie nicht alleine lassen, wollte sein Versprechen nicht brechen. So fuhr er mit ihr im Auto mit Tempo 70 gegen eine Wand. Sie starb, er überlebte. Die Strafe fürchtete er nicht. Er kann es jetzt nicht überwinden, dass er sein Versprechen nicht halten konnte. Und ich „ziehe meinen Hut“ vor diesem Gericht: Wahrlich Recht gesprochen!!! Menschen sprachen Recht – nicht Juristen!

Der Tod ist für manchen Alten eine echte Erlösung. Nie werde ich das Flehen eines 90-zigjährigen vergessen. Er wurde mit starken Schmerzen ins Krankenhaus eingeliefert. Ich erholte mich gerade von einer OP, musste mich wieder aufrappeln und hörte Tag und Nacht die leisen Schreie meines Bettnachbarn. Er flehte: „Gott, ich will sterben! Gott, ich will nicht mehr leben! Lieber Gott, hol mich zu dir!“

Sein lieber Gott erhörte ihn nicht. Sein Arzt nahm ihm mit Medikamenten die großen Schmerzen, und er schickte ihn am 3. Tag nach Hause.

Ein Mensch will nicht mehr leben, hat das Kämpfen aufgegeben und kann doch nicht sterben. Er ist zu schwach, um seinem Leben selbst ein Ende zu bereiten, vielleicht verbietet es ihm auch seine Religion. Ist solch ein Leiden menschlich? Ich weiß, ein gläubiger Katholik beantwortet dies anders als ein Atheist. Und doch muss man die Frage stellen. Und froh bin ich, dass sich jetzt - anno 2015 - alle Abgeordneten des Bundestages dieser Frage stellen müssen: Wie darf ein Mensch sterben?!

Hätten die Nationalsozialisten nicht Tausende hilflose, behinderte Menschen, die von Nazi-Ärzten als unwertes Leben bezeichnet wurden, in speziellen Lagern und Krankenhäusern umgebracht, könnte man heute in Deutschland die Diskussion um die Euthanasie anders führen. Euthanasie heißt „leichter Tod“ und in vielen Ländern, auch in Europa, geht man – nach meiner Ansicht - menschlicher mit der Sterbehilfe und -erleichterung um. Aber sie haben auch nicht diese fürchterliche deutsche Vergangenheit aufzuarbeiten.

Nun denken Sie bitte nicht, dass ich, wenn ich über den Tod schreibe, bereit bin, jetzt „den Löffel abzugeben“. Nein – aber mit dem zunehmenden Alter blickt man immer öfters und auch immer anders auf das Lebensende.

Ich bin noch nicht bereit, dem Tod zu begegnen, denn

-       ich will noch erleben, dass man einem amerikanischen Präsidenten

        seinen Friedensnobelpreis aberkennt.

-       ich will noch erleben, dass keine Kriege mehr angezettelt werden.

-       ich will noch erleben, dass der Frieden zu den Grundrechten der

        Menschheit erklärt wird.

Ich weiß, da werde ich wohl ewig leben müssen. Na ja, …

 

Und Sie haben jetzt die Möglichkeit über eine recht alte Geschichte nachzudenken, die früher einmal in den Lesebüchern stand. So etwa ging diese Mär:

Großvater war alt und litt an den typischen Altersgebrechen. Da er keine Zähne mehr hatte, schlürfte er das Süppchen, brockte das Brot in die Suppe, und da ihm die Hand nicht mehr recht gehorchen wollte, verschüttete er die Suppe. Der Tochter reichte es. „Vater, du sollst essen und nicht sabbern!“, schimpfte sie, und da das Schimpfen die Hand des Alten auch nicht beruhigte, holte sie aus der Kammer einen kleinen Tisch und einen Stuhl und stellte beides abseits. „Hier Vater kannst du zukünftig essen“, keifte sie.

Der Enkel wurde Zeuge dieser Behandlung. Am nächsten Tag war aus dem Schuppen lautes Klopfen und Sägen zu hören. Verwundert schaute die Mutter in den Schuppen und sah ihren Sohn beim Arbeiten. „Was soll das, was baust du da?“, fragte sie verwundert.

„Ich bau einen Tisch und zwei Stühle für dich und Vater. Ihr werdet doch auch mal alt sein.“

Zum gemeinsamen Abendessen waren extra Tischchen und Stuhl verschwunden. „Setz dich zu mir, Vater“, sagte die Tochter des Alten. „Ich helfe dir.“