Ein Tag im Jahre 2024

Ein Tag im Jahre 2024

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von Joachim Größer(2010)

 

In einem Saal sitzen mindestens einhundert Frauen und Männer vor ihren Bildschirmen und scheinen zu spielen. Sie umfassen den Joystick und lenken kleine und größere Flugzeuge. Erfasst die bordeigene Kamera ein Zielobjekt, dann drücken die Männer und Frauen auf den roten Knopf. Man sieht auf dem Bildschirm eine Explosion, eine Rauchwolke und der Schütze meldet: „Vorgegebenes Objekt zerstört!“

Per Knopf im Ohr bekommt ein Schütze, er heißt Nick, einen neuen Auftrag: „Menschengruppe am Dorfrand anvisieren und auseinandertreiben!“

Der Schütze Nick lässt seine Drohne über das Dorf kreisen. Jetzt erfasst die Bordkamera die Menschengruppe. Man sieht Frauen und Kinder, auch einige alte Männer stehen herum und sie schauen zu den Flugzeugen. Die Kamera zoomt die Leute näher heran. Nick betätigt den blauen Knopf. Eine Maschinengewehrgarbe zerpflügt den Boden vor den Menschen. Die stieben wie aufgescheuchte Hühner auseinander – in alle Richtungen. Zweie von ihnen, eine junge Frau und ihr kleines Mädchen, rennen direkt in die Maschinengewehrgarbe.

„Schütze Nick meldet Kollateralschaden!“

„Wie viele?“

„Zwei Weichobjekte!“

„Notiert! Neuer Auftrag: Flugrichtung NNO – Richtung Fluss! Kontrolle des Schifffahrtsverkehrs. Geeignetes großes Objekt versenken, um Fluss für Schiffe zu blockieren!“

Nick bewegt den Joystick, das leichte Flugzeug trägt noch eine Rakete, die jede Panzerung durchschlagen kann. Nick lenkt geschickt die Drohne in gleichbleibender Höhe entlang des Flusses. Mehrere Fischerboote kann er mithilfe der Kamera ausmachen. Doch die bestehen aus Holz und sind viel zu klein. Dann erfasst die Kamera ein großes Boot in der Ferne. Nick betätigt die Zoom-Einrichtung und zufrieden lächelt er. Das ist ein geeignetes Objekt! Zwar kann er die Geschwindigkeit des Flugzeuges nicht wesentlich erhöhen, aber die Jagdleidenschaft hat ihn erfasst. Vor der nächsten Flussbiegung will er das Boot erwischen. Dann hat er es im Visier. Die Schrift auf dem Bildschirm verkündet ihm: „Entfernung optimal!“

Nick betätigt den roten Knopf. Die Kamera erfasst für einen Wimpernschlag die vorbeisausende Rakete. Volltreffer! Das Schiff sinkt in wenigen Minuten. Während Nick, der Schütze, zufrieden die Drohne abdrehen lässt, färbt sich das Flusswasser rot. Das Boot, das nun zuverlässig den gesamten Schiffsverkehr als Wrack verhindert, war ein überladenes Fährschiff gewesen. Dieses Schiff hatten viele Menschen als letzte Chance genutzt, um das Kriegsgebiet verlassen zu können.

Nick meldet erfreut: „Auftrag erfüllt! Fliege zum Flughafen zurück!“

„Gute Arbeit, Nick!“, hört Nick seinen Vorgesetzten. „Wünsche schönen Feierabend!“

Ein Lob von seinem Chef ist schon etwas Besonderes. So hat Nick Hochstimmung, als er den Joystick seiner Ablösung übergab.

Pflichtgemäß meldet Nick: „Drohne Nr. 154 gelandet. Tank sowie Munitionskammern müssen vor neuem Start gefüllt werden. Wünsche eine gute Serie, Kamerad!“

Der Kamerad, er war etwa in Nicks Alter, antwortete gelassen: „Da bin ich mir sicher! Ich hatte gestern alleine vier zielgenaue Abschüsse – besser konnte es nicht laufen. In welchem Gebiet kämpfen wir heute?“

Nick blickte zum Bildschirm. „Oben links am Monitor ist das Zielgebiet angegeben. Die Techniker haben den Fehler noch in der letzten Schicht behoben.“

„Danke, wünsche schönen Feierabend!“

Nick bedankt sich bei seinem Kameraden. Jetzt hat er wirklich Feierabend. Er freut sich aufs Zuhause, hofft, dass die kleine Hanna, sein Töchterlein noch auf ist und er noch einige Minuten ihrem Geplapper lauschen kann. Und dann steht ja noch der Abend mit den Freunden an. Man trifft sich in der Disco-Bar und feiert den 30. Geburtstag seiner Frau. Die Schwiegereltern passen auf die kleine Hanna auf und er muss aufpassen, dass er nicht allzu viel Alkohol in sich hineingießt.

„Noch drei solch guter Tage, wie der heutige einer war“, denkt Nick, „und ich rücke in die nächste Etage auf.“

Da gibt es mehr Gehalt und was vor allem für Nick zählt, in dieser „Etage“ könnte er seine taktischen Fähigkeiten beweisen. Es ist schon eine Herausforderung, Menschen so zu führen, dass sowohl die Drohnen, die Panzerfahrzeuge und die Roboter in voller Harmonie und Einklang die größtmöglichsten Abschüsse erzielen.

Er hat nun schon die dritte Etappe seiner Ausbildung durchlaufen. Zuerst ließ er sechsbeinige Robotermaschinen durchs Gelände marschieren, die selbstständig Zielobjekte anvisieren und abschießen können. Für zwanzig solcher „Soldaten“ war er der Führer. Mit Auszeichnung hatte er diese Etappe abgeschlossen. Die nächste Etappe machte ihn zum Kommandeur über fünf ebenfalls ferngesteuerte Panzerfahrzeuge. Auch hier schloss er mit „Auszeichnung bestanden!“ ab. Nun befehligt er Flugzeuge, zwar nur eins in jeder Schicht, aber dafür mit viel Freude. Wer verdenkt es ihm, dass er in der Rangfolge der Gedienten aufsteigen möchte?! Seine Vorgesetzten jedenfalls haben ihm mehrfach angedeutet, dass er es noch weit bringen kann.

Und so hängt Nick auf der Autobahn-Heimfahrt seinen Gedanken nach und freut sich auf seine Familie und den Feierabend.