Politik in Geschichten: Stammtischgespräche

Stammtischgespräche

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von Joachim Größer (2019)

 

2. Gilt das Völkerrecht?

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Heute war Eberhard super pünktlich. Bereits 20 Minuten vor der verabredeten Zeit saß er am Stammtisch und ließ sich vom Wirt ein kühles Bier bringen. Es war ein grauer, trüber Tag; es wäre ein Wunder, wenn sich vielleicht Fremde in das „Garteneck“ verlaufen würden. Doch die Tür öffnete sich und ein Gast betrat den Raum. Eberhard schaute hoch und wollte schon seine Stammtischfreunde begrüßen. Doch er sah nur einen älteren Herrn, der ihm irgendwie bekannt vorkam.

Als der Fremde ihn mit einem Klopfen auf dem Tisch begrüßte, erkannte Eberhard den Gast. „Sie sind doch der Neue?! Sie sind der Maier, der Friedhelm Maier - der Maier mit ai?!“

Der so Begrüßte grinste. „So ist es! Rund 800.000 Meiers gibt es, aber ich schätze, nur ein Viertel schreibt sich mit ai.“ Maier mit ai feixte: „Altdeutscher Landadel.“

Eberhard ging auf das Geflachse ein. „Ich heiße Eberhard - altgermanischer Adel. Hart und fest wie eine Wildsau! Pardon - wie ein Eber.“

„Dann passen wir gut zusammen! Darf ich Sie zu einem Bier einladen?“

Und ohne auf Eberhards Antwort zu warten, rief er dem Wirt zu: „Zwei Bier bitte!“

Und Eberhard trank schnell sein angefangenes Glas Bier aus, um dann mit dem vollen mit dem „altdeutschen Landadel“ anzustoßen.

„Mit dem ‘altgermanischen Adel’ kann ich aber auch mithalten“, grinste der Maier. „Friedhelm ist garantiert so alt wie Eberhard - auch altgermanisch. Unsere Vornamen sind wohl noch ein Erbe auf die deutsche Vergangenheit - Modenamen einer längst vergangenen Zeit.“

Der Herr Maier prostete dem Eberhard zu. Der hob auch sein Glas und meinte dann: „Also, wenn wir so viele Übereinstimmungen haben, können wir auch zum ‘Du’ übergehen .“

„Einverstanden!“ Maier umarmte den Eberhard und gab ihm den „Bruderkuss“.

In diesem Moment betreten Horst und Helmut den Gastraum.

„He!“, rief Horst, „der Eberhard küsst schon wieder fremd!“

„Nicht mehr fremd! Wir sind Duz-Brüder!“

„Wir könnten auch, wenn Sie mögen? Ich küsse wie Monsieur Macron!“ Friedhelm Maier grinste übers ganze Gesicht. „Ich könnte auch wie Breschnew ...?“

„Macron reicht!“, schmunzelte Helmut, „aber das Bier geht auf deine Rechnung!“

„Herr Wirt, noch zwei Bier zum Anstoßen!“

So wurde aus einer Dreier-Runde ein Quartett. Ein Außenstehender, der diese älteren Herren beobachtet hätte, würde garantiert meinen: „Die kennen sich schon ewig!“

Ja, der Friedhelm passte in die Stammtischrunde. So wie sie war er in der DDR groß geworden, hatte Journalistik studiert, wurde nach der Wende „abgewickelt“ und schlug sich dann als Freischaffender bis zur vor kurzem erfolgten Verrentung durchs Leben. Die Politik war sein Steckenpferd und er ließ kein Gespräch aus, um seine Meinung auch anderen Kund zu tun. Für so manchem war er der schlechte Gesprächspartner, denn seine Argumente waren stets mit Fakten belegt, und von politischer Meinungsmache hielt er gar nichts.

Nachdem Friedhelm Maier sich seinen neuen Duz-Brüdern kurz vorgestellt hatte, wollte Eberhard wissen, was ein „politisch denkender Mensch“ von dem Völkerrecht hält.

„Weißt Friedhelm, ich habe noch in Erinnerung, dass der Altbundeskanzler Schröder 2014 gesagt hatte, Deutschland habe wissentlich 1999 im sogenannten Kosovo-Krieg das Völkerrecht gebrochen. Stimmt das denn?“

„Stimmt! Als sich die russischsprachige Bevölkerung in der Ukraine von der durch einen Umsturz an die Macht gekommene Regierung bedroht fühlte, organisierten sie auf der Krim ein Referendum. Beitritt zu Russland - das war das Ziel! Russland unterstützte, schickte viele ‘Grüne Männchen’, das waren Militärs ohne Waffen, die das Gewaltmonopol der ukrainischen Armee auf der Krim ausschalteten. Das Referendum wurde ein Erfolg für die Russen. Die überwältigende Mehrheit wollte zurück nach Russland. Der Westen war schockiert! Wollte man doch die Ukraine als Brückenpfeiler gegen Russland ausbauen und eine starke russische Schwarzmeerflotte war da nur im Wege! Immerhin haben die Amis 6 Milliarden Dollar ausgegeben, um endlich eine Regierung in der Ukraine an die Macht zu bringen, die den USA hörig sind. Der Westen sprach nach dem Beitritt der Krim zu Russland von einem Bruch des Völkerrechts. Und Ex-Kanzler Schröder sprach damals diese Worte und wurde deshalb stark angegriffen.“

„Und warum war der Kosovo-Krieg ein Bruch des Völkerrechts?“, fragte Horst.

„Die NATO führte den Krieg gegen Serbien. Und dafür hatten sie nicht den ‘Segen’ des UNO-Sicherheitsrates. 5.000 serbische Zivilisten starben im Bombenkrieg für geopolitische Ziele der westlichen Welt. Und sehr bedeutsam war, dass zum ersten Mal seit 1945 wieder Deutsche gegen ein anderes Land Krieg führte! Das empfinde ich heute noch als sehr, sehr schlimm!“

„Die Annexion der Krim ist also auch ein Bruch des Völkerrechts?“ Helmut stellte die Frage.

Friedhelm feixte: „Entgegen der Tatsache, dass fast alle unserer Politiker das so sehen und auch sagen, haben die Experten eine ganz andere Meinung. Da gibt es beim Bundestag einen ‘Wissenschaftlichen Dienst’, der von den Abgeordneten angerufen werden kann. Und die Fachjuristen waren der Meinung, der Beitritt der Krim zu Russland war den Normen des Völkerrechts nicht zuwider. Kein Bruch! Es gab nur einen Schönheitsfehler!“ Friedhelm lächelte als er fortfuhr: „Es waren die ‘Grünen Männchen’! Aber durch diese Unterstützung ist auf der Krim kein Mensch gestorben; im Gegensatz zu den Separatistengebieten in der Ostukraine.“

„Und außerdem soll doch der Chruschtschow als damaliger Generalsekretär der KPdSU

 die seit mehr als 200 Jahren russische Krim an die Ukraine verschenkt haben?!“ Eberhard wollte dies wissen.

„Ja, die Ukraine war damals Teil der Sowjetunion. Für Chruschtschow war das nur ein Verwaltungsakt, aber er hatte damals auch das Recht der Sowjetunion gebrochen.“

Horst wollte unbedingt eine Frage loswerden: „Friedhelm, sag ...“

„Kleinen Moment, Horst, vergiss deine Frage nicht. Ich will nur noch etwas sehr Interessantes zum Thema Krim hinzufügen. Nach der sogenannten Annexion haben die USA Russland vorgeschlagen, das Referendum noch einmal unter Kontrolle des Westens durchzuführen. Das wollten sie dann anerkennen. Die Russen winkten nur ab: ‘Die Bevölkerung habe bereits entschieden! Alles andere wäre eine Farce!’ Und übrigens - nach der letzten Umfrage bewerten 80 % der Krim-Bewohner den Beitritt zu Russland als gut und richtig. Das will schon was heißen!“

„Friedhelm, die Abspaltung des Kosovo? Ist das rechtens?“ Horst konnte seine Frage loswerden.

„Nee, entspricht nicht dem Völkerrecht. Es gab kein Referendum, es gab nur eine Armeeführung, die den Kosovo von Serbien lossagte und die Republik Kosovo ausrief. Bereits einen Tag später erkannten die USA den Kosovo an, und am zweiten Tag erklärte auch die Bundesregierung, dass sie diesen Staat anerkennen würde. Das war ein Bruch mit dem Völkerrecht!“

„Das ist schon ganz schön verrückt mit diesem Völkerrecht. Gibt es für den Normalbürger eine Regel, wie er dieses bewerten kann?“

„Eberhard, man könnte vereinfacht sagen – aber wirklich nur vereinfacht, dass es zwei Ereignisse gibt, die vom Völkerrecht gedeckt sind:

1. Wird ein Staat angegriffen, hat er das Recht, sich zu verteidigen!

2. Billigt der UN-Sicherheitsrat eine Aktion, ist sie konform dem Völkerrecht!“

Da das Reden bekanntlich durstig macht, hob Friedhelm sein leeres Glas. „Bitte viermal!“

Der Wirt brachte die Biere und musste sogleich seine Frage loswerden. „Ich habe euch gut zugehört. Wie ist das denn nun mit den vielen Sanktionen, die verhängt wurden und und immer noch verhängt werden? Sind die vom Völkerrecht gedeckt?“

„Nur, wenn der Sicherheitsrat zustimmt! Und alle Sanktionen, die z.B. gegen Russland sind nur einseitige Strafmaßnahmen, um einen anderen Staat zu schädigen. Und die Gegensanktionen Russlands sind nur eine Gegenreaktion. Gebracht haben die Sanktionen gar nichts - nur große wirtschaftliche Einbußen für die EU-Staaten und Russland. Und übrigens haben die Amis den Handel zwischen USA und Russland zu neuen Höhen geführt. Und das trotz Sanktionen. Manchmal kann man nur den Kopf schütteln!“

„Dann sind doch die amerikanischen Sanktionen gegen dem Iran eigentlich null und nichtig?! Und wie verhält es sich mit der Beschlagnahme des iranischen Tankers vor Gibraltar?“ Horst stellte die Frage.

Und Friedhelm antwortete: „Das war ein moderner Piratenakt durch die britische Flotte! Mehr nicht. Auf Geheiß der USA bricht man das Völkerrecht. Unter dem Vorwand, Sanktionen der EU gegen Syrien und der USA gegen dem Iran durchzusetzen, inhaftierte man die Besatzung und beschlagnahmte das Schiff!“

„Aha, und jetzt haben die Briten das Schiff freigegeben, auch gegen den Willen der US-Regierung. Warum wohl?“

„Da könnte man nur spekulieren. Vielleicht hat die neue britische Führung unter Boris Johnson genug mit dem Brexit zu tun? Aber interessant ist in diesem Zusammenhang, dass unsere Regierung in jüngster Zeit wahrscheinlich dreimal das Völkerrecht gebrochen hat. Das sage nicht ich, sondern der Wissenschaftliche Dienst!“

„Dreimal?“ Der Wirt wurde hinter seiner Theke zum fünften Mitglied der Stammtischrunde. „Dreimal?“

„Herr Wirt, es stimmt! Die Öffentlichkeit hat das dank unserer Presse und des Fernsehens gar nicht als Bruch des Völkerrechts wahrgenommen. So unterstützte die Bundesregierung die Festsetzung des iranischen Tankers ‘Grace 1’. Das war völkerrechtlich gesehen ein Verstoß! Als sich in Venezuela Juan Guaidó mit Unterstützung der USA im Januar 2019 zum Interimspräsidenten und den gewählten Präsidenten Maduro für abgesetzt erklärte, unterstützte auch die deutsche Regierung diesen Juan Guaidó. Ein eindeutiger Verstoß, denn man mischte sich in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Staates ein! Und drittens wäre die Bereitschaft der deutschen Regierung, an einem Militärschlag von Nato-Staaten gegen Syrien teilzunehmen, ein Bruch des Völkerrechts. Das war bereits 2018. Die Amis haben Raketen auf Syrien abgeschossen. Eine Strafaktion! Die Frage steht, wie hat damals die Bundeswehr im Nahen Osten diese Aktion unterstützt?! Hat sie oder hat sie nicht?!“

Horst machte ein sehr nachdenkliches Gesicht. „Was ist, Horst?“, fragte Helmut. Und der Angesprochene meinte: „Ganz schön verrückt ist unsere Welt. Es tobt eine diplomatische und ökonomische Schlacht und wir stehen als Normalbürger daneben. Uns werden ‘Brocken’ hingeworfen, die wir schlucken können oder an denen wir uns verschlucken. Für mich ist es kein Wunder, dass sich viele Menschen von der Politik abkehren. Man zieht sich ins Persönliche zurück. Das ist nicht gut! Oder?“

„Ich bin deiner Meinung“, erwiderte Eberhard. „Und mit dem Herrn Trump, dem amerikanischen Präsidenten, ist die Weltsituation noch instabiler geworden. Kann Trumps ‘Amerika first!’ diese unsere Welt zerstören?“

Alle Augen richteten sich auf Friedhelm. Der nahm erst einen großen Schluck, um dann zu antworten: „Das schafft selbst das mächtige Amerika nicht. Zwei Gegenspieler haben sich formiert: Russland und China! Und diese Konfrontation begann schon mit dem Ex-Präsidenten Obama. In einer seiner sogenannten ‘großen’ Reden erklärte er, dass die USA die stärkste Wirtschafts- und Militärmacht sei und jeder amerikanische Präsident der Führer der Welt sei und dass dies von allen Staaten anerkannt werden muss. So nebenbei diskriminierte er Russland und stufte das größte Land der Erde als ‘Regionalmacht’ ein. Und was ein Herr Putin aus dieser ‘Regionalmacht’ geschaffen hat, das hat die ganze Welt gesehen. Und dieser Kampf um die Vorherrschaft geht weiter. Als in einer UN-Vollversammlung ein Antrag der USA abgelehnt wurde, ließ Präsident Trump erklären, dass nur noch die Staaten der Erde von den USA finanziell unterstützt werden, die die USA bedingungslos unterstützen. Das ist Trumps Machtpolitik!“

Friedhelm schaute auf seine Uhr und trank hastig sein Bier aus.

„Friedhelm, die Chinesen ...?“

„Eberhard, heute keine Chinesen! Mein ‘General’, meine Franzi wartet zu Hause mit meinem Lieblingsessen.“

Ein sehr unruhig wirkender Herr Maier bezahlte hastig und mit einem „Bis nächsten Freitag! Mir gefällt es bei euch!“ verschwand er nach draußen.

„O je, da hat aber ein Herr Maier ganz schönen ‘Dampf’ vor seiner besseren Hälfte“, grinste Horst, schaute auf seine Uhr und: „Ich muss schnellsten nach Haus!“ Er legte einen Geldschein auf die Theke. „Jochen, ich bezahl den Rest!“

„Und was macht ihr?“, fragte der Wirt die beiden Letzten.

„Wir gehen auch. Alleine schmeckt kein Bier!“ Eberhard sprach für Helmut. Und der nickte nur.

 

„Dann noch einen schönen Feierabend!“ Jochen, der Wirt machte seinen obligatorischen, abendlichen Kassensturz.

 

Der 3. Stammtisch: Von Freundschaft und Hilfe