Politik in Geschichten: Stammtischgespräche

Stammtischgespräche

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von Joachim Größer (2019)

 

 

4. Über die Angst 

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Der Wetterbericht versprach ein anhaltendes Hoch über Mitteleuropa. Der „Stammtisch-Ausflug“ nach Bad Frankenhausen war auch aufgrund des herrlichen Spätsommerwetters ein Erfolg. Und so war es nicht verwunderlich, dass bereits am nächsten Freitag der Stammtisch zusammenkam.

„Männer, das ist unser dritter Stammtisch in dieser Woche. Wir wachsen zur Familie zusammen.“ Helmut verkündete dies und schielte zum neu gegründeten Frauen-Stammtisch. Dort saß auch seine Lebensgefährtin Manuela und sie fühlte sich sichtbar wohl im Kreis der Frauen.

„Ja“, pflichtete ihm Friedhelm bei, „meine Franzi konnte es gar nicht erwarten, heute zum Frauen-Stammtisch zu kommen.“

Der Wirt, der gerade die gefüllten Biergläser auf den Tisch stellte, ergänzte: „Meine Brigitte ärgert sich schon, dass sie heute arbeiten muss.“

„Jochen, wieso stellst du gleich für jeden zwei Biergläser auf den Tisch?“

„Horst, hast du vergessen, was ihr versprochen habt?!“

„Wie versprochen?“

„Ihr habt am Montag gesagt, jeder von euch trinkt heute die doppelte Menge. So wolltet ihr meinen gestrigen Umsatzausfall reduzieren. Prost Männer! Saufen ist angesagt!“ Jochen, der Wirt feixte übers ganze Gesicht.

„O Gott! Meine Franzi!“

„Friedhelm, wir trinken heimlich. Brauchst keine Angst vor deinem ‘General’ haben.“ Eberhard prostete dem Friedhelm zu.

„Ach Männer, ich hab doch keine Angst vor meiner Franzi. Nur mein ‘General’ passt auf meine Gesundheit auf. Bei meinen vielen Zipperleins und dem entsprechenden gewaltigen Medikamentenkonsum kann es passieren, dass ich bei zu viel Alkohol einfach umfalle. Es ist die Angst, die meine Franzi zum ‘General’ macht.“

„Das ist die Liebe, Friedhelm!“, erklärte Jochen. „Du kriegst heute nur die halbe Menge und wenn das zu viel ist, ein Wink genügt.“

„Danke, Jochen! Aber ein Stichwort ist gefallen: Angst! Tübkes größtes Gemälde der Welt verkörperte auch die Angst. Es gab nach der Wende genügend Stimmen, die den Rundbau samt Gemälde niederreißen wollten. Man wollte das, was die DDR schuf, vernichten. Nichts sollte an 40 Jahre DDR erinnern. Zum Glück hat die Vernunft gesiegt!“

„Den Palast der Republik, ‘Erichs Lampenladen’, hat man geschleift. Er war doch eines der Machtsymbole der DDR“, meinte Horst.

„Dazu kann ich ne Story erzählen. Mein Nachbar stammt aus einer Kleinstadt. Als er in den 90-er Jahren Verwandte besuchte, staunte er nicht schlecht. Da hatte man den Marktplatz innerhalb eines Jahres wieder zurückgebaut. 1988 hatte man den Platz, der ein Hang war und kein Platz, terrassiert. Und der Grund für den Rückbau war, so erklärten die neuen Stadtväter: ‘So hätte er schon immer ausgesehen.’ Ist das nicht Blödsinn? Reine Geldverschwendung!“

„Der Berliner Fernsehturm blieb nur stehen, weil man ihn wirtschaftlich nutzen konnte. Und die Weltzeituhr ist jetzt als Denkmal geschützt. Da kommt keiner mehr ran. Eine vernünftige Entscheidung!“

Und Friedhelm erklärte: „Es ist die Angst, die viele solcher Entscheidungen begründet. Die Angst, das alte Regime, die alten Machtverhältnisse könnten zurückkommen. Also beseitigt man, was daran erinnert.“

„Unökonomisch ist es aber. Man verschwendet riesige Mengen an Steuergeldern“, meinte Eberhard.

„Was könnte man mit so viel Geld nicht alles anfangen?“

 „Was politisch gewollt ist, wird durchgesetzt! Dafür gibt es immer Geld, denn man sichert die eigene Macht!“ Friedhelm sprach mit blitzenden Augen. „Nun denkt aber nicht, das wäre nur jetzt, nur mit der Wende so? Als das Nazireich unserer Eltern unterging, wurden alle alten Symbole vernichtet. Dafür sorgten schon die Alliierten. Und die Menschen im zerstörten Deutschland schliffen das Hakenkreuz aus dem Militärkoppel, das Hakenkreuz aus dem ‘Volksempfänger’, entsorgten das ‘Mutterkreuz’ und das Soldbuch. Auch typische Nazibauten wurden zerstört. Millionen Menschen in Deutschland kämpften in den Nachkriegsjahren ums nackte Überleben. Sie wollten nicht mehr an den verbrecherischen Staat, der sich Deutsches Reich nannte, erinnert werden. Sie wollten nicht daran denken, dass sie einst selbst dem Führer und seiner Machtclique zugejubelt haben. Sie wollten nur vergessen.“

Friedhelm griff zum Bierglas. „Prost, Männer! Politik macht durstig!“

Kaum hatte Friedhelm sein Glas abgesetzt, als er auch schon wieder redete: „Auch in der sowjetischen Besatzungszone gab es viele Befürworter, die für eine Zerstörung der Schlösser und Gutsherrenhäuser eintraten. Durch die Bodenreform wurden alle Großgrundbesitzer, Großbauern und Kriegsverbrecher enteignet. Die saßen jetzt im Westen. Schleifen der Herrenhäuser wäre eine Option gewesen. Aber auch hier siegte die Vernunft. Man brauchte Wohnungen für Millionen Flüchtlinge, für Millionen ausgebombter, wohnungsloser Menschen, für Kriegswaisen und Kriegsversehrte. Also gründete man Staatsgüter, die das Land bestellten und den Forst verwalteten. Man nutzte das, was vorhanden war, für den Aufbau einer neuen Gesellschaft. Bei allen gesellschaftlichen Umbrüchen gab es immer diese Problematik. So zerstörten die Christen die Heiligtümer der Kelten und Germanen und bauten dort dann ihre Kapellen und Kirchen. Als der Mönch Luther mit der katholischen Kirche brach, fegte ein Feuersturm über weite Teile Deutschlands hinweg. Die Zeit der Reformation war die Zeit der Bauernkriege. Es war eine Zeit der Angst für die Herrschenden!“

Und Friedhelm stand auf und sang aus voller Brust:

 

„Wir sind des Geyers schwarzer Haufen, heia hoho,
und wollen mit Tyrannen raufen, heia hoho.

Spieß voran, drauf und dran,
setzt auf’s Klosterdach den roten Hahn!“

 

Die Männer und auch die Frauen vom Nachbartisch schauten verwundert zum Friedhelm. Die Franzi stand auf, ging zu ihrem Mann und sagte leise: „Friedhelm, bitte keinen Tropfen Alkohol mehr.“

„Franzi, brauchst keine Angst haben, ich bin o.k. Wirklich, mir geht’s gut!“

„Einen guten Kaffee?“, fragte jetzt Jochen die Franzi leise.

„Aber keinen starken; er muss auf sein Herz achten!“

Franzi setzte sich wieder zu den Frauen und erklärte ihnen die Sachlage. Und während die Frauen sich dem Thema Krankheiten widmeten, erörterten die Männer weiter das Thema Angst.

„Tübkes Gemälde ist doch der Renaissance-Zeit gewidmet. Beeindruckend war dieses riesige Gemälde - es wirkte auf mich, wie ein riesiges Sittengemälde.“ Helmut hatte das Wort ergriffen.

„Und immer war der Tod anwesend. Für mich gesprochen, ist die Angst ins Gemälde ‘gekrochen’. Wisst ihr, was ich damit sagen will?“, fragte Horst.

„Die Angst vor dem Tod? Die Angst vor der Zukunft? Die Angst vor dem Fegefeuer?“ Jochen hinterfragte die Aussage.

„Es gibt viele Interpretationen zu diesem Gemälde. Aber letztendlich sieht jeder in diesem Gemälde, was er sehen will! Auch deshalb schon ist es ein einmaliges Meisterwerk!“ Friedhelm hat wieder die Gesprächsführung übernommen.

„Ich glaube, an diesem Tisch sitzen nur gottlose Atheisten. Sagt, warum war das Fegefeuer in dieser Zeit so bedeutsam?“, fragte Eberhard und schaute zugleich zum Friedhelm.

Und Friedhelm referierte: „Das Fegefeuer gab es in der Urkirche gar nicht. Es wurde von den Kirchenoberen erst im 6. Jahrhundert erfunden; die orthodoxen östlichen Kirchen kennen überhaupt kein Fegefeuer. Die Absicht der katholischen Geistlichkeit: Sündige Menschen müssen zuerst im Fegefeuer geläutert werden, ehe ihre Seele gereinigt und geläutert zum Himmel aufsteigen kann. Und nun konnte man das unwissende Menschlein bereits auf Erden zu Gott führen, denn man drohte mit dem Fegefeuer und der ewigen Verdammnis. ‘Lebt keusch und züchtig!’, so predigte der Priester. ‘Wer dies nicht tut, kommt ins Fegefeuer!’ Und das waren gewaltige Worte. Die ‘Gottgewollte Ordnung’ war die Ordnung in Arm und Reich, in Herrschenden und Dienenden. Wer sich dagegen auflehnte, wurde so wie Thomas Müntzer nach der Niederlage der thüringischen Bauern auf dem Schlachtberg, öffentlich hingerichtet und seine Seele landete garantiert im Fegefeuer. Nie würde er durch diesen Riesenfrevel, eine Revolte angezettelt zu haben, in den Himmel, ins Paradies kommen!Nie!“

Helmut ergänzte: „Ja, mit der Angst kann man wunderschön Politik machen. Was früher die Drohung mit dem Fegefeuer, mit der ewigen Verdammnis war, ist heute die Drohung mit der Klimaerwärmung. Fast jeder Journalist redet darüber und kennt wahrscheinlich überhaupt nicht die Zusammenhänge. Da ist sehr viel ‘faul im Staate Dänemark’! Oder, Friedhelm?“

„Du sprichst mich doch nur an, weil ich mal Journalist war, Helmut?“

„Na ja, du kennst doch am besten das Metier. Ist es so?“

„Es gibt überall ‘schwarze Schafe’. Schlimm ist es, wenn nicht Unwissenheit, sondern politische Absicht dahinter steht. Und wenn ich lese oder höre, dass schon morgen die Meere um einen Meter angestiegen sein könnten und dass unsere Erde übermorgen nur noch begrenzt bewohnbar wäre, so hat das nichts mit Wissenschaft und gutem Journalismus zu tun. Da gebe ich dir recht, das ist reine Angstmache, um politische Ziele mit der sogenannten Energiewende umzusetzen. Wenn der Mensch Angst vor der Zukunft hat, dann zahlt er auch bereitwillig die immer steigenden Energiekosten. Man manipuliert Millionen Menschen!“

„Ist die Greta ...?“, fragte Eberhard, konnte aber seinen Satz nicht zu Ende bringen.

„Bitte, bitte - keine Greta! Mir tut das Mädchen leid. Sie glaubt an das, was sie verkündet. Sie merkt aber nicht, wer sie lenkt und wer für sie denkt. Bitte keine Greta!“

„Also für mich steht die Frage immer noch: Gibt es eine Klimaerwärmung oder ist alles nur politisches Machwerk?“, fragte Horst.

„Genau betrachtet kann das zum gegenwärtigen Stand kein Wissenschaftler verneinen oder bejahen. Mit Computermodellen wollte man die Zukunft ‘berechnen’ und erlebte mehrfach Schiffbruch. Bis heute ist es nicht gelungen, die gesamte Komplexität des Wetters und des Klimas zu erfassen.“ Jochen, der Wirt verkündete das. „Wisst“, erklärte er, „Wetter ist Physik und Physik ist mein Steckenpferd. Also lese ich alles zu diesem Thema. Für mich steht fest, der Mensch nimmt gewaltigen Einfluss auf das Klima. Aber man darf nicht alles auf Kohlendioxid reduzieren. Das ist für mich der größte Fehler in der Klimadebatte.“

„Jochen, wenn’s denn eine Debatte wäre, könnte man sich selbst davon ein Bild machen. Aber ich empfinde das so: Da sagt ein Wissenschaftler ‘Wir haben eine Klimaerwärmung! Darüber wird nicht diskutiert! Wer das nicht glaubt, ist dumm!’ Und nun könnte man meinen, eine Lüge 100 mal wiederholt, wird zur Wahrheit! Ist das auch politische Absicht?“ Eberhard schüttelte den Kopf. „Nee, so kann man nicht mit den Menschen umspringen! Wenn das so weitergeht, müssen sich die Politiker und ihre Helfershelfer bald ein neues Volk suchen. Das alte gehorcht ihnen dann nicht mehr!“

Friedhelm erwiderte: „Mit deiner Meinung bist du nicht allein. In der Geschichte war es häufig so, dass immer dann, wenn sich die Herrschenden zu weit vom Volk entfernten, dieser Staat unterging. Übrigens auch ein Grund für das Ende der DDR.“

Am Frauen-Stammtisch herrschte Aufbruchstimmung. Susanne stellte sich hinter Horst. „Horst, Schluss machen! Die Enkel kommen!“

„Die Enkel kommen? Die Enkel kommen! Das klingt wie: ‘Die Russen kommen!’ Männer, diese drei Worte beherrschten die westliche Welt im Kalten Krieg. Darüber müssten wir ...“

„Friedhelm, darüber müsst ihr nicht! Und außerdem wissen alle, die Russen kommen nicht! Gezielte Propaganda, gezielte Angstmache seit der Nazizeit!“

„Franzi, dieses Thema könnte eine wunderbar erquickliche Diskussion geben. Noch heute ...“

Jetzt wurde Friedhelms „General“ scheinbar böse. „Heute kommen die Enkel der Susanne und die sind wichtiger als deine Diskussionsrunde. Wir gehen!“

Folgsam stand Friedhelm auf und zahlte seine Zeche. Als der Wirt die Stammtischfreunde abkassiert hatte, wünschte er ihnen einen guten Nachhauseweg. Das veranlasste Marion, die Maiers zu fragen, ob sie in die Stadt mit dem Auto mitgenommen werden wollten. Doch Franzi wehrte ab: „Danke Marion, aber wir brauchen jetzt frische Luft und viel Bewegung. Der Friedhelm muss noch seine 3000 Schritte laufen. Anordnung vom Arzt!“ Und Franzi bugsierte ihren Friedhelm zum Ausgang.

Manuela kommentierte den Abgang der Maiers: „Die Franzi beherrscht ihren Friedhelm. Da könnte man sich was abgucken!“ Lächelnd zog sie ihren Helmut zur Tür! „Tschüss bis nächsten Freitag!“