Gedichte zu den vier Jahreszeiten aus längst vergangener Zeit: 3. Herbstgedichte

Bunt sind schon die Wälder ...
Bunt sind schon die Wälder ...

Herbstlied

………………

(von Johann Gaudenz von Salis-Seewis)

 

Bunt sind schon die Wälder,

gelb die Stoppelfelder;

und der Herbst beginnt!

Rote Blätter fallen;

graue Nebel wallen;

kühler weht der Wind!

 

Wie die volle Traube,

aus dem Rebenlaube,

purpurfarbig strahlt!

Am Geländer reifen

Pfirsiche, mit Streifen

rot und weiß bemalt!

 

Dort, im grünen Baume

hängt die blaue Pflaume,

am gebognen Ast.

Gelbe Birnen winken,

dass die Zweige sinken

unter ihrer Last.

 

Welch ein Apfelregen

rauscht vom Baum! Es legen

in ihr Körbchen sie

Mädchen, leicht geschürzet,

und ihr Röckchen kürzer

sich bis an die Knie.

 

Winzer, füllt die Fässer!

Eimer, krumme Messer,

Butten sind bereit!

Lohn für Müh`und Plage

sind die frohen Tage

in der Lesezeit!

 

Unsre Mädchen singen

und die Träger springen;

alles ist so froh:

Bunte Bänder schweben,

zwischen hohen Reben,

auf dem Hut von Stroh.

 

Geige tönt und Flöte

bei der Abendröte

Und im Mondenglanz:

Schöne Winzerinnen

winken und beginnen

deutschen Ringeltanz.

 

Septembermorgen

………………………..

 (von Eduard Mörike)

 

Im Nebel ruhet noch die Welt,

noch träumen Wald und Wiesen:

bald siehst du, wenn der Schleier fällt,

den blauen Himmel unverstellt,

herbstkräftig die gedämpfte Welt

in warmem Golde fließen.

 

Herbsttag

……………………..

(von Rainer Maria Rilke)

 

HERR: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.

Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,

und auf den Fluren lass die Winde los.

 

Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;

gib ihnen noch zwei südlichere Tage,

dränge sie zur Vollendung hin und jage

die letzte Süße in den schweren Wein.

 

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.

Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,

wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben

und wird in den Alleen hin und her

unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.

 

O trübe diese Tage nicht

…………………………………………..

(von Theodor Fontane)

 

O trübe diese Tage nicht,

sie sind der letzte Sonnenschein,

wie lange, und es lischt das Licht

und unser Winter bricht herein.

 

Dies ist die Zeit, wo jeder Tag

viel Tage gilt in seinem Wert,

weil man's nicht mehr erhoffen mag,

dass so die Stunde wiederkehrt.

 

Die Flut des Lebens ist dahin,

es ebbt in seinem Stolz und Reiz,

und sieh, es schleicht in unsern Sinn

ein banger, nie gekannter Geiz;

 

Ein süßer Geiz, der Stunden zählt

und jede prüft auf ihren Glanz,

o sorge, dass uns keine fehlt

und gönn' uns jede Stunde ganz.

 

Septembertag

…………………………………….

(von Christian Morgenstern)

 

Dies ist des Herbstes leidvoll süße Klarheit,

die dich befreit, zugleich sie dich bedrängt;

wenn das kristallene Gewand der Wahrheit

sein kühler Geist um Wald und Berge hängt.

 

Dies ist des Herbstes leidvoll süße Klarheit.

 

Herbstbild

…………………

(von Friedrich Hebbel)

 

Dies ist ein Herbsttag, wie ich keinen sah!

Die Luft ist still, als atmete man kaum,

und dennoch fallen raschelnd, fern und nah,

die schönsten Früchte ab von jedem Baum.

 

O stört sie nicht, die Feier der Natur!

Dies ist die Lese, die sie selber hält,

denn heute löst sich von den Zweigen nur,

was vor dem milden Strahl der Sonne fällt.

 

Oktoberlied

……………………

(von Theodor Storm)

 

Der Nebel steigt, es fällt das Laub;

schenk ein den Wein, den holden!

Wir wollen uns den grauen Tag

vergolden, ja vergolden!

 

Und geht es draußen noch so toll,

unchristlich oder christlich,

ist doch die Welt, die schöne Welt,

so gänzlich unverwüstlich!

 

Und wimmert auch einmal das Herz –

stoß an und lass es klingen!

Wir wissen's doch, ein rechtes Herz

ist gar nicht umzubringen.

 

Der Nebel steigt, es fällt das Laub;

schenk ein den Wein, den holden!

Wir wollen uns den grauen Tag

vergolden, ja vergolden!

 

Wohl ist es Herbst; doch warte nur,

doch warte nur ein Weilchen!

Der Frühling kommt, der Himmel lacht,

es steht die Welt in Veilchen.

 

Die blauen Tage brechen an,

und ehe sie verfließen,

wir wollen sie, mein wackrer Freund,

genießen, ja genießen!

 

Herbst

…………………..

(von Theodor Storm)

 

Schon ins Land der Pyramiden

flohn die Störche übers Meer;

Schwalbenflug ist längst geschieden,

auch die Lerche singt nicht mehr.

 

Seufzend in geheimer Klage

streift der Wind das letzte Grün;

und die süßen Sommertage,

ach, sie sind dahin, dahin!

 

Nebel hat den Wald verschlungen,

der dein stillstes Glück gesehn;

ganz in Duft und Dämmerungen

will die schöne Welt vergehn.

 

Nur noch einmal bricht die Sonne

unaufhaltsam durch den Duft,

und ein Strahl der alten Wonne

rieselt über Tal und Kluft.

 

Und es leuchten Wald und Heide,

dass man sicher glauben mag,

hinter allem Winterleide

lieg' ein ferner Frühlingstag.

 

Über die Heide

……………………..

(von Theodor Storm)

 

Über die Heide hallet mein Schritt;

dumpf aus der Erde wandert es mit.

 

Herbst ist gekommen, Frühling ist weit –

gab es denn einmal selige Zeit?

 

Brauende Nebel geistern umher;

schwarz ist das Kraut und der Himmel so leer.

 

Wär ich hier nur nicht gegangen im Mai!

Leben und Liebe – wie flog es vorbei!

Astern blühen schon im Garten ...
Astern blühen schon im Garten ...

Herbst

…………..

(von Detlev von Liliencron)

 

Astern blühen schon im Garten;

schwächer trifft der Sonnenpfeil

Blumen, die den Tod erwarten

durch des Frostes Henkerbeil.

 

Brauner dunkelt längst die Heide,

Blätter zittern durch die Luft.

Und es liegen Wald und Weide

unbewegt im blauen Duft.

 

Pfirsich an der Gartenmauer,

Kranich auf der Winterflucht.

Herbstes Freuden, Herbstes Trauer,

welke Rosen, reife Frucht.

 

Verdrossnen Sinn

………………………

(von Heinrich Heine)

 

Verdrossnen Sinn im kalten Herzen hegend,

reis ich verdrießlich durch die kalte Welt,

zu Ende geht der Herbst, ein Nebel hält

feuchteingehüllt die abgestorbne Gegend.

 

Die Winde pfeifen, hin und her bewegend

das rote Laub, das von den Bäumen fällt,

es seufzt der Wald, es dampft das kahle Feld,

nun kommt das Schlimmste noch, es regent.

 

Herbstgefühl

…………………….

(von Nikolaus Lenau)

 

Mürrisch braust der Eichenwald,

aller Himmel ist umzogen,

und dem Wandrer, rauh und kalt,

kommt der Herbstwind nachgeflogen.

Wie der Wind zu Herbsteszeit

mordend hinsaust in den Wäldern,

weht mir die Vergangenheit

von des Glückes Stoppelfeldern.

An den Bäumen, welk und matt,

schwebt des Laubes letzte Neige,

niedertaumelt Blatt auf Blatt

und verhüllt die Waldessteige;

immer dichter fällt es, will

mir den Reisepfad verderben,

dass ich lieber halte still,

gleich am Orte hier zu sterben.

 

Hälfte des Lebens

……………………………

(von Friedrich Hölderlin)

 

Mit gelben Birnen hänget

und voll mit wilden Rosen

das Land in den See,

ihr holden Schwäne;

und trunken von Küssen

tunkt ihr das Haupt

ins heilignüchterne Wasser.

Weh mir, wo nehm' ich, wenn

es Winter ist, die Blumen, und wo

den Sonnenschein

und Schatten der Erde?

Die Mauern stehn

sprachlos und kalt, im Winde

klirren die Fahnen.

 

Verklärter Herbst

……………………………

(von Georg Trakl)

 

Gewaltig endet so das Jahr

mit goldnem Wein und Frucht der Gärten.

Rund schweigen Wälder wunderbar

und sind des Einsamen Gefährten.

Da sagt der Landmann: Es ist gut.

Ihr Abendglocken lang und leise

gebt noch zum Ende frohen Mut.

Ein Vogelzug grüßt auf der Reise.

Es ist der Liebe milde Zeit.

Im Kahn den blauen Fluss hinunter

wie schön sich Bild an Bildchen reiht -

das geht in Ruh und Schweigen unter.

 

Die Mühlen

………………….

(von Georg Heym)

 

Die vielen Mühlen gehen und treiben schwer.

Das Wasser fällt über die Räder her

und die moosigen Speichen knattern im Wehr.

Und die Müller sitzen tagein, tagaus

wie Maden weiß in dem Mühlenhaus.

Und schauen oben zum Dache hinaus.

Aber die hohen Pappeln stehn ohne Wind

vor einer Sonne herbstlich und blind,

die matt in die Himmel geschnitten sind.

 

Herbst

…………….

(von Gerrit Engelke)

 

Um die Großstadt sinkt die Welt in Schlaf.

Felder gilben, Wälder ächzen überall.

Wie Blätter fallen draußen alle Tage,

vom Zeitwind weggeweht.

Ob Ebene und Wald in welkes Sterben fallen,

ob draußen tost Vergänglichkeit,

im Stadtberg brüllen Straßen, Hämmer hallen:

Die Stadt dampft heiß in Unrast ohne Zeit.

 

Schloss im Herbst

………………………………

 (von Ernst Stadler)

 

Durch düstre Turmkronen wo vom Gemäuer

Sand hinstiebt und große schwarze Vögel

gespenstisch rauschend durch morsche Luken flattern

läuft der Sturm in Nächten wenn der rote Vollmond

funkelnd zwischen grauen Wolken liegt

stöhnt und läuft durch weite öde Säle

wo aus verwitterten Wänden dunkle Bilder

trüb herschimmern in vergilbten goldnen Rahmen

über dämmrig schauernde lange Korridore

bleiche Gänge steile Stufen

in den Park der wie smaragdene Brandung

an die Mauern drängt purpurumraschelt

vom Prunkgewand des Herbstes und der rote Mond

webt seltsam um das glühe Laub der Eschen und

der Schlinggewächse die die alten tiefen Brunnen

umsponnen halten deren Rauschen

lange starb in einer schwülen Sommernacht.

 

Herbstlich sonnige Tage 

…………………………………..

(von Emanuel Geibel)

 

Herbstlich sonnige Tage,

mir beschieden zur Lust,

euch mit leiserem Schlage

grüßt die atmende Brust.

O wie waltet die Stunde

nun in seliger Ruh’!

Jede schmerzende Wunde

schließet leise sich zu.

 

Nur zu rasten, zu lieben,

still an sich selber zu baun,

fühlt sich die Seele getrieben

und mit Liebe zu schaun.

 

Jedem leisen Verfärben

lausch ich mit stillem Bemühn,

jedem Wachsen und Sterben,

jedem Welken und Blühn.

 

Was da webet im Ringe,

was da blüht auf der Flur,

Sinnbild ewiger Dinge

ist’s dem Schauenden nur.

 

Jede sprossende Pflanze,

die mit Düften sich füllt,

trägt im Kelche das ganze

Weltgeheimnis verhüllt.

 

Herbstgefühl

……………………

(von Johann Wolfgang von Goethe)

 

Fetter grüne, du Laub,

am Rebengeländer

hier mein Fenster herauf!

Gedrängter quellet,

Zwillingsbeeren, und reifet

schneller und glänzend voller!

Euch brütet der Mutter Sonne

Scheideblick; euch umsäuselt

des holden Himmels

fruchtende Fülle;

euch kühlet des Mondes

freundlicher Zauberhauch,

und euch betauen, ach!

Aus diesen Augen

der ewig belebenden Liebe

vollschwellende Tränen.

 

Der Herbst

………………..

(von Friedrich Nietzsche)

 

Dies ist der Herbst:

der - bricht dir noch das Herz!

Flieg fort! flieg fort! -

Die Sonne schleicht zum Berg

und steigt und steigt

Und ruht bei jedem Schritt.

 

Was ward die Welt so welk!

Auf müd gespannten Fäden spielt

Der Wind sein Lied:

die Hoffnung floh -

er klagt ihr nach...

 

Dies ist der Herbst:

der - bricht dir noch das Herz!

Flieg fort! flieg fort!

O Frucht des Baums,

Du zitterst, fällst?

Welch ein Geheimnis lehrte dich die Nacht,

dass eisger Schauder deine Wange,

die Purpur-Wange deckt? -

 

Du schweigst, antwortest nicht?

Wer redet noch?

 

Dies ist der Herbst:

der - bricht dir noch das Herz!

Flieg fort! flieg fort!

Ich bin nicht schön

- so spricht die Sternenblume -,

doch Menschen lieb ich

und Menschen tröst ich:

sie sollen jetzt noch Blumen sehn,

nach mir sich bücken,

ach, und mich brechen -

in ihrem Auge glänzet dann

Erinnerung an Schöneres als ich,

Erinnerung an Menschen Glück, an Menschen Glück: -

-ich sehs, ich sehs, und sterbe so. -

 

Dies ist der Herbst:

der - bricht dir noch das Herz!

Flieg fort! Flieg fort!

 

Ende des Herbstes

…………………………

(von Rainer Maria Rilke)

 

Ich sehe seit einer Zeit,

wie alles sich verwandelt.

Etwas steht auf und handelt

und tötet und tut Leid.

 

Von Mal zu Mal sind all

die Gärten nicht dieselben;

von den gilbenden zu der gelben

langsamem Verfall:

wie war der Weg mir weit.

 

Jetzt bin ich bei den leeren

und schaue durch alle Alleen.

Fast bis zu den fernen Meeren

kann ich den ernsten schweren

verwehrenden Himmel sehn.

 

Herbst

………………

(von Rainer Maria Rilke)

 

Die Blätter fallen, fallen wie von weit,

als welkten in den Himmeln ferne Gärten;

sie fallen mit verneinender Gebärde.

 

Und in den Nächten fällt die schwere Erde

aus allen Sternen in die Einsamkeit.

 

Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.

Und sieh dir andre an: es ist in allen.

 

Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen

unendlich sanft in seinen Händen hält.

 

Wanderers Nachtlied

………………….....……….

(von Johann Wolfgang von Goethe)

 

Über allen Gipfeln

ist Ruh,

in allen Wipfeln

spürest du

kaum einen Hauch;

die Vögelein schweigen im Walde.

Warte nur, balde

ruhest du auch.

 

Meeresstrand

……………………….

(von Theodor Storm)

 

Ans Haff nun fliegt die Möwe,

und Dämmrung bricht herein;

über die feuchten Watten

spiegelt der Abendschein.

 

Graues Geflügel huschet

neben dem Wasser her;

wie Träume liegen die Inseln

im Nebel auf dem Meer.

 

Ich höre des gärenden Schlammes

geheimnisvollen Ton,

einsames Vogelrufen -

so war es immer schon.

 

Noch einmal schauert leise

und schweiget dann der Wind;

vernehmlich werden die Stimmen,

die über der Tiefe sind.

 

Novembertag

………………….

(von Christian Morgenstern)

 

Nebel hängt wie Rauch ums Haus,

drängt die Welt nach innen;

ohne Not geht niemand aus;

alles fällt in Sinnen.

 

Leiser wird die Hand, der Mund,

stiller die Gebärde.

Heimlich, wie auf Meeresgrund,

träumen Mensch und Erde.

 

 

Nebel hängt wie Rauch ...
Nebel hängt wie Rauch ...

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