Geschichten vom Weihnachtsmann

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1. Abenteuer in der Nikolausnacht

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(von Joachim Größer)

 

Der kalte Nordwind pfiff ums Haus. Christopher kuschelte sich in sein Bett. „Wie gut, dass ich jetzt nicht draußen sein muss“, dachte er. „Aber einer muss auch bei solch einem Wetter draußen sein!“

Und dieser Eine war nach Meinung des Sechsjährigen: der Nikolaus. Ja, heute war der 5. Dezember. Christopher hatte noch vor dem Abendbrot seine großen Winterschuhe mit Schuhcreme eingerieben und mit der Bürste das Leder so glänzend poliert, dass der Großvater lachend meinte: „Da kann sich ja der Nikolaus drin spiegeln!“

Das Lob seines Großvaters beflügelte Christopher, sodass er seinem Großvater anbot, auch seine Winterstiefel spiegelblank zu putzen.

„Ach, lass mal, Christopher“, sagte der Großvater schmunzelnd. „In meine Stiefel legt der Nikolaus wohl nichts mehr hinein. Er hat doch genug mit den Stiefeln der Kinder zu tun. Das weiß ich vom Nikolaus persönlich.“

„Großvater, du kennst den Nikolaus?“

„Na ja“, druckste der Großvater, „ich habe ihn einmal gesehen. Es ist schon lange her. Ich war damals so alt, wie du heute bist. Ich habe ihm aufgelauert, und als er dann die Süßigkeiten in die Schuhe steckte, bat ich ihn, auch in meines Großvaters Schuhe einige Süßigkeiten zu legen. Da hat er ganz große Augen gemacht, schüttelte verneinend den Kopf, murmelte: ‚Nur für artige Kinder!‘, und schon war er wieder weg. Das habe ich damals meinem Großvater erzählt und der erklärte mir, dass ich ein Glückskind sei, hätte ich doch den Nikolaus gesehen.“

„Opa, wenn der Nikolaus meine Stiefel füllt, dann gebe ich dir von meinen Süßigkeiten ab. Versprochen!“

Der Großvater lächelte. „Iss mal schön selber, Christopher! Kinder lieben das Naschzeug mehr als die Alten!“

Damit endete das Gespräch über den Nikolaus. Aber im Kopf des kleinen Christophers war ein Gedanke nicht mehr herauszubekommen: „Wenn Opa den Nikolaus gesehen hat, dann könnte ich ihn doch bestimmt auch sehen?!“

Und weil Christopher immer und immer wieder daran denken musste, konnte er nicht einschlafen. So fest er die Augen zudrückte und auch anfing, springende Schäfchen zu zählen – und der Christopher konnte mit seinen sechs Jahren schon bis 100 zählen – er fand keinen Schlaf. Also stieg Christopher aus dem Bett, zog sich die warme Strickjacke über und ging zum Fenster. Die Lampe auf der anderen Straßenseite war noch nicht abgeschaltet und so konnte Christopher die tanzenden weißen Flocken im Licht bewundern. Es muss wohl schon einige Zeit geschneit haben, denn die Straße war zuckerweiß und die Schneekristalle glitzerten und funkelten im Licht der Straßenlaterne.

Jetzt fuhren gleich drei Autos hintereinander am Haus vorbei und hinterließen in der dünnen Schneedecke eine glatte glänzende Spur. Christopher dachte: „Oh, auf diesen Spuren kann man so schön schlittern!“ Und er überlegte wirklich, ob er sich anziehen solle, um draußen im Schnee zu schusseln. Aber ganz schnell verwarf er diesen Gedanken, denn das brachte ihm garantiert viel Ärger mit Mama und Papa ein. So schaute er nur weiter auf die leise herabrieselnde weiße Pracht.

Doch was war das? Mitten auf der Straße trabte ein Esel – wirklich, es war ein Grautier, ein Esel! Und auf dem Esel saß in einem weiten roten Mantel gehüllt ein alter weißbärtiger Mann. „Der Nikolaus!“ Christopher bekam große Augen und er presste die Nase gegen die Scheibe. Doch sein Atem ließ die Fensterscheibe beschlagen, und da er nun nur noch alles verschleiert sah, wischte er schnell mit der Hand die Scheibe blank.

Und als er wieder durch die Scheibe sehen konnte, da – ja, da stand der Esel, bepackt mit zwei großen Körben, die links und rechts von seinem Rücken herabhingen. Aber er stand dort ohne den Nikolaus!

Der Nikolaus saß doch wahrhaftig im Schnee und Christopher sah, wie sich der alte Mann mühte, wieder auf die Beine zu kommen.

„Ich muss ihm helfen!“, dachte Christopher und zog schnell seine Hose über den Schlafanzug und schlüpfte im Flur mit Barfußbeinen in die fein geputzten großen Winterschuhe.

Die Haustür ließ er offen und rannte so schnell er konnte zum Nikolaus. Doch da – er rutschte auf der von den Autoreifen geschaffenen glatten Spur aus und schlitterte direkt zum Nikolaus. Jetzt saß er doch wahrhaftig dem Nikolaus gegenüber. Der guckte weder verwundert noch erschrocken, sondern meinte nur: „Hallo Christopher, ich hoffe, du hast dir nicht wehgetan!“

Christopher sprang schnell hoch und erwiderte: „Nein, nein, kein bisschen!“

Es war schon verwunderlich, dass der alte weißbärtige Mann im roten Mantel seinen Namen kannte. Aber Christopher sagte sich, der Nikolaus verfügt über so viel Zauberkräfte – also muss er auch meinen Namen kennen. Wie sonst kann er mir denn sonst die Süßigkeiten bringen?!

Und erneut bewies der Nikolaus, dass er über sensationelle Fähigkeiten verfügt. Konnte er doch die Gedanken des Christophers lesen, denn er antwortete dem Christopher: „Ja Christopher, ich kenne alle Kinder weit und breit. Zauberkräfte, na ja, solche habe und brauche ich nicht, aber mein Gedächtnis ist wirklich phänomenal. Ich weiß noch ganz genau, dass in diesem Haus ein kleiner Junge, er hieß Thomas, mich überrascht hat. Aber das ist doch schon mindestens 60 oder 70 Jahre her.“

„Ja, ja, Nikolaus! Das stimmt! Mein Opa heißt Thomas! Er hat mir erzählt, dass er dich einmal, als er ein kleiner Junge war, gesehen hat.“

„So, dann lebt der Thomas noch! Das ist wirklich fein. Ich glaube, ich brauche jetzt die Hilfe von deinem Großvater, denn alleine kann ich nicht mehr aufstehen. Mein Bein schmerzt tüchtig arg. Kannst du deinen Opa zu mir bringen, Christopher?“

Christopher antwortete dem Nikolaus gar nicht, sondern rannte sofort los. Im Haus war er sehr leise, denn die Eltern wollte er nicht aufwecken. Dafür musste er den Großvater wachrütteln. Saß doch der Opa in seinem großen Sessel, hielt in der einen Hand ein Buch, in der anderen die Brille und schnarchte laut.

Mehrfach musste Christopher den Großvater am Ärmel rütteln, dann machte der Opa einen lauten Schnarcher und schlug verwundert die Augen auf.

„Christopher, was ist denn?“

„Opa, Opa, komm schnell! Auf der Straße sitzt der Nikolaus und kann nicht aufstehen! Du musst ihm helfen!“

„Christopher, der Nikolaus? Wirklich, der Alte mit dem weißen Bart und dem roten Mantel?“

„Ja, Opa, ja! Nun komm doch! Nicht dass ihn noch ein Auto anfährt! Die Straße ist furchtbar glatt und es schneit immer noch!“

Jetzt gab es für Opa kein Halten mehr. Er suchte schnell seine Winterschuhe im Halbdunkel des Flures und dann stand er auch schon vor der Tür. Ungläubig schaute er zum Nikolaus, der ihm jetzt zuwinkte. „Komm nur Thomas, wir kennen uns doch schon! Komm und hilf mir!“

Der Großvater rannte jetzt, so schnell ihn seine alten Füße tragen konnten, zum Nikolaus. Ja – und fast wäre er doch auch auf der immer noch glatten Autospur ausgerutscht. Im letzten Moment konnte er sich dank der Hilfe seines Enkels noch abfangen.

„Am besten hebst du mich von hinten hoch, Thomas, und ich versuche, mich am Schwanz meines Grautieres hochzuziehen.“ Der Nikolaus schnalzte mit der Zunge und der Esel trottete zum Nikolaus und stellte sich so, dass sein Hinterteil zum Nikolaus zeigte.

Doch den Schwanz des Esels konnte der Nikolaus so nicht anfassen. Jetzt musste Christopher helfen. Er ergriff vorsichtig den langen Schwanz des Esels und gab ihn dem Nikolaus in die Hand. Dann musste Christopher den Esel an seine lange Ohren fassen und dem Esel befehlen: „Zieh den Nikolaus hoch!“

Der Esel gehorchte und machte einige Schritte, der Großvater fasste den Nikolaus von hinten unter die Arme und mit den vereinten Kräften kam der Nikolaus zum Stehen. Doch so recht klappte das nicht mit dem Stehen. Das Bein schmerzte dem Nikolaus sehr und er musste sich auf Großvater Thomas stützen.

„Nikolaus, ich bring dich ins Haus“, sagte der Großvater, und obwohl der Nikolaus leise protestierte, ließ er es sich gefallen, dass ihn der Großvater vorsichtig zum Haus führte.

Erschöpft plumpste der Nikolaus in Opas großen Sessel. „Manchmal merkt man schon, dass man nicht mehr der Jüngste ist“, brabbelte der Nikolaus in seinen Bart.

Während der Großvater oben in der Stube versuchte, dem Nikolaus vorsichtig den großen Stiefel vom rechten Fuß zu ziehen, brachte Thomas den Esel auf den Hof. Dort, neben den Kaninchenboxen, band er das Grautier an. Und da der Esel die Möhren witterte, die die Kaninchen vom Christopher als Abendbrot erhalten hatten, reichte jetzt Christopher auch dem Esel ein Bund frischer Möhren.

Dann rannte Christopher ins Haus. Als er vorsichtig die Stufen zu Opas Zimmer hinaufstieg, hörte er einen lauten, kurzen Schrei. Der Opa hatte es geschafft, dem Nikolaus den Stiefel auszuziehen. Da saß nun der Nikolaus mit schmerzverzerrtem Gesicht und rieb sich den schlimmen Fuß. Großvaters fragenden Blick beantwortete der Nikolaus mit einem erzwungenen Lächeln: „Nein, nein Thomas, der Fuß ist nicht gebrochen. Ich habe ihn mir nur beim Sturz geprellt. Meine Salbe wird jetzt aufgetragen und ich kann wieder mit meinem Grautier meine Arbeit zu Ende bringen.“

Sofort kramte der Nikolaus in seinen unergründlichen großen Taschen. Er legte Dosen und Döschen, Faden und Nadel, Hammer und Zange und sogar einige Nägel und einen langen Strick auf den Tisch. Aber das, was der Nikolaus suchte, war wohl nicht dabei. Immer und immer wieder griff er in die großen Taschen, ja er stülpte sie sogar um – aber sie waren restlos leer.

„O weh“, klagte der Nikolaus leise, „ich muss doch die Kinderstiefel mit Süßigkeiten füllen. Und die Nacht wird immer kürzer, immer kürzer. Nun habe ich doch meine Schmerzsalbe vergessen. Wie soll ich denn jetzt meine Aufgabe erfüllen?! Ich bin doch der Nikolaus! Ich muss …“ Der Nikolaus machte nicht nur ein sehr ernstes Gesicht, er legte sogar die Stirn in Falten und Christopher meinte, dass der Nikolaus sehr angestrengt nachdachte.

„Thomas“, rief der Nikolaus, „hast du ein Telefon in deinem Zimmer?“

„Nein, es steht unten in der Diele“, antworte Großvater. „Willst du hinuntergehen?“

„Das schaffe ich nicht, mein guter Thomas“, erwiderte der Nikolaus.

„Opa, in Mamas Handtasche liegt doch das Handy! Ich gehe es holen!“ Und ehe Großvater und Nikolaus etwas sagen konnten, war Christopher schon aus dem Zimmer gehuscht.

Freudestrahlend brachte er eine Minute später dem Nikolaus Mamas Handy. Der Nikolaus ließ sich erklären, wie das Handy bedient wurde und dann drückte der Nikolaus einige Tasten. Verschmitzt meinte er, als er Christophers verwundertes Gesicht sah: „Ihr Menschen wählt, wenn ihr Hilfe braucht, die 110. Auch bei uns gibt es eine Nummer, mit der man sich Hilfe holen kann.“ Und da der Nikolaus aber scheinbar diese Nummer nicht anwählen konnte, versuchte er es immer und immer wieder.

„Das kann doch nicht sein!“, klagte der Nikolaus. „Das Nikolaus-Büro ist in der Vorweihnachtszeit Tag und Nacht besetzt?! Ich habe wohl heute nur Pech.“

„Vielleicht liegt es an dem Funkloch!“, meinte Christopher zaghaft. „Mama hat neulich auch den Papa mit dem Handy nicht erreichen können.“

„Ja, dann muss ich doch die Treppen hinuntersteigen“, erklärte der Nikolaus und erhob sich auch sofort. Aber kaum stand er, als er einen Schrei unterdrückte, das Gesicht sich vor Schmerzen verzog und er erschrocken und wütend in den Sessel zurücksackte.

„Heut ist Nikolausabend!“, klagte er. „Was sollen die Kinder von mir denken, wenn ihre Stiefel und Schuhe nicht mit Süßigkeiten gefüllt sind?! Es ist eine Katastrophe! So etwas hat es noch nie gegeben!“

„Lieber Nikolaus“, fragte Christopher leise, „können auch Menschen die Süßigkeiten verteilen?“

Durch den Nikolaus ging ein Ruck. Er schaute mit großen Augen den Christopher an, dann betrachteter er den Großvater Thomas sehr genau - und dann meinte er doch: „Christopher, du bekommst eine doppelte Portion Süßes in deine Stiefel! Das ist ein wirklich prima Einfall. Der Thomas zieht meinen Mantel an und die großen Schuhe. Die weite Kapuze zieht er über die Haare und alle denken, der Thomas bin ich!“

„Nikolaus, schau mich an! Mir fehlt aber der weiße Bart. So schnell wächst ein Bart nicht!“

„Das denkst du?! Ich habe zwar meine Schmerzsalbe nicht mit, aber mein kleines Döschen mit der Bartcreme habe ich bei mir. Fein auf die Haut gestrichen und im Nu hat der Großvater Thomas einen langen weißen Bart. Wollen wir es mal probieren?“

Und so wurde Großvater Thomas eigenhändig vom Nikolaus eingesalbt. Kaum, dass der Nikolaus die Creme auf die Haut aufgetragen hatte, sah Christopher auch schon die Bartstoppeln wachsen. Aus den Stoppeln wurde ein dichter weißer Bart.

„Perfekt!“, rief der Nikolaus erfreut aus. „Wir haben es geschafft. Alles andere schaffst du auch Thomas!“

„Was muss ich denn tun?“, fragte der Großvater. „Ich weiß doch gar nicht, wo überall die artigen Kinder wohnen? Auch weiß ich nicht, ob sie lieber Bonbons oder Schokolade oder saure Drops mögen?“

„Ach“, beruhigte der Nikolaus. „Du reitest auf meinem Esel. Und immer wenn ihr an einem Haus vorbeikommt, dann fliegen aus meinen unergründlichen Körben die Süßigkeiten von ganz alleine in die Schuhe der Kinder. Du siehst, du kannst mich prima ersetzen.“

„Nicht so ganz, mein lieber Nikolaus. Das Reiten auf deinem Esel - das müssen wir vergessen. Weißt du, mein alter Rücken macht mir sehr viele Schmerzen. Eine falsche Bewegung und ich liege wieder im Krankenhaus.“

„O weh, ohne einen Reiter auf dem Rücken des Grautieres funktionieren meine beiden Wunderkörbe nicht. Die Kinderschuhe werden doch ohne Süßigkeiten bleiben.“

„Nikolaus, geht es auch, wenn ich auf dem Esel reite und der Großvater den Esel führt?“

„Ja, das geht!“ Der Nikolaus strahlte vor Freude. „Du bist wirklich ein kluger Junge, mein Christopher. Genauso machen wir es!“

Sofort legte der Nikolaus den großen Mantel mit der Kapuze ab. Großvater half ihm, den linken Stiefel vom Fuß zu ziehen. Und dann stand auch schon Großvater Thomas verkleidet als Nikolaus vor dem echten Nikolaus.

„Thomas, dich hält jetzt jeder für den Nikolaus! Garantiert!“

Der Nikolaus drehte sich zu Christopher um, der die Augen von seinem Opa nicht wenden konnte. „Christopher, Christopher!“, rief der Nikolaus leise. „Zieh deine wärmsten Sachen an und dann geht es ab durch die Nikolaus-Nacht. Die Kinder schlafen und ihr beide werdet ihre Stiefel füllen! Los, los! Anziehen!“

 So schnell hatte sich Christopher noch nie angezogen. Wenige Minuten später huschte er wieder in das Zimmer. Die dickste Jacke, darunter den dicken Winterpullover, die warme Pudelmütze und ganz, ganz dicke Strümpfe und noch dickere Handschuhe – so stand Christopher vor dem Nikolaus.

„Und die Schuhe?“, fragte der Nikolaus lachend.

„Zieh ich im Flur an, Nikolaus“, antwortete Christopher.

„Gut, dann wünsche ich euch beiden eine gute Nikolaus-Nacht!“, sagte der Nikolaus zum Abschied. Doch als die beiden schon aus dem Zimmer waren, hörten sie den Nikolaus rufen.

Sofort drehten sie um und standen erneut vor dem Nikolaus.

„Nehmt doch bitte dieses Handy mit“, bat der Nikolaus. “Wenn ihr kein Funkloch habt, dann wählt die Geheimnummer. Sie heißt …“

Ganz leise sprach der Nikolaus, aber Christopher verstand es doch. Die Geheimnummer lautete: sechsmal die Sechs!

Großvater steckte das Handy in die tiefe Tasche des Nikolausmantels und jetzt konnten die beiden Helfer des Nikolaus das Grautier aus dem Hof holen. Der Großvater half dem Christopher beim Aufsitzen. Kaum saß der kleine Christopher auf dem Esel, als der dreimal „I-a!“ rief und schon lostraben wollte. Doch schnell nahm der Großvater die Zügel und der Esel verharrte still. Doch draußen auf der Straße geschah Sonderbares: Großvaters Stiefel, es waren doch die Nikolausstiefel, schienen „Sieben-Meilen-Stiefel“ zu sein. Mit jedem Schritt legte Großvater und mit ihm der Esel eine gewaltige Strecke zurück. Und noch sonderbarer war, dass die vielen Süßigkeiten, kleine und große Tafeln Schokolade, kandierte Äpfel, Nüsse und Rosinen und viele, viele andere süße Leckereien, von ganz alleine aus den Körben flogen und in den Schornsteinen der Häuser verschwanden – in den Häusern, in denen die artigen Mädchen und Jungen wohnten.

So hatten sie schon zehn Dörfer besucht, ja die große Stadt hatten sie auch schon hinter sich gelassen, als mit einem Male der Großvater das Grautier am Zügel zerrte, sodass der Esel stillstand.

„Hätte ich wirklich fast vergessen, den Notruf abzusetzen!“, rief Großvater Thomas dem Christopher zu. Großvater holte das Handy aus der tiefen Manteltasche und drückte sechsmal die Sechs. Deutlich hörte Großvater ein feines Stimmchen: „Wichtel Puck wird als Helfer kommen!“

Der Großvater sagte erstaunt: „Das funktioniert?! Ein Wichtel Puck wird als Helfer kommen! Ist das nicht sensationell, Christopher?“

Der Großvater hatte kaum den Satz beendet, als ein Feuerstreif den Nachthimmel erhellte. Und vor ihnen stand ein kleiner Mann, der mit seinen spitzen Ohren und dem kecken grünen Hütchen nur der Wichtel Puck sein konnte. Er musterte den Christopher erstaunt und wandte sich dann an den Großvater: „Nikolaus, du brauchst Hilfe?“

Wie verwundert war der Wichtel jetzt, als ihm der Großvater erklärte, dass er der Opa Thomas sei und nur als Aushilfsnikolaus unterwegs ist, um den Kindern die Süßigkeiten zu bringen. „Und mein Enkel Christopher hilft mir dabei!“ So sagte der Großvater und der Wichtel Puck bekam vor Erstaunen ganz große Augen.

„Und wo ist der Nikolaus?“, fragte er sehr besorgt.

Kaum hörte er die Erklärung, als er auch schon wieder auf einem Feuerstreif davon flog. „Hilfe ist unterwegs!“, hörten der Großvater und sein Enkel den Wichtel Puck noch rufen.

Meinte nun der Wichtel die Hilfe für den Nikolaus oder meinte er Hilfe für die beiden Aushilfsnikoläuse?

Aber darüber brauchten sich die beiden keine Gedanken machen. Der Himmel begann, sich zu verfärben. Er glitzerte und glänzte, flimmerte und leuchtete in allen Farben.

„Ein Polarlicht! Und das bei uns!“, rief Großvater erfreut aus. „So etwas Seltenes sieht man wirklich nur einmal in seinem Leben!“ Und so starrten Großvater Thomas und Christopher in den Himmel und vergaßen sogar, dass sie einen wichtigen Auftrag hatten.

Doch was war das? Auf einem solchen Strahl des Lichtes jagte ein Schlitten, gezogen von drei schneeweißen Pferden, direkt auf den Christopher und seinem Großvater zu.

Ein gewaltiges „Brrr!“ ließ die Pferde sofort anhalten und dann hörten Christopher und der Großvater den alten weißbärtigen Mann in dem Schlitten mit tiefer Brummstimme fragen: „Nikolaus, du brauchst meine Hilfe? Hier bin ich! Was soll ich tun?“

Und der Alte auf dem Schlitten hielt in der einen Hand die Zügel und in der anderen einen mächtigen Zepter, der wie Eis funkelte. Er musterte den Großvater, legte seine Stirn in Falten und überlegte wohl, ob der Weißbärtige in dem Nikolausmantel wirklich der Nikolaus wäre.

Dem Christopher machte dieser Mann mit der tiefen Bassstimme große Angst. Er machte sich auf dem Esel ganz klein, so fürchtete er sich. Auch sein Großvater schaute verwundert zu dem Schlittenlenker. Leise fragte er seinen Enkel: „Kennst du diesen Mann?“

Fast versagte dem Christopher die Stimme, als er dem Opa zuflüsterte: „Das … das Opa ist Väterchen Frost!“

 „Deduschka Moros“, dröhnte der mächtige Bass des Väterchen Frost. „So nennt man mich in meiner russischen Heimat.“

Und kaum hatte dies Väterchen Frost gesagt, als ein kleines Mädchen aus einer dicken Decke hervor kroch und mit heller klarer Stimme ausrief: „Und ich bin Snegurotschka. Das heißt in eurer Sprache ‚Schneeflöckchen‘. Aber wer seid ihr?“

„Ja, wer seid ihr? Du bist doch nicht der Nikolaus?!“ Väterchen Frost richtete den Eiszepter auf den Großvater Thomas. Doch seine Enkelin, die kleine Snegurotschka, schrie erschrocken: „Nein! Nicht, Großvater!“

Erschrocken hielt Väterchen Frost inne. Fast hätte er doch den Großvater berührt und dann – es wäre entsetzlich gewesen - dann wäre Großvater Thomas zur Eissäule erstarrt.

„O, o!“, klagte da der Deduschka Moros, „ich hätte dich zur Eissäule erstarren lassen! Verzeih mir mein Freund! Und damit du mir auch wirklich verzeihst, hast du einen Wunsch frei! Sprich!“

Großvater Thomas zuckte zuerst etwas verlegen die Schultern, was wohl heißen sollte: „Ich habe keinen Wunsch.“ Doch da kam ihm ein Gedanke. Alle Kinder hatten sich im letzten Winter darüber geärgert, dass es so gut wie nie geschneit hatte. Einen Winter, ja – einen richtigen schönen kalten schneereichen Winter, das wünschte sich der Großvater Thomas für alle Kinder. Und Großvater sprach zu Väterchen Frost: „Väterchen Frost, kannst du unserer Frau Holle in diesem Winter etwas helfen. Letztes Jahr, das war kein richtiger Winter. Es fehlte der Schnee, der Frost, das Eis. Kannst du den Kindern einen Winter bescheren, wo sie rodeln, Skilaufen und Schlittschuhlaufen können?!“

„Ho, ho, nichts leichter als das. Ich schicke der Frau Holle den kalten Ostwind. Er bringt euch die Kälte und das Eis. Und Frau Holle kann dann kräftig die Betten schütteln. Und damit du weißt, dass ich deinen Wunsch erfülle, bringe ich jetzt schon mal sibirischen Schnee!“

Und der Deduschka Moros schwang seinen Eiszepter und es gab einen Schneesturm, wie ihn der sechsjährige Christopher noch nie erlebt hatte.

 Mitten in diesem Schneegestöber öffnete ein helles Licht die Schneewand und Christopher sah ein Rentiergespann mit ungeheurer Geschwindigkeit auf sie zurasen. Und Christopher starrte mit offenem Mund und großen Augen auf diesen Neuankömmling. Er glaubte, seinen Augen nicht zu trauen. Das war doch wirklich der Santa Claus. Er erkannte die berühmten Rentiere Dasher, Dancer, Prancer, Vixen, Comet, Donner und Blitzen.

„Du brauchst meine Hilfe!?“, rief Santa Claus. Aber ehe Großvater Thomas, der falsche Nikolaus, antworten konnte, stutzte Santa Claus, so wie zuvor der Deduschka Moros sich auch verwunderte.

„Bist du es Nikolaus oder bist du es nicht?!“, rief Santa Claus jetzt erregt aus. Auch Väterchen Frost brummte: „Ja, wer bist du denn?! Sprich!“

Jetzt endlich konnte Großvater Thomas dem Santa Claus und dem Deduschka Moros vom Nikolaus und seinem Missgeschick berichten.

„Das habt ihr beiden sehr gut gemacht! Wer unserem deutschen Freund, dem Nikolaus hilft, kann auch mit unserer Hilfe rechnen. Du siehst das doch auch so, Santa Claus?!“, brummte Väterchen Frost.

„Ja, mein russischer Bruder, ich seh es genauso. Und weißt du, was wir beide machen? Wir werden für den Nikolaus die Süßigkeiten austeilen, denn jedes artige Kind soll am Morgen Süßes in seinen Schuhen finden! Einverstanden?“

„Natürlich, wer klettert in meinen Schlitten?“, rief Deduschka Moros. Die Enkelin des Väterchen Frost, Snegurotschka, steckte wieder ihr Näschen in die kalte Winterluft und rief den Christopher: „Junge, komm! Spring in Großvaters Schlitten!“

Christopher machte einen Riesensatz und saß neben Snegurotschka im Schlitten. Kaum dass er saß, kam ein Korb geflogen. Dann hörte er auch schon Väterchen Frost rufen: „Santa Claus, ich beschere die Kinder im Osten!“

„Ist gut, ich nehme die Westroute! Wir treffen uns am Haus des Thomas!“

Christopher sah, wie sein Opa einen Riesenschritt machte und auch schon im Schlitten des amerikanischen Weihnachtsmannes saß. Dann flog der andere Korb vom Esel in den Schlitten des Santa Claus. Er hörte noch den Santa Claus befehlen: „Esel, lauf zu deinem Herrn!“

Christopher sah den Esel laufen - so schnell lief der, dass kein Auto dieser Welt ihn eingeholt hätte. Aber noch schneller waren die Troika des Deduschka Moros und das Rentiergespann des Santa Claus. Es war eine himmlische Fahrt. Das Polarlicht erhellte den dunklen Himmel, aus dem Korb des Nikolaus flogen die Süßigkeiten nur so heraus und verschwanden in den Häusern, wo die braven Kinder schliefen. Christopher kuschelte sich in die warmen Felldecken und nur seine Nasenspitze guckte hervor. Und überall dort, wo Väterchen Frost schon gewesen war, rieselte der weiche weiße Schnee zur Erde herab. Es war Schnee, wie er sonst nur in den Weiten der sibirischen Wälder fällt.

Christopher staunte, wie Väterchen Frost mit lauten „Ho-ho!“-Rufen die herrlichen Schimmel über die Himmelsstraßen lenkte. Es ging über hohe Berge und tiefe Täler, über Häuserdächer und weiß verschneite Wiesen und Wälder. Ja – und einmal jagte doch Deduschka Moros direkt neben einem großen Flugzeug dahin. Christopher konnte an den Fenstern der Maschine die Menschen erkennen. Er warf die warmen Decken ab, stand im Schlitten auf und winkte den Menschen im Flugzeug. Doch die schienen ihn nicht zu sehen. Dafür aber sah die kleine Snegurotschka, dass Christopher aus dem Schlitten fallen könnte. So zog sie ihn schnell wieder nach unten, unter die warmen Decken.

Als im Osten die Morgenröte den neuen Tag ankündigte, lenkte der Deduschka Moros die Troika zum Wohnhaus des Christophers. Drei Runden ließ Väterchen Frost seine Pferde um das Haus laufen. Erst dann lenkte er die Troika zur Straße. Und jetzt staunte der Christopher nochmals. Stand doch da der Nikolaus neben seinem Esel, der vom Wichtel Puck gehalten wurde. Und neben dem Nikolaus stand ein Weihnachtsmann neben einem Rentiergespann. Snegurotschka flüsterte dem Christopher zu: „Das ist der Weihnachtsmann aus Lappland. Man nennt ihn Joulupukki. Er hat bestimmt euren Hilferuf auch vernommen.“

Väterchen Frost eilte mit großen Schritten zum Nikolaus und zu Joulupukki, umarmte sie und gab ihnen den Bruderkuss. Und dann brauste auch schon Santa Claus mit seinem Rentiergespann herbei. Christophers Opa kletterte aus dem Schlitten und eilte zu seinem Enkel. „War das nicht eine herrliche Reise?!“, rief er und hob Christopher aus dem Schlitten des Deduschka Moros.

Santa Claus hatte längst den Nikolaus und den Weihnachtsmann aus Lappland begrüßt, als Snegurotschkas helles Stimmchen zu hören war: „Der Morgen bricht an!“

Wahrhaftig, die Morgenröte durchbrach selbst das dicke Schneegestöber. Die Weihnachtsmänner liefen zu ihren Schlitten, der Nikolaus setzte sich auf seinen Esel. Dann hörten Christopher und Großvater Thomas laute „Ho, ho!“-Rufe und ein Brausen erfüllte die Luft.

„Habt dank ihr Menschen!“, rief der Nikolaus. „Dank für eure Hilfe!“

Auch ein helles Stimmchen hörte der Christopher. Es konnte nur Snegurotschka sein, die da rief: „Vergiss mich nicht, kleiner Junge!“

In diesem Moment wurde es Tag. Es hörte auf zu schneien und die Sonne lugte ganz schüchtern hinter einer dicken Wolke hervor. „Jetzt aber ab ins Bett, Christopher“, rief der Opa dem Christopher zu. „Wenn wir aufwachen, ist Nikolaustag.“

Und so war es. Christopher schlief weit in den Morgen hinein. Da aber der Nikolaustag auf einen Sonntag fiel, ließ ihn seine Mama schlafen. Kaum dass er die Augen aufschlug, dachte er an die letzte Nacht. Er stürzte in den Hausflur und suchte seine Stiefel. Da standen sie, blank geputzt und voll mit all den vielen Süßigkeiten, die alle Kinder so gern mögen. Und wie staunte Christopher, als er Großvaters Schuhe sah. Sie waren ebenfalls mit viel Zuckerwerk, Schokolade und süßen Bonbons gefüllt.

„Wenn Opas dem Nikolaus helfen, dann kriegen sie auch Süßigkeiten“, stellte Christopher für sich fest und rannte zum Opa ins Zimmer. „Opa, Opa, der Nikolaus hat auch deine Schuhe mit Süßigkeiten gefüllt!“, rief der Christopher und der Opa staunte nicht schlecht, als er all die vielen Leckereien sah.

„Da hat der Nikolaus doch wirklich eine Ausnahme gemacht“, sagte er schmunzelnd zu seinem Enkel und steckte sich einen süßen Bonbon in den Mund.